Wer heute spart, zahlt morgen mehr
Grüne legen Rechtsmittel gegen die Kürzungen bei der Neuköllner Jugendhilfe ein
Unter den freien Trägern der Jugendhilfe in Neukölln herrscht Verunsicherung. Vor einer Woche flatterten ihnen Kündigungen des Bezirksamts ins Haus, ab 30. September können alle präventiven Maßnahmen in der Kinder- und Jugendarbeit nicht mehr fortgesetzt werden.
Der schon zuvor geplante Besuch von Berlins Bürgermeisterkandidatin Renate Künast (Grüne) in einem Neuköllner Nachbarschaftstreff am Mittwoch war darum auch Anlass für Gespräche über die aktuelle Lage. Anwesend waren Jugendstadträtin Gabriele Vonnekold (Grüne) und zahlreiche Vertreter von Integrations- und Jugendvereinen aus dem Kiez.
Künast kritisierte die »Streichungsorgie« des Bezirksbürgermeisters Heinz Buschkowsky (SPD), die auf »undemokratische und höchst überfallartige Art und Weise« stattgefunden habe. In der Folge würden weniger Landesmittel nach Neukölln fließen. Das sah Vonnekold genauso. »Wenn wir dieses Jahr eine Million Euro einsparen, dann fehlt sie uns auch in den Folgejahren.« Als Berechnungsgrundlage für den Haushalt 2012 werden die Ausgaben im Jahr 2011 herangezogen.
Das Bezirksamt hatte Einsparungen von 3,2 Millionen Euro beschlossen, 1,2 Millionen betreffen die Jugendhilfe. Davon sollen 100 000 Euro auch bei den Gehältern in kommunalen Einrichtungen der Jugendhilfe gespart werden, erklärte Vonnekold. Hintergrund für die Sparbemühungen des Bezirks waren hohe Ausgaben für die Hilfen zur Erziehung, auf die ein Rechtsanspruch besteht.
Die Entscheidung war in Abwesenheit der Jugendstadträtin getroffen worden und ohne den Jugendhilfeausschuss einzubeziehen. Das sei nicht rechtens gewesen. »Darum bin ich guter Hoffnung, dass der Beschluss zurückgenommen werden muss«, so Vonnekold. Erste rechtliche Schritte hat sie gestern eingeleitet und das Rechtsamt im Bezirksamt beauftragt, den Vorgang zu überprüfen.
Die Kündigungen waren »vorsorglich« ausgesprochen worden, am 13. Juli soll die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) darüber entscheiden, ob sie aufrecht erhalten werden. Einen Tag später will auch der Jugendhilfeausschuss eine Sondersitzung abhalten.
Die betroffenen Träger denken derzeit darüber nach, wie sie ihren Protest ausdrücken können. Im Gespräch sind offene Briefe und ein gemeinsames Vorgehen der verschiedenen Dachverbände. Doch die Angst ist groß, denn die Einrichtungen sind auf das Bezirksamt als künftigen Auftraggeber angewiesen.
Für Vonnekold ist klar, dass die Einsparungen Neukölln letztlich teuer zu stehen kommen würden. »Ohne Prävention im Kinder- und Jugendbereich werden wir später bei den Ausgaben für die Hilfen zur Erziehung einen gigantischen Mehraufwand haben«, lautet ihre Prognose.
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