Der Thomas räumte auf und ab

Ex-Bezirksamtsmitarbeiter kassierte im großen Stil Bußgelder

  • Lesedauer: 3 Min.
Peter Kirschey berichtet aus Berliner Gerichtssälen
Peter Kirschey berichtet aus Berliner Gerichtssälen

Justitia ist überhaupt nicht vorweihnachtlich. Kein Glühwein im Gerichtssaal, keine stotternd vorgetragenen Kindergedichte - nur die knochentrockene juristische Rute für die großen und kleinen Sünder, die in der größten Aburteilungsfabrik Europas in Moabit auf der Anklagebank sitzen. Ob Thomas M. ein großer unter den Betrügern dieser Stadt ist, bleibt offen. Zu den ausgekochtesten gehört er in jedem Fall. Seit gestern wird ihm der Prozess gemacht.

Der 43-Jährige war viele Jahre Leiter des Allgemeinen Ordnungsdienstes im Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf. Und er war ein Fernsehstar. In der Dokuserie »Mein Revier - Ordnungshüter räumen auf« bei Kabel 1 zeigte er sich als außerordentlich aktiver Staatsdiener. Immer ein offenes Ohr für die Untergebenen, immer an den sozialen Brennpunkten des Bezirkes unerschrocken im Einsatz. Er mimte den gerechten Ordnungshüter und schulte an der Verwaltungsakademie junge Kader für den Außendienst.

Zu seinen Aufgaben gehörte es, einmal in der Woche die eingegangenen Bareinnahmen aus Parkvignetten, von Falschparkern, Hundekotsündern, Pinkelferkeln dem Tresor zu entnehmen und den Betrag auf das Konto des Bezirksamtes zu überweisen. Auch das tat er Woche für Woche gewissenhaft - aber nur fast. Statt das Bezirksamtskonto zu füttern, setzte er das seine ein. Und so flossen zwischen April 2006 bis Juli 2010 in insgesamt 175 Fällen um die 1500 Euro aus dem bezirklichen Tresor in seine Taschen. Es waren immer unterschiedliche Summen. Es sollte ja nicht auffallen. Es fiel nicht auf. Niemand im Bezirksamt bemerkte, dass sein leitender Mitarbeiter nicht nur medienwirksam auf-, sondern auch kräftig abräumte. Stolze 264 000 Euro wechselten so den Besitzer, ohne dass irgend jemand stutzig wurde. Alle normalen Kontrollmechanismen hatten versagt.

Die Sache flog auf - wie so oft - durch einen Zufall. Thomas M. befand sich im Sommer 2010 im Urlaub, es fehlten 70 Euro in der Bezirkskasse. Der Betrag wurde gesucht und gefunden. Doch dabei stellte sich heraus, dass ganz andere Summen fehlten. Damit ging eine wunderbare Wochenüberweisungsserie zu Ende, Thomas M. landete für einen Tag in Untersuchungshaft und erhielt anschließend Haftverschonung. Am gestrigen ersten Verhandlungstag wollte er noch nicht mit der Sprache heraus, er soll aber die Missetaten bei der Polizei teilweise gestanden haben. Das Geld habe er benötigt, so soll er bei der Polizei geplaudert haben, um sich einen etwas gehobenen Lebensstil für sich und seine Familie leisten zu können. Die Moneten sind futsch.

Normalerweise kann so etwas gar nicht passieren. Für die bar bezahlten Bußgelder gibt es immer drei Belege. Einen bekommt der Bußgeldzahler, der zweite geht an den Vorgesetzten, der dritte verbleibt am Block, damit man später gegenrechnen kann. In diesem Falle rechnete niemand gegen. Auch auf die gängige Praxis, Bargeldbeträge immer zu zweit aus dem Tresor zu holen und dann gemeinsam einzuzahlen, wurde hier verzichtet. Thomas M. war sein eigener Kontrolleur. Warum, das blieb bisher Geheimnis und wird sich erst in den nächsten Verhandlungstagen aufklären lassen. Der Prozess wird sich wahrscheinlich bis Ende Januar hinziehen.

Immer wieder gibt es schwarze Schafe im öffentlichen Dienst, die scheinbar schalten und walten können, wie sie wollen. So überwies bis 2002 sechs Jahre lang eine Mitarbeiterin des Sozialamtes Spandau Gelder auf die Konten ihrer Freunde und Bekannten mit Beträgen aus der Sozialhilfe. Schaden: 230 000 Euro. Den dicksten Brocken lieferte 2006 eine Mitarbeiterin des Bezirksamtes Lichtenberg ab. Aus Liebe zu ihrem Freund hatte sie 740 000 Euro aus der Sozialhilfekasse auf sein Konto umgeleitet.

Jede Serie geht mal zu Ende, das weiß jeder Betrüger. Warum es dennoch immer wieder Leute versuchen, bleibt eines der großen menschlichen Geheimnisse.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal