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Besser als arbeitslos?

Karin Schulze Buschoff will mehr Absicherung für Selbstständige / Dr. Karin Schulze Buschoff ist Politikwissenschaftlerin und Expertin für Arbeits- und Sozialpolitik

  • Lesedauer: 3 Min.

ND: Immer mehr Selbstständige leben in prekären Situationen und sind auf staatliche Hilfe angewiesen. Warum?
Schulze Buschoff: In Deutschland hat die Zahl der Selbstständigen – wie in anderen europäischen Ländern auch – seit den 80er Jahren ständig zugenommen. Es ändern sich aber die Formen der Selbstständigkeit. So sind es nicht mehr die klassischen Berufe oder Mittelstandsbetriebe, die im Wachsen begriffen sind, sondern vor allem »Neue Selbstständigkeiten« in expandierenden jungen Dienstleistungsbranchen. Diese benötigen kein hohes Kapital oder besondere Ausstattung, sondern beruhen auf Fertigkeiten und Wissen. Das sind häufig Solo-Unternehmer ohne eigene Angestellte. Dieses Segment wurde von der Politik bewusst gefördert und ausgebaut. So erleichtert beispielsweise die Handwerksordnung nun Neugründungen. Darüber hinaus hat es Gründungszuschüsse in vielfältiger Form gegeben.

Warum haben es diese Gruppen besonders schwer, einen angemessenen Lebensunterhalt zu verdienen?
Viele machen sich selbstständig vor dem Hintergrund, dass sie sich sagen, sie ziehen die Selbstständigkeit der Arbeitslosigkeit vor. Das ist schön für die Arbeitslosenstatistik, aber weniger schön für die Menschen, die sehen müssen, wo sie bleiben. Das sind im Dienstleistungsbereich Nagelstudios, Heilberufe oder im Medienbereich Tätige, die sich von Auftrag zu Auftrag hangeln und sich so über Wasser halten. Große Sprünge sind da nicht drin.

Inwiefern besteht das Problem, dass reguläre Beschäftigung durch Selbstständige ersetzt wird?
Das ist weiterhin ein großes Problem. Im Medienbereich wird heute sehr viel mehr mit Werksverträgen gearbeitet. Aber auch im Bausektor haben Betriebe häufig ihre Beschäftigten entlassen, um sie dann als Freie wieder für Projekte anzuheuern. Das bedeutet für die Menschen, dass sie auch das unternehmerische Risiko selbst tragen müssen. Vorstöße der Politik in den neunziger Jahren zur Eindämmung der Scheinselbstständigkeit wurden nach Kritik aus dem Arbeitgeberlager sehr schnell wieder eingeschränkt. Allgemein hat die Politik in diesem Bereich sehr halbherzig und widersprüchlich agiert.

Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, hat vorgeschlagen, die Bezugsdauer von Harz IV für Selbstständige zeitlich zu begrenzen. Was halten Sie davon?
Für mich macht es keinen Sinn, dass man gerade die Menschen im ALG-II-Bezug bestraft, die nun zumindest einen Teil ihres Lebensunterhaltes aus der Selbstständigkeit bestreiten. Stattdessen sollte man darüber nachdenken, wie man die Betroffenen gegen Arbeitslosigkeit schützt.

Halten Sie es allgemein für sinnvoll, dass die Politik weiterhin Selbstständigkeit fördert?
Ja, allerdings müssen die Beratung und die sozialversicherungsrechtliche Absicherung verbessert werden. Bei der Arbeitslosenversicherung müssen die Bedingungen verbessert werden. Ganz wichtig ist eine Pflichtversicherung in der Rentenversicherung. Aber zu solchen Konditionen, die sich dann für die Selbstständigen auch lohnen. In der Krankenversicherung sind die Selbstständigen seit 2009 pflichtversichert. Die Krankenkassenbeiträge werden nach sogenannten Mindesteinkommen und nicht nach den Realeinkommen, welche häufig niedriger sind, berechnet. Das sind manchmal etwas merkwürdige, nicht nachvollziehbare Reformschritte, die da gemacht werden.

Fragen: Samuel Weber

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