Weniger links, weniger sozial

Parteienforscher: Entweder Große Koalition oder Neuwahlen

  • Lesedauer: 5 Min.
Carsten Koschmieder ist Parteienforscher am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Über die Auswirkungen der abgebrochenen Koalitionsgespräche zwischen SPD und Grünen in der Hauptstadt, mögliche neue Optionen und bundespolitische Signale sprach mit ihm ND-Mitarbeiterin Gabriele Oertel.
ND: Die SPD in Berlin hat heute das Scheitern der Koalitionsverhandlungen mit den Grünen bekannt gegeben. Sind Sie davon überrascht?
Koschmieder: Ja.

Sie haben mehr Durchhaltevermögen erwartet?
Dass die Autobahn ein Problem wird, war seit Beginn der Sondierungsgespräche für alle offensichtlich. Ich hätte aber gedacht, dass die beiden Parteien bei diesem einen Problem einen Kompromiss finden – weil die Alternativen ja nicht schön sind. SPD und Grüne passen inhaltlich viel besser zusammen als SPD und CDU, und im Prinzip sprach alles für Rot-Grün. Ich war selbst auf der Landesdelegiertenkonferenz der Grünen am Freitagabend. Da wurde zwar auf die SPD geschimpft, die mit den Grünen nicht nett umspringt – aber dennoch war die Lust aufs Mitregieren zu spüren und ich hatte den Eindruck, dass es möglich wäre, über diese Hürde zu springen.

Jetzt wird von vielen Rot-Schwarz erwartet – oder kann das auch noch scheitern?
Das kann natürlich scheitern. Aber rechnerisch ist die Große Koalition die einzige sinnvolle Konstellation. Theoretisch ginge auch irgendwas mit den Piraten, aber das ist sehr unwahrscheinlich. Wowereit wird definitiv nichts mit den politikunerfahrenen Piraten anfangen, das wäre viel zu riskant. Und die Piraten würden das vermutlich gar nicht wollen. Wie sollten die auch koalieren, die wissen ja gar nicht genau, was sie wollen.

Also steuert Berlin auf Rot-Schwarz zu?
Auf Rot-Schwarz oder Neuwahlen.

Neuwahlen schließen Sie nicht aus?
Die SPD wird jetzt mit der CDU verhandeln. Da wurde ja auch bereits sondiert und zumindest mit dem Landeschef Frank Henkel kommt Wowereit zurecht. Die CDU weiß natürlich, dass die SPD jetzt keinen anderen Partner mehr hat und kann dementsprechend den Preis in die Höhe treiben. Aber ob die beiden Parteien das schaffen und einen Koalitionsvertrag hinbekommen, kann ich nicht vorhersagen. Denn da gibt es viel mehr Streitpunkte als zwischen SPD und Grünen.

Zum Beispiel?
Zum Beispiel die Bildungspolitik und die Integrationspolitik. Und auch wenn zwischen beiden nicht der Weiterbau der A 100 strittig ist, gibt es heftige Differenzen bei Wohnungsbau, Mieten und, und, und.

Aber Rot-Schwarz hat einen großen Pluspunkt – die größere Stimmenzahl. Und erinnern wir uns, dass Klaus Wowereit 2006 erst im zweiten Wahlgang zum Regierenden Bürgermeister gewählt wurde. Vielleicht ist ihm diese Sicherheit mehr wert als alles das andere.
Das ist sicherlich ein Grund. Rot-Grün hatte in der Tat zwei Hindernisse, die Autobahn und die knappe Mehrheit. Das hängt natürlich miteinander zusammen. Hätten SPD und Grüne einen wunderbaren Koalitionsvertrag ausgehandelt, wäre die knappe Mehrheit kein Problem. Wowereit hat gesehen, dass ein irgendwie ausgehandelter Kompromiss bei der Autobahn ihm zwei, drei grüne Gegenstimmen einhandeln könnte. Da ist er mit der CDU auf der sichereren Seite. Aber, und das wird Wowereit mit Sicherheit wissen, einfach wird es mit der CDU nicht. Denn die Berliner CDU ist nicht nur Henkel, in der Reihe dahinter sind einige, mit denen Wowereit lieber nicht zusammen regieren wollte.

Weil die Hauptstadt-CDU sich noch nicht völlig von der Diepgen-Landowski-Zeit emanzipiert hat?
Ja, so kann man das sagen.

Noch einmal zur Option Neuwahlen. Wie realistisch sind die?
Ein großes Risiko, weil bei Neuwahlen prinzipiell die Parteien abgestraft werden, die der Wähler dafür verantwortlich macht, dass es Neuwahlen gibt: Das wären jetzt tendenziell die Grünen, vermutlich aber auch die SPD. Die Gefahr ist groß, dass mancher Wähler der SPD sagt,ihr hattet die Chance und habt es nicht hinbekommen und dann die Piraten und die LINKE stärker werden und die CDU sicherlich auch irgendwie gewinnen würde.

Haben die Grünen, die einmal angetreten waren, die Regierende Bürgermeisterin zu stellen, und dann wenigstens noch die A 100 verhindern wollten, schlicht zu hoch gepokert?
Sie haben einen sehr großen Fehler gemacht, sich mit der Stadtautobahn so festzulegen. Politik besteht nun mal aus Kompromissen und keine Partei kann alles umsetzen, was sie will – solange sie nicht die absolute Mehrheit hat. Berlin hat wahrlich viel größere Probleme.

Stimmt. Der Spitzenkandidat der LINKEN, Harald Wolf, hat immer im Wahlkampf gesagt, dass dank der LINKEN eine sozialere Politik in Berlin stattgefunden hat und man in der Konstellation mit der CDU einen ganz anderen Wowereit kennen lernen werde. Falsch?
Wowereit wird auch in einer Großen Koalition ein großes Gewicht behalten. Aber natürlich ist Regierungshandeln immer ein Kompromiss aus den Programmen der regierenden Parteien. Eine Koalition mit der CDU wird folgerichtig mehr nach rechts gehen als die Koalition mit der LINKEN. Allerdings ist die CDU in Berlin für CDU-Verhältnisse modern, Roland Koch oder Stefan Mappus prägten eine wesentlich konservativere CDU. Insofern würde der Wechsel zu Rot-Schwarz nicht so dramatisch ausfallen. Aber natürlich wird es einen Wechsel geben. Hin zu weniger links, weniger sozial.

Welche bundespolitischen Signale gehen denn von Berlin jetzt aus? SPD und Grüne träumten schon von der Neuauflage von Rot-Grün im Bund. Hat es sich ausgeträumt?
Nein. Dass es in Berlin mit Rot-Grün nicht klappt, hat ja offensichtlich ganz spezielle Berliner Gründe. Also einmal die Autobahn und dann das offensichtlich fehlende Vertrauen zwischen SPD- und Grünen-Spitzenpolitikern nach Wowereits Entscheidung für die Fortsetzung von Rot-Rot 2006.
 Natürlich würde es für 2013 besser aussehen, wenn SPD und Grüne aus Berlin in zwei Jahren eine erfolgreiche Arbeit vorführen und sagen könnten: Seht her, Rot-Grün funktioniert wunderbar. Und natürlich kommt jetzt auch zum Abschluss des Superwahljahres für die CDU ein positives Signal und wird von ihr sicherlich im anstehenden Bundestagswahlkampf heftigst genutzt werden – um die Angst zu schüren und Rot-Grün zum Chaos zu erklären.
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