Der Beruf des Zinngießers stirbt aus

Der 69-jährige Lutz Werner aus Stahnsdorf ist vielleicht einer der letzten seiner Zunft

  • Marion van der Kraats, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Lutz Werner lötet in seiner Werkstatt einen Kerzenständer.
Lutz Werner lötet in seiner Werkstatt einen Kerzenständer.

Sonne, Mond und Sterne blinken im Kerzenlicht zwischen dem Tannengrün am Weihnachtsbaum. Als Gegengewicht zur Kerze pendeln Figuren die Balance aus. Vor 133 Jahren im Erzgebirge erfunden und patentiert, findet der Pendelkerzenhalter heute noch in der Weihnachtszeit viele Käufer. Für Zinngießer Lutz Werner in Stahnsdorf ist es einer der wenigen Momente, in dem sein Handwerk aus dem Schattenlicht tritt. »Unser Handwerk stirbt aus«, sagt der 69-Jährige. »Das Verständnis der Dinge ist anders geworden.«

Einst Gebrauchsgegenstand, gehörte Zinn später als Wandteller oder Krug in der Holzschrankwand zur schicken Einrichtung. Inzwischen verstauben die Erbstücke meist im Keller oder hoffen auf dem Flohmarkt auf Kenner. »Wir brauchen Zinn nicht«, meint Werner. Geht der 69-Jährige in Rente, wird seine Werkstatt dichtgemacht. So ist es bei den meisten Zinngießern.

25 derartige Betriebe gibt es nach Schätzung des Bundesverbandes des Deutschen Zinngießerhandwerks noch in Deutschland. »Zinn wird als Material oft unterschätzt, weil der Werkstoff insbesondere in den 80er Jahren einen Boom erlebte und der Markt regelrecht überschwemmt wurde«, sagt Sprecherin Gerda Kreiselmeyer. Der Verband versucht, junge Leute für das Handwerk zu gewinnen. Besonders optimistisch ist die Branche jedoch nicht.

Damit könnte es dem Beruf des Zinngießers ähnlich ergehen, wie beispielsweise einst dem Schirmmacher. Die industrielle Produktion hat die handwerkliche Fertigung abgelöst. »Im Mai 2008 wurde der Beruf aufgehoben, nachdem die letzten Ausbildungsverhältnisse 1993 abgeschlossen wurden«, schildert eine Sprecherin des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks.

Erschwert wird das Zinngießen durch die steigenden Rohstoffpreise. In den vergangenen Jahren haben sie sich verdreifacht. Ein Kilogramm kostet gegenwärtig 20 bis 22 Euro. Der Preis lag aber auch schon mal bei 30 Euro..

Rund sechs Tonnen Zinn hat Zinngießer Werner in den zurückliegenden Jahrzehnten verarbeitet, schätzt er. Späne, die an feinstes Lametta erinnern, werden immer wieder eingeschmolzen für den nächsten Guss. Daraus entstehen Krüge und Kerzenhalter, Serviettenringe oder kleine Teufelchen als Flaschenverschluss.

Werner erweitert sein Sortiment ständig. Inzwischen hat er neben Sonne, Mond und Stern auch Motive wie Schwein, Teddy und Eichhörnchen entworfen. »Die Pendelkerzenhalter wurden früher gerne statt Blumen als Mitbringsel zum Gänsebratenessen mitgebracht«, berichtet Werner. Darum heißen die Halter auch »Gänsebratenkerze«.

Für Dirk Lendowski sind die Kerzenhalter mit den Eichhörnchen das ideale Präsent für die Jahresabschlussfeier seines Berliner Radsportclubs. »Wir sind die Zehlendorfer Eichhörnchen - da passt das doch prima«, sagt er, als er seine Bestellung bezahlt. Auf ähnliche Begeisterung hofft Werner in der Vorweihnachtszeit in seiner alten Heimat Sachsen. Dort ist er bis zum vierten Advent in Dresden auf einem Weihnachtsmarkt zu finden.

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