LED kontra Glühstrumpf

Der Berliner Senat will die Gaslaternen aus dem Stadtbild entfernen / Protest vom Denkmalsverein

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 3 Min.
Kandelaber in der Karl-Marx-Allee
Kandelaber in der Karl-Marx-Allee

Berlin will nicht mehr lange fackeln. Auf Basis des vor einem halben Jahr vorgestellten Lichtkonzepts für die Stadt möchte der Senat die historischen Gaslaternen nicht nur abschalten und auf Elektrizität umrüsten, sondern auch abbauen und durch historisierende Nachbildungen ersetzen. Insgesamt 44 000 an der Zahl in 2800 Straßen - von Frohnau bis Zehlendorf, von Britz bis Treptow-Köpenick. Nur noch in ländlichen Gegenden der Millionenstadt sollen Gaslaternen weiter leuchten. Ansonsten heißt es: LED und Co. kontra Glühstrumpf.

Diese Pläne rufen den Unmut der Vereinsmitglieder von »Denk mal an Berlin« hervor. Die Entscheidung sei kein leuchtendes Beispiel für die Stadt, so Gründungsmitglied Elisabeth Ziemer. »Mit diesen über 44 000 historisch mit der Stadt und ihrer Bausubstanz gewachsenen Gasbeleuchtung steht Berlin einzigartig in Europa da«, sagt Ziemer. Eine solch hohe Anzahl gebe es kein zweites Mal. Deshalb bezeichnet der Verein die Gasbeleuchtung als »Besonderes Denkmal«.

Gerade in Berlin gebe es noch eine Vielzahl von verschiedenen Laternentypen - von der Modellleuchte aus den Jahren 1893/94, im Volksmund »Schinkelleuchte« genannt, über Hängeleuchten, Aufsatzleuchten und Reihenleuchten. Der Verein »Denk mal an Berlin« kritisiert den Senat in diesem Zusammenhang auch, weil allein die Schinkelleuchte auf wenigen Dorfangern erhalten bleiben soll. Von ihr existieren in Berlin noch etwa 1200 Exemplare.

In der Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU vom 23. November heißt es: »Mit der Umsetzung des Lichtkonzepts für die öffentliche Beleuchtung wollen wir einerseits die Ansprüche und Sicherheit und Orientierung gewährleisten und gleichzeitig schädliche Folgen von Licht für Menschen und Tiere mindern. Aus klimapolitischen Gründen wie auch wegen der Kostenentwicklung wird die Koalition den Gasleuchtenbestand auf Elektroleuchten umrüsten, mit Ausnahme der historischen und denkmalgeschützten Gasleuchten.«

Ziemer hält dagegen: »Historisch sind alle Gasleuchten.« Und die vom Senat angeführte Kosteneinsparung von Millionen Euro jährlich steht sie skeptisch gegenüber: »Man muss doch mal gegenrechnen, was die gesamte Umrüstung samt Abbau und Nachbildungen kostet. Das sei wirtschaftlicher Unsinn. Außerdem rotten die abgehängten Systeme im Erdboden dann vor sich hin.« Zudem gebe es bislang keine Ökobilanz.

Zur Umrüstung der Laternen sagt Mathias Gille, Pressesprecher der zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: »Gasreihenleuchten verbrauchen 51,7 Gigawattstunden. Bei gleichem Beleuchtungsniveau verbrauchen elektrisch betriebene Leuchten nur 1,9 Gigawattstunden. Alle Gasleuchten zusammen verbrauchen 207 Gigawattstunden. Nach Umrüstung allein der Gasreihenleuchten spart das Land Berlin jährlich rund 2,4 Millionen Euro Energiekosten und etwa 1,6 Millionen Instandhaltungskosten. Bei den anderen Gasleuchten rechnen wir mit einer Energiekosteneinsparung von 90 Prozent.«

Auch das Argument der Klimapolitik überzeugt die Vereinsmitglieder nicht. »Gas wird heute noch in großen Mengen von Betrieben und in Wohnhäusern verwendet. Die Anlagen sind auf dem neuesten Stand und keine Klimakiller. Das müsste bei den Gaslaternen doch auch möglich sein.« Man sei durchaus nicht gegen das Lichtkonzept. Verkehrsstraßen müssten nun einmal anders beleuchtet werden als Wohnstraßen. Doch das Konzept sei ein theoretisches Gerüst, die Umsetzung etwas anderes. Sonst entstehe »Lichtchaos«. Mit Licht müsse inszeniert und damit auch die Architektur hervorgehoben werden.

Kritik üben die Vereinsmitglieder auch am Licht der elektrisch betriebenen Leuchten. Beispiel: das Modell »Jessica«, das die Laternen aus den 50er Jahren ersetzen soll. Viel zu grelles Licht und die Form zu eckig, so die Meinung von »Denk mal an Berlin«. Gaslicht dagegen sei wohltuend.

Der Vorschlag des Vereins zur Rettung der Berliner Gaslaternenvielfalt ist es, ein Moratorium einzuberufen und die Umrüstung von Gas auf Elektrizität zu überdenken. »Wir sollten mal innehalten«, meint Ziemer. Und ihre Mitstreiterin, Geschäftsführerin Agnete von Specht, sagt dazu: »Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis am größten.«

www.denk-mal-an-berlin.de; Lichtkonzept: www.berlin.de

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