Trügerische Sinnenwelt

34 Künstler äußern sich im Kleist-Jahr zu dem 34-jährig aus dem Leben geschiedenen Dichter

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.
Strawalde errichtete dem Dichter eine »Gedenktafel«.
Strawalde errichtete dem Dichter eine »Gedenktafel«.

Vor 200 Jahren schied Heinrich von Kleist 34-jährig aus dem Leben und hinterließ ein einzigartiges literarisches Werk. Gemessen an seinem unsteten Lebenslauf – er blieb zeitlebens ein Fremder in seiner Zeit – war die Kontinuität seiner literarischen Arbeit erstaunlich. Seine dichterische Tätigkeit war das einzige, was ihn überhaupt am Leben hielt. Die Frage nach der Bestimmung des Menschen und deren Erfüllung wurde zu seinem Grundthema: Wie kann sich der Mensch, der aus der Gewissheit und Sicherheit des Gefühls lebt, gegenüber der trügerischen Sinnenwelt, gegenüber Zufall, Zwang und Widrigkeit des Schicksals behaupten?

Das sind Fragen, die auch heute noch bewegen, und so hat die Berliner Galeristin Anke Zeisler 34 bildende Künstler dazu bewegen können, sich bildkünstlerisch mit Kleist, mit dessen dramatischem und Prosa-Werk, mit dessen Gedankenwelt auseinanderzusetzen.

Dabei ist Erstaunliches herausgekommen, Werke nicht nur von künstlerischer Qualität, sondern auch Werke, die neue Zugänge zu diesem großen Außenseiter der Literatur eröffnen. Nachdem sie bereits in der St. Marienkirche in Frankfurt (Oder) gezeigt wurden, sind sie nun in der Galerie Alte Schule zu sehen und werden dann nach Speyer weitergehen.

Das Gemälde »Weg« von Jörn Grotkopp führt uns durch eine schwermütig verhangene Winterlandschaft zum Grab des Dichters. Dessen »Tod am Wannsee« hat Johannes Grützke eine ganze Mappe mit ergreifenden Lithografien gewidmet, während Peter Hermann wuchernden immergrünen Efeu (Symbol des ewigen Lebens) zeigt, in den er die Namen der beiden in den Tod Gegangenen »Henriette und Heinrich« hineingeschrieben hat. Die vertikalen Linien, die einen flächigen Untergrund von intensiv saturierter Farbigkeit teilen, entwickeln sich zu Modulatoren der Beziehung von Teil zu Teil in dem Holzschnitt »zu Kleist« von Annelise Hoge. Der Betrachter meint in die Tiefen der Seele hineinzuschauen.

»Kleist hat einen Vogel« betitelt Jürgen K. Hultenreich die zerstörten Züge des Dichter-Porträts, dem er das Kleist-Wort »Es ist gut, wenn man fern von den Menschen bleibt« beigefügt hat. In einem mehrteiligen symbolischen Bild lässt Harald-Alexander Klimek Kleist Zwiesprache halten mit seiner preußischen Umwelt, die ihn wie Schimären verfolgt, bedrängt, beunruhigt. Hans Scheib gibt den »Rebellen« Kleist mit feuerrotem Haar und in schwarzem Rock wieder, während Strawalde dem Dichter eine »Gedenktafel« in Form einer Assemblage errichtet. Porträtiert Kai Klahre sich selbst oder Kleist oder vermischen sich beide in ein und derselben Gestalt? Durch Assoziationen des Betrachters soll Achim Riethmanns fragmentierte Figur (Aquarell auf Papier) vervollständigt werden und daraus könnte sich eine echt Kleistsche Geschichte entwickeln.

Die »Unklarheit«, in der Kleist den Leser der Novelle »Die Marquise von O…« belässt, hat Katrin Kampmann in ihrem großformatigen Gemälde in die Abstraktion von Farbfeldern und –ereignissen umgesetzt, die in ähnlicher Weise verschiedene Deutungsmöglichkeiten zulassen.

»Wiederkehr des Gleichen« von Hans-Hendrik Grimmling, »Bruchstelle« von Hanna Hennenkemper, auch »Gleichgewicht« von Manfred Zoller sind Auseinandersetzungen mit der Kleistschen Gedankenwelt. Der Weg des menschlichen Bewusstseins geht durch »ein Unendliches« hindurch zu neuem Bewusstsein voran, oder wie Kleist im Dialog »Über das Marionettentheater« schreibt: »…das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist«. Gerade auf dieses Zitat bezieht Sylvia Hagen ihre Tuschzeichnung eines in ein Strichgefüge eingezwängten nackten Körpers.

Plötzlich hereinbrechende Katastrophen, unbegreifliche Schicksalsfügungen, die Errettung aus tiefstem Leiden und erneuter Absturz in Tod, Lug und Trug sind immer wiederkehrende Motive der handlungs- und spannungsreichen Geschichten, die Kleist erzählte und die den Dramatiker auch in der Prosaform zeigen.

Mag er nun zwischen den Zeiten stehen, modernster Klassiker oder Klassiker der Moderne, Sonderfall oder Prototyp einer damaligen Zeitkrankheit, Dichter der bürgerlichen Krise, Vorläufer und die große Vorwegnahme sein: Kleist, der keine Kompromisse kannte, war nun einmal für diese Welt nicht geschaffen.

Bis 30. September, Galerie Alte Schule Adlershof, Dörpfeldstr. 54-56, Tel.: (030) 902 97 57 17

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