Alles Vorurteile
Studie »Deutsche Zustände«: Rassismus nimmt zu
Die »Deutschen Zustände« des Forschers Wilhelm Heitmeyer erscheinen vorerst zum letzten Mal. Es gibt kein Geld mehr, um das Projekt zu finanzieren. Die aktuellen Ergebnisse: Die soziale Spaltung nimmt zu, Rassismus und wachsende Vorurteile gegenüber Behinderten und Arbeitslosen sind die Folge.
»Dieses Projekt wird dringender gebraucht denn je«, sagt Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD). Vor ihm auf dem Tisch im Haus der Bundespressekonferenz liegen zehn Bücher in zehn verschiedenen Farben. »19 Zentimeter Deutsche Zustände«, sagt Wilhelm Heitmeyer. Der Bielefelder Professor sitzt dem Projekt seit 2002 vor, am Montag stellten er und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den neuen Band der Langzeitstudie vor.
Einmal im Jahr befragten die Bielefelder Forscher repräsentativ 2000 Deutsche. Die Ergebnisse führten beinahe jedes Jahr zu einem Aufstöhnen in Politik und Medien - zu mehr oft nicht. In diesen Tagen löse das Buch »beschämende Assoziationen« aus, sagt Thierse mit Blick auf das sich ausweitende Netzwerk um die braune Zwickauer Terrorgruppe.
Das Syndrom der »Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit« - ein Begriff, den die Gruppe um Heitmeyer geprägt hat - beschreibt Vorurteile gegenüber religiösen Gruppierungen, gegenüber Menschen mit körperlichen Einschränkungen, aufgrund der sexuellen Orientierung oder aus sozialen Gründen. Dem zugrunde liegt eine »Ideologie der Ungleichwertigkeit von Menschen«. Woher diese kommt und was sie beeinflusst, das ist der Forschungsgegenstand der »Deutschen Zustände«.
Der aktuelle Band präsentiert ein besorgniserregendes Bild. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit sowie die Abwertung von Obdachlosen, Behinderten und Langzeitarbeitslosen sind seit 2009 wieder signifikant angestiegen. Antisemitismus, Sexismus und Homophobie nehmen dagegen seit 2002 ab, die Islamfeindlichkeit bleibt gleich. Große Sorgen bereiten Heitmeyer die ansteigende Akzeptanz von und die Bereitschaft zu Gewalt - wobei das Gewaltpotenzial von rechts deutlich höher sei als von links. Fast die Hälfte der Deutschen sieht den Zusammenhalt der Gesellschaft als stark gefährdet an, 50 Prozent stimmten der Aussage zu, Deutschland sei in einem gefährlichen Maße »überfremdet«. Ein Blick in die »Deutschen Zustände« schaffe keine »rosigen Aussichten«, sagt auch Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung, die das Projekt seit 2002 maßgeblich finanziert hat.
Aber: Der jetzt vorgestellte zehnte Band ist auch der letzte. So sehr alle Anwesenden betonen, wie wichtig es wäre, das Projekt weiter zu finanzieren - es ist kein Geld mehr da. Zwar gibt es Ideen für eine Fortführung des Projektes, aber noch keine konkreten zur Finanzierung. Neue Förderer werden dringend gesucht.
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