Tanz mit Gott und Teufel

Jacques Offenbachs »Pariser Leben« wurde im Radialsystem neu arrangiert

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
Olivia Grigolli (l.): mal als Luzifer, mal als Baronin von Gondremarck
Olivia Grigolli (l.): mal als Luzifer, mal als Baronin von Gondremarck

Gerade rechtzeitig zur Besinnungsstimmung, die sich am Jahresende einstellt, geht das eigentlich avantgardistischen Tendenzen verschriebene Novoflot-Team mit Jacques Offenbachs Operette »Pariser Leben« der Frage nach dem Sinn des Lebens nach - und verschiebt sie kurzerhand auf die göttliche Ebene.

In einem neu entwickelten Prolog erfährt man durch ein Zwiegespräch von Gott und dessen Partner Luzifer, dass Ersterer die Erde lediglich als ein Theater zur eigenen Belustigung und Erhöhung der eigenen Bedeutung geschaffen habe. Am Ende, der Partyspäße müde geworden, baut Gott in einem Klimawandelverwüstungsszenario diese Schaustelle wieder ab. Er rettet Tiere und Pflanzen. Von Frauen bleiben nur Rippen, von Männern lediglich Staub. Der ganze Weltraumschrott versinkt in einem der schwarzen Löcher des Universums. In Demut vernimmt man aus Luzifers Munde, was aus göttlicher Perspektive der Sinn menschlicher Existenz sei.

Das ist zumindest einmal ein inszenatorischer Gedanke. Zwischen Prolog und Epilog entfaltet sich die bekannte Handlung aus Offenbachs großer Feierorgie. Gott (Ernst Surberg als fingerflinker Pianist, aber stimmlich farblos) schlüpft in die Rolle des Bohémien Gardefeu, um sich unerkannt an einer schönen schwedischen Baronin zu schaffen machen zu können. Die wird von Olivia Grigolli verkörpert, die zugleich Luzifer ist und so in ein pikantes Doppelverhältnis mit Gott eintritt.

Das ganze Operettengefüge wird nun auf eine profan-konstruktivistische Bühne verfrachtet (Bühne und Kostüme: Elisa Limberg). Aus metallenen Gerüststangen und Treppenelementen sind Türme gebaut, über die das Ensemble stapft. Das wirkt ein wenig bemüht. Man wird aber nach der Pause entschädigt, denn dann erweist sich das Gestänge als formidable Klangerzeugungsarchitektur. Überhaupt ist der dritte Akt der szenisch und musikalisch dichteste Teil. Beim falschen Fest im Hause Quimper-Karadec verbinden sich die Sänger zu einer kuriosen Menschenskulptur. Matthias Bauer, Stimmenexperimentator, streut parodistische Geräusche ein. Getanzt und über das Gestänge gerutscht wird auch. Hier deutet das Ensemble den Erneuerungsanspruch, den die mitproduzierende Gruppe Novoflot mit Regisseur Sven Holm gewöhnlich formuliert, einmal kräftig an.

Weil bis auf Surberg durchweg gute und sehr gute Stimmen verpflichtet sind - auch Schauspielerin Grigolli (Luzifer/Baronin) und Tänzerin Vargas Sanchez (Bobinet/Admiral) fallen gegenüber den Sängern nicht ab -, entwickelt sich ein sehr leichter, luftiger Abend. Konventionellere Operettenfreunde dürften an dem Duett von Handschuhmacherin (die Südkoreanerin Bini Lee als heller, starker und ohne Mikrofonverstärkung das Radialsystem wundervoll ausfüllender Sopran) und Schuhmacher (der hünenhafte Meik Schwalm als kraftvoller und nuancierungsstarker Tenor) ihre Freude haben. Dem Neueren Aufgeschlossenere sollten an den Neuarrangements und szenischen Wechseln des Ensembles Mosaik (Leitung: Vicente Larranaga) sowie der gelungenen Integration von mehrfach begabten Schauspielern, Tänzern, Sängern, Stimmakrobaten und Musikern Gefallen finden.

Und selbst wenn die göttlich-teuflische Rahmenhandlung für die Operette nicht durchweg zwingend erscheint, so ist Regisseur Sven Holm damit dennoch eine interessante Perspektivverschiebung gelungen. Novoflot überrascht durch ein Zurückschrauben des Innovationsfurors und einem stärkeren Bekenntnis zu solidem Handwerk. Etwas mehr Wille zur Avantgarde wäre freilich nicht schlecht gewesen. Doch es tritt ein durchaus reizvolles Gleichgewicht beider Elemente ein.

21.-23.12., 20 Uhr, Radialsystem V, Karten 14-28 Euro, Tel. (030) 288 78 85 88.

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