An offener und geheimer Front

Zwei Mal ND im Club – Vom heißen Krieg zum kalten Krieg

  • Fridolin Groß
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Chef und sein Juwel – Großmann und Rupp Foto:Frank Schumann
Der Chef und sein Juwel – Großmann und Rupp Foto:Frank Schumann

Den diesjährigen Weltfriedens- und Antikriegstag flankierte »Neues Deutschland« mit zwei Zeitzeugengesprächen im Berliner Redaktionsgebäude. Beide Veranstaltungen stießen auf großes Interesse, zählten je über 200 Besucher.

Am 31. August wurde des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion vor 70 Jahren sowie des Putsches spanischer reaktionärer Generäle vor 75 Jahren gegen die Volksfrontregierung in Madrid gedacht. In beiden Fällen antifaschistischen Abwehrkampfes – an der Seite der um die Befreiung ihrer Heimat sowie Europas und Deutschlands kämpfen Sowjetvölker wie auch zuvor bei der Verteidigung der spanischen Republik – hatten sich deutsche Antifaschisten beteiligt. Stellvertretend für diese waren im ND zu Gast: der letzte noch lebende Spanienkämpfer in Deutschland Fritz Teppich, Jg. 1918, sowie die im Großen Vaterländischen Krieg kämpfenden Deutschen Moritz Mebel, geboren 1923 in Erfurt, und Wolfgang Hahn, der 1924 in Dresden das Licht der Welt erblickt hatte.

Der aus einer Berliner jüdischen Familie stammende Teppich hatte sich im Alter von 17 Jahren von Belgien aus auf die Iberische Halbinsel begeben und in der republikanischen Armee bis zu deren militärischer Niederlage gekämpft. Er bot nicht nur persönliche Erinnerungen, sondern auch einen historischen Exkurs vom Franco-Putsch am 17./18. Juli 1936 über das Münchener Abkommen 1938 bis hin zur Entfesselung des Zweiten Weltkrieges durch Hitlerdeutschland am 1. September 1939. Harald Wittstock, Vorsitzender der »Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik 1936 - 1939 e.V.« berichtete über die vor zehn Jahren erfolgte, nicht problemlose Gründung seines Vereins gegen Vorbehalte der Veteranen sowie über Tabus und Heroisierung in der DDR-Historiographie, verwahrte sich aber gegen heute gängige Behauptungen, die Interbrigadisten seien ein außenpolitisches Werkzeug Stalins gewesen.

Mebel, aus jüdisch-kommunistischer Familie, berichtete über Irritationen, die der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 unter deutschen Emigranten hervorgerufen hatte sowie über deren Entschlossenheit, nach dem 22. Juni 1941 gegen die Aggressoren aus der alten Heimat zu kämpfen. Der junge Medizinstudent trat im Herbst 1941 in ein Arbeiterbataillon zur Verteidigung Moskaus ein. Hahn, Sohn eines sozialdemokratischen Schriftsetzers, schilderte, wie er bei erstbester Gelegenheit im März 1943 an der Ostfront von der Wehrmacht desertierte und Fronthelfer des Nationalkomitees Freies Deutschland wurde. Alle drei Zeitzeugen artikulierten Unmut darüber, dass Deutschland seit zwei Jahrzehnten wieder Kriege führt.

Zu verhindern, dass der wenige Jahre nach der Befreiung Europas und Deutschlands vom Faschismus ausgebrochene Kalte Krieg in einen heißen umschlägt, sei Anliegen der Militärspionage der DDR gewesen, betonte im ND-Club am vergangenen Mittwoch Karl Rehbaum. Der ehemalige Leiter der HVA-Abteilung XII stellte den von ihm gemeinsam mit Ex-Kollegen Klaus Eichner, Spezialist für britische und US-Geheimdienste, sowie Rainer Rupp, Topagent der HVA im NATO-Hauptquartier in Belgien, herausgegebenen sechsten Band einer Geschichte der DDR-Auslandsaufklärung vor. Eichner informierte über das Anliegen der Edition, deren jüngster Band der »Militärspionage. Die DDR-Aufklärung in NATO und Bundeswehr« (Edition Ost, 286 S., br., 14,95 €) gewidmet ist.

»Die NATO war für uns ein offenes Buch«, sagte Rehbaum. »Topas« alias Rupp hatte daran wesentlichen Anteil. Dieser gab sich indes bescheiden und nannte den Titel der Club-Veranstaltung – »Wie ›Topas‹ einen dritten Weltkrieg verhinderte« – journalistische Übertreibung. Gleichwohl wusste Rupp, dass die von ihm aus Brüssel nach Ostberlin gesandten Informationen für den Warschauer Vertrag goldwert waren, vor allem Anfang der 80er Jahre, als Moskau – provoziert durch die NATO (Able Archer 83) – einen Nuklearangriff argwöhnte (RYAN-Krise). Werner Großmann, letzter Leiter der HVA, der in der ersten Reihe im ND-Club saß (und dem Rupp in Ermangelung eines Saaldieners das Mikrofon reichte), bestätigte, dass vor allem das Topsecret-Dokument MC-161 von unschätzbarem Gewicht gewesen sei. In diesem waren alle Kenntnisse der NATO über den Verteidigungszustand des Gegners gebündelt und ist entgegen offizieller Bedrohungslüge konstatiert worden, dass die Sowjets keine Aggressionsabsichten hegen. Wie Rupp an diesen über 480 Seiten starken (und mit noch mal so vielen Seiten Anhang versehenen) Bericht gelangte, verriet er auch diesmal nicht, nur soviel: Er habe diesen einer ihm wohlgesonnenen, allseits freundlichen und stets hilfsbereiten Person zu verdanken.

Diskutiert wurden auch kontroverse Fragen wie die Überdimensionierung des DDR-Geheimdienstes, die Doppelgleisigkeit der DDR-Militärspionage (in der HVA und NVA), die Motivation der Quellen (Überzeugung oder materielle Anreize?) sowie Verrat in den eigenen Reihen. Rupp prophezeite abschließend, dass es der interventionsgierigen, jedoch strategielosen NATO alsbald wie dem Zauberlehrling von Goethe gehen wird.

Nicht unerwähnt sei hier der Ernst-Busch-Chor, der eine eindrucksvolle emotionale Umrahmung der erstgenannten ND-Veranstaltung mit Liedern aus der Zeit bot. Die Spionage-Runde blieb unmusikalisch; gepasst hätte vielleicht die Filmmusik der DDR-TV-Serie »Das unsichtbare Visier«.

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