Werbung

»Senat zerstört sozialen Zusammenhalt«

Hamburg will weniger Ein-Euro-Jobs - diese sind umstritten, sichern vielen Projekten aber das Überleben

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) senkt die Zahl der Ein-Euro-Jobs. Träger und Einrichtungen fürchten schlimme Konsequenzen.
Streicht der Hamburger Senat Mittel, bleiben viele Suppenkellen unbenutzt.
Streicht der Hamburger Senat Mittel, bleiben viele Suppenkellen unbenutzt.

Eines muss man Nicole Serocka lassen: Sie antwortet offensiv. Die Pressesprecherin der Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration ist in diesen Wochen eine gefragte Frau. Seit der Plan von Sozialsenator Detlef Scheele, die Ein-Euro-Jobs in Hamburg im nächsten Jahr von aktuell 6150 auf 3900 Plätze abzusenken, publik wurde, schlagen Träger und Einrichtungen Alarm.

Serocka verweist auf die Kürzung von Bundesmitteln für Ein-Euro-Jobs: Sie sänken 2012 im Vergleich zu 2010 um 41 Prozent (von 188 auf 111 Millionen Euro). Die Zahl der Ein-Euro-Jobs reduziere sich somit um 61 Prozent (von 10 000 auf 3900). Dennoch investiere Hamburg mehr in seine Langzeitarbeitslosen als unter dem schwarz-grünen Vorvorgängersenat, stocke zum Beispiel die Mittel für Bildungsmaßnahmen um 16 Millionen Euro auf, betont die Behörden-Sprecherin. Außerdem sei die Stadt »nicht auf Einrichtungen angewiesen, in denen ausschließlich oder zum größten Teil Ein-Euro-Jobber beschäftigt sind«. Die Versorgung bedürftiger Menschen sei nirgendwo in Hamburg von Ein-Euro-Jobs abhängig. Die Senkung auf 3900 Plätze entspreche dem »tatsächlichen Bedarf für den Personenkreis der Arbeitslosen, die zwei Jahre und länger arbeitslos sind und mindestens zwei weitere Einschränkungen, z.B. gesundheitlicher Art, mitbringen.«

Etliche Hamburger Einrichtungen stehen nun vor dem Aus, darunter Suppenküchen, Fahrradstationen oder Servicehäuser. Sozialarbeiterin Carmen Krüger schüttelt den Kopf, wenn sie daran denkt. Sie leitet drei Projekte des Trägers »Mook wat« im Stadtteil Dulsberg. Darunter befindet sich der »Pottkieker«, die beliebte Stadtteilküche. Sechs Frauen kochen für die Gäste, ein Gericht kostet 2,80 Euro. »Einige Ein-Euro-Jobberinnen konnten wir in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln. Und wir stärken das Selbstbewusstsein der Frauen«, erklärt Krüger: »Der Kontakt untereinander und mit den Kunden hilft ihnen. Sie sind mit ihren häufig komplexen Problemen nicht mehr allein.« Das gelte im Übrigen auch für die Gäste. »Bis zu 120 Menschen kommen täglich her. Diese soziale Zusammengehörigkeit zerstört der Senat nun«, sagt Krüger, die sich auf die Unterstützung des Stadtteils verlassen kann.

»Vor drei Wochen gab es eine symbolische Besetzung des Pottkiekers. Ein blinder Gast sagte mir traurig, er komme seit Jahren her und könne gar nicht woanders hin«, so Krüger. Dennoch droht zum 1. Januar 2012 die Streichung des Projekts. Als Alternative wurde von Senator Scheele das benachbarte Hotel »AquaSport« ins Spiel gebracht. Dort kostet ein Essen jedoch 7,50 Euro. Mittlerweile ist der Plan wieder vom Tisch.

Zittern muss auch das seit zehn Jahren bestehende Laurens-Janssen-Haus des Trägers »Passage« in Wilhelmsburg. 50 Ein-Euro-Jobber arbeiten hier. Neben einem Stadtteilrestaurant gibt es unter anderem eine Jobbörse und einen Schreibservice. Geholfen wird auch bei der Gestaltung von Lebensläufen und Bewerbungen - vielleicht nur noch bis Jahresende. »Wir haben sehr viel erreicht«, sagt Leiterin Birgit Veyhle. Sie sieht sogar einen höheren tatsächlichen Bedarf an Ein-Euro-Jobs. »Nicht jeder Mensch hält dem Druck des ersten Arbeitsmarktes sofort stand. Viele müssen erst stabilisiert werden und neues Selbstbewusstsein aufbauen. Dafür sind wird da.«

Nun muss sie sich wie ihre Kollegin Krüger darauf vorbereiten, die Mitarbeiter zu entlassen. Kampflos will aber keine von beiden aufgeben. »Die Hoffnung«, sagt Veyhle«, »stirbt zuletzt.«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal