Dicht an dicht: ICH LIEBE DIR

Hansgeorg Stengel ist sage und schreibe 80

  • Hanno Harnisch
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
So richtig fuchsig kann er werden: Zum Beispiel, wenn jemand seinen Vornamen Hans Georg schreibt. Oder wenn ein Journalist Chronik mit Chronologie verwechselt. Darüber könnte man ja noch streiten. Aber dass der Grandseigneur des ostdeutschen Nachkriegsepigramms richtig geschrieben werden muss, versteht sich eigentlich von selbst. Also, allem voran, verehrtester Hansgeorg Stängl: Glückwunsch zum Quatre-vingtième, wie der Franzose charmant den Achtzigsten umschreibt: vier mal zwanzig!
Sprache ist Rohmaterial für unseren Jubilar und jeder, der sie verhunzt, ein Rohling. Der Dichter als Schmied. Als Menschenbildner und Menschenbilder. Und das alles zusammen ist so höchst unterhaltsam, dass Generationen von DDR-Bürgern gerne durch die Schule der Stengelschen Gebrauchsgedichte gegangen sind. »Spitze Verse, runde Sache«, so überschrieb diese Zeitung 1982 den Geburtstagsartikel zum 60. »Witz und Wortspiel - die "feine stenglische" Art«, das war die Überschrift zum 65. »Wortadella fürs tägliche Brot« schließlich war über dem Festartikel zum 75. zu lesen. Und auch heute wollen wir ihn feiern. Indem wir uns (und ihm) nützen. Und wie geht das am besten? Natürlich mit der Lektüre seines neuesten, mittlerweile 50.(!) Buches. Herausgekommen wie so viele im Eulenspiegel Verlag und geboten unbescheiden - und nicht der Wahrheit verpflichtet - mit »Dicht an dicht: sämtliche Gedichte« überschrieben. Sie sind vom Autor nicht nur alle verfasst, sondern auch höchstselbst hier und da mit dem Erstdruckjahr versehen worden, sodass eine sehr vergnügliche Revue passiert von den kleinen und größeren Unzulänglichkeiten des Sozialismus in den Farben der DDR. Und da viele der Gedichte auch irgendwann schon mal im »Eulenspiegel« oder einem anderen Organ der sozialistischen Massenagitation und Unterhaltung abgedruckt waren, stellt sich auch dieses oder jenes Déjà-vue-Erlebnis ein, welches von Mitbürgerinnen und Mitbürgern westlicher Provenienz doch allzu gerne als Ostalgie verschrieen wird. Dabei hat der Verlag in geradezu rührender Weise eben an diese Brüder und Schwestern gedacht, indem er in Fußnoten erklärt, dass Bino oder Erwa DDR-Speisewürzen waren.
Aber nicht mäkeln will ich am Werk sondern Makeln, was das Zeug hält. Denn schließlich sollen Bücher abgekauft und gelesen werden! Und nicht nur Autoren wollen von Rezenten gelobt werden, nein, auch Rezensenten sehnen sich nach Wärme. Wie heißt es da doch im Gedicht: »Heizt ihnen kräftig ein, den Rezensenten!/ Beschädigt ihren angemaßten Rang./ Entlarvt und geißelt ihren permanenten/zur Nörgelei erstarrten Geltungsdrang./Schlagt sie aufs Haupt, die mausetoten Hosen,/ Banausen, die, auf beiden Augen blind,/ mit ihren Analysen und Prognosen/ ein Bremsklotz attraktiver Dichtung sind./ Schießt sie zum Mond und arretiert sie oben,/ die Strolche dreister Besserwisserei./ Zerkrümelt sie wie lästige Mikroben./ Haut sie vors Schienbein. Federt sie. Es sei - /es sei denn, daß sie euch statt tadeln loben.«
Also loben. Gerne. Kaufempfehlung abgeben. Hiermit wiederholt geschehen. Aber darfs auch ein klitzekleines Quäntchen Analyse sein am Jubeltage? Also: Männer haben bei H.St. fast durchgängig nur Nachnamen, manchmal ergänzt durch Vornamen oder Tätigkeitsbezeichnungen. Etwa: »Behördenmensch King«, »Schwager Klauke«, »Bürgermeister Gerhard Schlemm« oder »Karl-Maria Brehme, Nachwuchsdichter aus Niederlehme«. Und Frauen? Logisch, die tragen fastimmer einen zum Gedicht oder zum Mann passenden Vornamen. Ich habe sie alleeinmal (auch die Männernamen und die dazugehörenden Reime) herausgeschrieben, und allein dieses Exzerpt hintereinander ergibt geballte Freude. Von »Annerose«, die sich auf »Spraydose« reimt, über »Liselotte - Urgroßmotte« bis zu »Sibylle«. Apropos: Im gleichnamigen Café in der Berliner Karl-Marx-Allee fand vorigen Donnerstag die Buchpremiere statt. Die Stühle reichten nicht. Heute vormittag gratulieren im Palais am Festungsgraben in Berlin geladene Freunde dem in Greiz geborenen Dichtersmann, der fast vor vier Jahren Alterspräsident des Bundestags geworden wäre. Da fehlten nur ein paar Prozent im Altenburger Direktwahlkreis. Was für eine Rede wäre das geworden!

Hansgeorg Stengel: Dicht an dicht: sämtliche Gedichte. Eule...

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