Die verlorene Bibliothek des Hans Fallada

  • Werner Liersch
  • Lesedauer: ca. 9.5 Min.
Bücher haben ihre Schicksale«, heißt ein geflügeltes Wort, das auf den Römer Terentinus Maurus zurückgeht. Wie viel mehr die Bibliotheken, in denen sie stehen. Bibliotheken bereiten Büchern immer wieder kollektive Schicksale, wie die Bibliothek des Schriftstellers Hans Fallada den mehr als 4000 Bänden, die er in einer der größten deutschen Autorenbibliotheken zusammentrug und wieder zerstreute. Zwischen beidem liegen Aufstieg und Sturz des Hans Fallada. Es war nicht nur eine umfangreiche, sondern auch eine wertvolle Sammlung. Sie umfasste zahlreiche Erstdrucke, Bibliophiles, Werkausgaben der Klassiker von Herder, Lessing, Jean Paul und Heine über Gottfried Keller bis zu Jacob Burkhardt, die sämtlichen Werke Machiavellis, die Schriften Friedrichs des II. in 13 Bänden, das »Grimmsche Wörterbuch«, Karl May in diversen Ausgaben. Im mecklenburgischen Haus des nach 1933 in Deutschland gebliebenen Hans Fallada hatten auch die Bücher der Emigranten ihren Platz. Heinrich und Thomas Mann, Alfred Neumann, Leonhard Frank, Emil Ludwig, Bruno Frank, Werfel, Remarque, Kafka. Im großen Wohnzimmer hatte er die liebsten und wertvollsten Gesamtausgaben stehen. In der Veranda stand die zeitgenössische Literatur. Im Obergeschoss die beiden »Giftschränke« mit den Krimis und den Werken des Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld. Überall standen die Bücher streng alphabetisch. Den größten Teil seiner Bibliothek hatte Fallada seit 1933 in den Antiquariaten gekauft, die meisten im Haus des renommierten Berliner Antiquars Wolfgang Keiper. Den gleichen Weg gingen sie wieder zurück, als Fallada 1946 in Berlin einen Käufer für seine Bücher suchte und ihn in Keiper fand. Das Antiquariat als Metapher des Lebens. Ein Ort des Bewahrens und zugleich der Auflösung. Das eine ohne das andere nicht denkbar. Im Frühjahr 1946 machte Fallada unter seinem bürgerlichen Namen »Rudolf Ditzen« mit Wolfgang Keiper eine Art Vertrag, der auf schlechtem Papier stand und mit fahriger Hand geschrieben war. Fallada / Ditzen nannte ihn ein »Abkommen«. Der Hauptsatz hieß: »Ditzen verkauft an Keiper Bücher seiner Bibliothek im Gesamtwert von möglichst 30 000.- RM.« Die Summe von 30 000 Reichsmark ist eine Schlüsselzahl. Im Februar hatte sie angefangen, Fallada zu beherrschen. Er klagte, einem Rauschgifthändler in die Hände gefallen zu sein, der weit über 30000 Mark für eine Ware bekommen habe, die einen Handelswert von nicht 300Mark besaß. Die Drogensucht, die den jungen Mann beherrscht hatte, war in sein Leben zurückgekehrt. Als die Mehrzahl der Kollegen 1933 emigrierte, war Fallada geblieben. Es sollte ein schrecklicher Irrtum sein. Fallada wurde in die Unerheblichkeit getrieben. Die Eruption eines Dichters, die 1931 mit »Bauern, Bonzen und Bomben« und 1932 mit dem Weltbestseller »Kleiner Mann, was nun?« spektakulär begonnen hatte, ging weiter, nun selbstzerstörerisch nach innen gekehrt. 1944 zerbricht seine Ehe mit Anna, dem »Lämmchen«, der Frau, die ihm seit 1928 Halt gegeben hatte. Die junge Ursula Losch tritt in Feldberg an ihre Stelle und bringt das Rauschgift in sein Leben zurück. Mit ihr geht er im Sommer 1945 wieder nach Berlin, das er vor zwölf Jahren verlassen hat. Fallada und seine Frau sitzen ohne Zuzugsgenehmigung und Lebensmittelkarten in Berlin, bis Becher Fallada aufstöbert, ihm Lebensmittelkarten, Arbeit und ein Haus in Pankow beschafft. Aber genug ist nicht genug. Ursula Losch macht Schulden über Schulden, und Fallada verkauft, was sich verkaufen lässt. Zum Beispiel seine Bücher. Bücher waren Falladas Obsession. Er schrieb sie besessen, und er sammelte sie besessen. Als er zum Toresschluss der Weimarer Republik glorreich mit dicken Honoraren in der Literatur auftauchte, kaufte er, was er immer gern besessen hätte. Er kaufte sich Bücher wie ein Haus, die Einrichtung dafür, ein Auto, Bienenstöcke. Den befreundeten Verleger Rowohlt hatte er 1923 um die sechs Bände Balzac gebeten, die bei Rowohlt erschienen waren. Rowohlt zahlte für den Versand 116760000000Mark Inflationsporto. Mit Verachtung hatte Fallada die Bücherschränke der Agrarier betrachtet, denen er in den Inflationsjahren diente. Als ihn die »Literarische Welt« 1923 fragte »Was liest man eigentlich in Hinterpommern?«, attestierte Fallada seinen Gutsbesitzern, sie könnten nicht lesen, weil sie nicht denken wollten. Einen Teil der frühen Büchersammlung stellten Falladas Rezensionsexemplare. 1931 ist ungewiss, ob der Roman »Bauern, Bonzen und Bomben« ein Erfolg werden würde. Fallada schreibt Buchkritiken. Das bringt ein bisschen Geld. Er schreibt sie weiter, als der »Kleine Mann« in den Buchläden liegt und viel Geld fließt. Es wurden reichlich zwanzig Kritiken. »Talent ist Selbstverständlichkeit«, zitierte er Erich Kästner in einer Besprechung eines Kästner-Buches und setzte hinzu: »Aber auch Fleiß ist Selbstverständlichkeit«. Der Kritiker Fallada durchmusterte ein ansehnliches Stück Literatur. Es finden sich die bekannten Namen: Erich Kästner, Irmgard Keun, Peter Martin Lampel, Erich Maria Remarque, Günter Weisenborn, Ernest Hemingway, Sinclair Lewis. Und die unbekannten wie die einer Lotte Braun oder eines O. A. Palitzsch. Bücher sammeln tröstet ihn in den Nazijahren. Er lässt sie sich gern schenken, er kauft, wo er kann. Mit dem Kriegsbeginn 1939 hat er allerdings aufgehört, »Zeitgenössisches« zu kaufen. Das Antiquariat durchforscht er jetzt verstärkt nach Klassiker-Erstausgaben. Er registriert, dass er zu seinem 50. Geburtstag 1943 einhundertdreiundsiebzig Bücher geschenkt bekommen hat. Ein Widmungsexemplar von »Mit Hundert Jahren noch ein Kind ...« des Kollegen Hans Reimann ist darunter. Ein höchst dubioser Kollege, dieser sächsische Humorist, der sich bedenkenlos den Nazis angebiedert hatte und der im SS-Blatt »Das schwarze Korps« zu lesen war. Am 7. Juli des nächsten Jahres schreibt Fallada seinem Antiquar Keiper: »Am 21. Juli feiere ich meinen Geburtstag, allgemach werde ich 51 Jahre, trete also ins 52. rin. Die letzten Monate waren trübe umwölkt, um so stärker ist mein Bedürfnis, diesen Tag zwar nicht zu feiern, aber doch meinem alten Herzen einen kleinen Trost zuzuführen ... Wollen, mögen, können Sie mir zu diesem Tage ein Paket oder ein Paketchen oder ein Päckchen oder ein Kolli oder einen Lastzug oder einen Lastensegler mit etwas Hübschem, Guten senden?« Die Trennung von der geliebten Büchersammlung leitet Fallada in Berlin mit Skrupeln ein. Im Dezember 1945 hat er noch dem Antiquar Keiper geschrieben: »Die Bücherei im Ganzen wird nicht verramscht werden, wohl aber habe ich abzugeben: Kunst und Künstler, fast alles, was erschienen ist, in den Original Pergamentbänden. Weiter alles, was von Paracelsus da ist. Sie kennen meine Ausgabe, und vielleicht das Grimmsche Wörterbuch, teils in den Lederbänden, teils in Leinen, teils in Lieferungen, aber restlos komplett«. Im Frühjahr 1946 ist dann alles anders als im Dezember 1945. Jetzt muss alles schnell weg. Inmitten aller Katastrophen kann Fallada immer erstaunlich penibel sein. Die Abwicklung des Geschäftes mit Keiper legt der ehemalige Gutsrendant penibel in Listen und Punkten fest. Die Bücherliste ist das melancholische Inventarverzeichnis der verschwundenen Bibliothek. Die Bücher sollen zu den »üblichen Preisen« verkauft werden. Am Ende kommt Fallada zu der Summe von 14 000 Reichsmark. Ursula Losch verramscht inzwischen seine Karl-May-Bücher an eine Pankower Leihbibliothek. Lessing 2 Bände 150.- Friedrich der Große 13 Bände a 20.- Gottfried Keller 5 Bände a 4.- Bürger Werke 16.- Heinrich Mann »Macht und Mensch« 2.- Grimmsches Wörterbuch 1600.- Zeitschrift »Pan« 1500.- 15 französische Autoren a 3.- Punkt 1) 1000.- M. werden auf Vorschuß am 4.5. gezahlt. Punkt 2) 500.- M werden auf erfolgten Verkauf laut Sonderliste am 5.5. gezahlt. Und so weiter und so weiter. Bei Punkt 7 war die ganze Summe von 14 000 Mark erreicht. Die Hauptsache am Geschäft fehlte allerdings noch. Fallada war in Berlin und die Bücher weiter im mecklenburgischen Haus in Carwitz. Keiper bekam nervöse Briefe. 20.6.1946: »Heute komme ich vor der endgültigen Abrechnung noch einmal zu Ihnen. Meine Frau wird Ihnen meine Bitten, die sich um die 1000 RM und etwa 500 Zigaretten als Tauschware drehen, vortragen.« 24.6.1946: »Seien Sie noch einmal rasch hilfreich, sonst sind alle diese Vorbereitungen umsonst gewesen, und es kann wochenlang dauern, bis ich durch die Tagespresse mir das heute fehlende Geld mühsam zusammengeschrieben habe.« Gleich morgen, kündigt er an, würden die Bücher geholt, »und am Ende dieser Woche oder doch der nächsten Woche können wir das Konto Fallada bei Keiper (Wolfgang) glattstellen«. Fallada selber kann den Büchertransport nicht besorgen. Ursula Losch soll ihn bewerkstelligen. Fallada liegt mit schweren Entzugserscheinungen nach einem Selbstmordversuch in einem Berliner Hilfskrankenhaus. Aus dem Krankenhaus hört am 7. Juni der 15-jährige Sohn Ulrich, der sich im leeren Pankower Fallada-Haus allein durchs Leben schlägt: »Heute kam ein Paket mit Neuerscheinungen aus dem Aufbau-Verlag (aber ohne alle Zigaretten), sie interessieren mich samt und sonders nicht, so kannst du sie schön an Nagel verkloppen, der ja für diese Neuerscheinungen gute Preise zahlt«. Gute Preise für Bücher kann man 1946 durchaus bekommen. Bücher sind nach dem Krieg gefragt und begehrt. Viel ist verloren gegangen. Manchmal sind sie sogar eine Währung. Fallada erreichen zahlreiche Bitten, zu verlorenen Büchern und Bibliotheken zu verhelfen. Im Februar ist ihm aus dem bayrischen Sexendorf, Post Kitzing, geschrieben worden: »Bitte vielleicht ist es möglich, daß ich ein Roman-Buch von Ihnen geschrieben erhalten könnte. Ich bin total bombengeschädigt und wohne jetzt in einem kleinen Dorf, wo nicht mal ein Radio zu hören ist und auch keine Bücher zu lesen sind. Besitzte mal eine Bibliothek-Sammlung von 120 Büchern. Ich bin Klavierlehrerin aus Riga. Deutsche, kein NSDAP-Mitglied. Bitte, Herr Fallada, vielleicht schreiben Sie mir ein Bescheid, wo ich ein Buch von Ihnen käuflich erhalten kann. Frau A. Gasperssohn.« Ein gewisser Herr Kraemer, Betreiber einer Forschungsgemeinschaft Burgberg, lässt aus dem sächsischen Dahlen wissen, dass er ein »Liebhaber« seiner Bücher sei, beim Bombenverlust der eigenen Bibliothek leider aber auch »Bauern, Bonzen und Bomben« eingebüßt habe. »Wenn Sie mir davon ein Exemplar dezidieren würden, bin ich bereit, Ihrer Gattin mit Artikeln unserer Nährmittelabteilung unter die Arme zu greifen.« Fallada berappelt sich ein leztes Mal. Im Juli 46 hat er die Krankenhäuser hinter sich gelassen, im August den Roman »Der Alpdruck« abgeschlossen, und er sitzt wieder an einem neuen Buch, das »Jeder stirbt für sich allein« heißen wird. Die wunderbare Aussicht tut sich auf, das Vertane zurückzugewinnen, die geliebte geschiedene Frau, die verschleuderte Bibliothek. In diesem September schreibt er seinem »Lämmchen«: »Jedenfalls ist mir klar, daß alle meine Arbeitskraft bei Ulla verlorengehen würde ... « Und Keiper, der Antiquar, hört am 20. Dezember: »... das haben Sie nun davon: mein Sohn hat ein so gutes Zeugnis nach Haus gebracht, daß ich meinen hübschen alten E. T. A. Hoffmann mit den Stichen ihm schenken mußte und nun sind Sie verurteilt, mir einen neuen alten zu besorgen ... Und überhaupt, ich möchte so halb und halb einige Rückkäufe tätigen. Wie wäre es: wollen Sie mich nicht einmal in meiner munteren Stille besuchen ... Wir könnten gemeinsam singen oder auch allein.« Die Frau kommt nicht zurück, und die Bücher kommen nicht zurück. Anna Ditzen hat fünfzehn Jahre mit ihm gelebt. Aber neue gemeinsame Jahre traut sie sich und ihm nicht zu. Und Fallada und Keiper haben auch keine Zeit mehr. Sechs Wochen nach dem Brief an seinen Antiquar ist Fallada tot. Der 5. Februar 1947. Noch nicht das Ende unserer Geschichte. Ein Buch der Sammlung kam zurück, die unerkennbar in den Bücherborden und den Bibliotheken steht, denn der akkurate Fallada mochte keine Kennzeichnung in seinen Bücher vornehmen. Kollege Hans Reimann hatte ja Fallada zum 50. Geburtstag im Juli 1943 seinen Feuilletonband »Mit hundert Jahren noch ein Kind ...« geschenkt. Reimann schrieb als Widmung: »Für Hans Fallada - mit herzlichen Grüßen von Hans Reimann. Man lese wenigstens S. 25!« Auf S. 25 gibt es ein Rotstiftkreuz und den Satz: »Und könntest du sauere Gurken knabbern und geschenkte Blumen im letzten Fallada pressen ...« 40 Jahre später war der unerhebliche Eintrag zu erheblicher Bedeutung gereift. Er identifizierte das Buch für einen Potsdamer Antiquar als zur verlorenen Fallada-Bibliothek gehörig. Über Reimann hatte Zuckmayer 1943 in seinem geheimen Report für die amerikanischen Behörden geschrieben: »Hans Reimann ist von allen Nazikreaturen die übelste Erscheinung. Er ist der geborene Leichenflederer...« Nach 45 bekam Fallada einen, vergeblichen, Brief von Reimann, für ihn bei der »Entnazifizierung« auszusagen... - Der Bibliothekar rief mich an, er wusste, daß ich eine Fallada-Biografie geschrieben hatte. Wie gern wär ich diesem Fallada einmal wirklich begegnet. Ab...

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