Wenn es um 4.20 Uhr an der Tür klopft

Hamburger Roma-Familien droht Abschiebung

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
In Hamburg leben derzeit 1500 Roma mit unsicherem Aufenthaltsstatus. Ihnen droht die Abschiebung - auch Schwerkranken wie dem dreifachen Familienvater Boban Racipovic (41). Er hofft auf eine Aussetzung der Abschiebung in den Wintermonaten.

Seit Frühjahr 2010 ist es nach EU-Recht möglich, visumfrei in den Schengenraum einzureisen. Viele Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien nutzten diese Möglichkeit und kamen nach Deutschland. Sie durften zunächst bleiben, aber nicht arbeiten. Viele stellten Asylanträge, die mittlerweile abgelehnt wurden. Im Gegensatz zu Schwarz-Grün schieben die inzwischen in Hamburg allein regierende Sozialdemokraten konsequent ab - auch Kranke.

Vor drei Wochen stürmten Beamte von Polizei, Zoll und Ausländerbehörde in Begleitung eines Arztes die Wohnung des Ehepaares Sakipovic um 4.20 Uhr in der Unterkunft am Billstieg. Jowanka Sakipovic ist schwer krank und hat ohne ärztliche Behandlung nur geringe Überlebenschancen. »Die Ausländerbehörde schert das nur insoweit, dass sie zur Abschiebung einen Arzt mitschickt«, kritisiert der Flüchtlingsrat.

Ein ähnliches Schicksal droht dem krebskranken Boban Racipovic. Der behandelnde Tumorspezialist Dr. Karl Verpoort erklärt, die Weiterbehandlung seines Patienten im Heimatland sei »praktisch unmöglich« und warnt: »Ohne entsprechende Hilfe wird Herr Racipovic in absehbarer Zeit an seinem Tumorleiden sterben.« Verpoorts Appell an den Petitionsausschuss der Bürgerschaft, Racipovic das Bleiberecht zu gewähren, wurde nicht erhört.

Das Bundesamt für Migration sieht »wirtschaftliche Gründe« für die Eineise und lehnte den Asylantrag der fünfköpfigen Familie ab, die Eingabe bei der Hamburger Bürgerschaft wurde negativ entschieden. Nun setzt die Familie ihre Hoffnung auf das beim Hamburger Verwaltungsgericht anhängige Widerspruchsverfahren.

Boban Racipovic ist serbischer Staatsangehöriger. Er ging mehrere Jahre in Hamburg zur Schule, wo er zunächst bis 1997 lebte. Sein Vater war als Gastarbeiter in die Hansestadt gekommen und lebt dort heute als Rentner. Zwei Kinder wurden 1995 und 1997 in Hamburg geboren. Racipovic, der nach seiner zwischenzeitlichen Rückkehr nach Serbien ein Lebensmittelgeschäft führte, begründet seinen Asylantrag mit politischen Schwierigkeiten in seiner Heimatstadt Vranje Banka. Dort regiere die Sozialistische Partei, er habe sich aber bei der demokratischen Partei DOS engagiert. Außerdem sei einer seiner Töchter der Zugang zu einer höheren Schule verwehrt worden, weil sie dem Volk der Roma angehöre.

Racipovic spricht perfekt deutsch, seine Töchter Bonita (19) und Selenora (16) besuchen die Schule, machen Sprachkurse, streben eine Lehre als Hotelfachfrau und Krankenschwester an. Der musikalisch hoch begabte Sohn Usko (14) spielt so gut Saxofon, dass ihn die Staatliche Jugendmusikschule ohne Prüfung aufnahm. »In Serbien haben wir keine Zukunft, dort bin ich nicht einmal krankenversichert«, sagt Racipovic, der in diesen Tagen die Chemotherapie beginnt.

Seine Anwältin Sigrid Töpfer strebt zunächst die vorübergehende Duldung an: »Boban ist nicht reisefähig. Über die politischen Gründe kann man streiten, nicht aber über die lebenswichtige Notwendigkeit der Krebsbehandlung.« Die bisherige Haltung der SPD in ausländerrechtlichen Dingen bezeichnet Töpfer als »sehr hart, teilweise sogar skrupellos«.

Ein Hoffnungsschimmer ist die Aussage von Senatssprecher Christoph Holstein: »In den Wintermonaten soll in Hamburg nicht abgeschoben werden.« Dies sei aber nicht rechtsverbindlich. Die Grünen, LINKE, Gewerkschaften und der Flüchtlingsrat fordern das Bleiberecht für die Betroffenen.

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