Er ist Geschichte!

Preußenkönig Friedrich II. - war er Lichtgestalt oder Finsterling?

  • Christina Matte
  • Lesedauer: 9 Min.
Das Jahr 2012 wird preußisch. So will es die Flut der Publikationen, mit der Verlage uns überschwemmen, und so will es die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, die das kommende Jahr Friedrich II. widmet. Wollen wir das auch?
Er ist Geschichte!

Wenn sich am 24. Januar der Geburtstag des wohl bekanntesten - verehrten, gehassten, verklärten, benutzten - Preußenkönigs zum 300. Mal jährt, ist der von der politischen und gesellschaftlichen Bühne abgetreten. Seinen letzten öffentlichen, propagandawirksamen Auftritt absolvierte er 1991, als seine sterblichen Überreste von der Hohenzollernburg in Marburg nach Potsdam zurückgeführt und im Park von Sanssouci, so wie es dereinst sein Wunsch war, bei den Gebeinen seiner Windspiele beigesetzt wurden. Endlich ist der Mann Geschichte! Der Mann, der seine bedeutendsten Rollen nicht als Lebender, sondern als Toter spielte. Und endlich, wie Geschichtsschreibung es idealerweise vorsieht, können wir uns ihm nüchtern nähern. War er »der Große«, wie man ihn nennt, der Freigeist, der Aufklärer, der erste Diener seines Staates, dem Respekt und Dank gebühren? Oder der Eroberer, der Hasardeur, der dem deutschen Militarismus und später gar dem deutschen Faschismus unheilvoll den Weg ebnete?

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Der 24. Januar 1712 ist ein Sonntag. Im Berliner Schloss erblickt ein Knabe das Licht der Welt, dem die Eltern den Namen Friedrich geben. Ein großer Tag für das kleine Preußen, das in Europa noch kaum ins Gewicht fällt: Die junge Monarchie hat einen Thronfolger.

Thronfolger werden bekanntlich mit dem berühmten goldenen Löffel im Mund geboren und laufen demnach kaum Gefahr, wie andere Landeskinder verhungern zu müssen. Doch erwartet auch sie kein leichtes Schicksal. Schon gar nicht, wenn die Mutter Sophie Dorothea heißt und der Vater Friedrich Wilhelm I. Während die von ihrer Ehe enttäuschte Mama den zarten Sohn musisch erziehen will, was ihr in dessen ersten Jahren durchaus gelingt, greift schon bald der Papa ein, um ihn zum Soldaten zu drillen. Wird der in seinen Augen etwas weibische Junge seinen Erwartungen nicht gerecht, was zu Friedrichs Pech recht häufig der Fall ist, demütigt er ihn öffentlich, züchtigt ihn auch körperlich. Als sich der Achtzehnjährige schließlich solcher Behandlung durch Flucht zu entziehen sucht, kommt es zur blutigen Katte-Tragödie. Diese Episode aus Friedrichs Leben gehört zur preußischen Folklore und dürfte hinlänglich bekannt sein. Der Erwähnung bedarf sie dennoch, gipfelt in ihr doch das für Friedrich traumatisierende Vater-Sohn-Ver- hältnis. Es wird seinen Charakter prägen: Der kleingewachsene Mann strebt nach Großem. Er wird der Besserwisser, der Bessere - als Feldherr ebenso wie als König.

Bis es so weit ist, soll allerdings noch ein ganzes Jahrzehnt vergehen. Relative Freiheit erkauft sich Friedrich, indem er sich scheinbar unterwirft und die Ehe mit Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern eingeht. Die Jungfer bringt ein großes Herz mit, wenig Bildung und faulige Zähne. Kaum segnet der Vater das Zeitliche, wird Friedrich sich ihrer entledigen, indem er sie ins heruntergekommene Berliner Schloss Schönhausen abschiebt. Ob Elisabeth Christine Zeit ihres Lebens Jungfer blieb, darüber wird heute noch gern spekuliert. Von Friedrichs Hand ist überliefert, er habe die eheliche Pflicht erfüllt und der Dame beigelegen. Ein Kind mit ihr hat er nicht gezeugt. War Friedrich schwul wie sein jüngerer Bruder Heinrich? Oder war er aufgrund der »französischen Krankheit«, die er sich bei einer Hure einfing, schlichtweg zeugungsunfähig?

Abgesehen von derlei Petitessen: Die Jahre, die das Kronprinzenpaar in Rheinsberg am Grienericksee verlebte, bezeichnete Friedrich als seine glücklichsten - nicht wegen, sondern trotz der Anvermählten. Denn für ihn waren es Jahre der Vorbereitung: Hier durfte er musizieren und komponieren, sich an den Werken der Aufklärer schulen, einen handverlesenen Kreis an seine Tafel und zu intellektuellen Gesprächen laden. Hier reifte ein Hoffnungsträger.

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Am 1. Juni 1740 besteigt Friedrich in Berlin den Thron. »Unsere größte Sorge wird dahin gerichtet seyn«, verkündet er, »das Wohl des Landes zu befördern, und einen jeden unserer Unterthanen vergnügt und glücklich zu machen.« Das ist doch mal was! Wir Heutigen wissen natürlich, was wir von Regierungserklärungen zu halten haben. Nichtsdestotrotz: Friedrich meint es ernst. Er verbietet die Folter, »außer bei dem crimen laesae majestatis und Landesverräterei, auch denen großer Mordtaten, wo viele Menschen ums Leben gebracht«, später verhängt er ein generelles Folterverbot. Auch lockert er die Zensurmaßnahmen, sodass neue Zeitungen gegründet und kontroverse politische Debatten öffentlich geführt werden können. Außerdem verfügt er: »Die Religionen müssen alle Tolleriret werden und Mus der fiscal das auge darauf haben, das Keine der andern abruch tuhe, den hier mus ein jeder nach Seiner Fasson Selich werden.« Was für ein Deutsch! Tatsächlich war er kein gläubiger Mensch, Religionen galten ihm als Aberglaube. In seinem Politischen Testament von 1752 vermerkt er: »… und wen Türken und Heiden kähmen und wollten das Land pöpliren, so wollen wir sie Mosqueen und Kirchen bauen.« Bei Juden jedoch endete seine Toleranz. Außer bei jenen, die ihm nützten, so der Veitel Ephraim, der als Pächter mehrerer Münzprägestätten mit königlichem Einverständnis insgeheim den Silberanteil in Talern und Groschen senkte und so half, das durch die Schlesischen Kriege schlaff gewordene Staatssäckel wieder etwas anzufüttern. Ansonsten war Friedrichs Haltung gegenüber Juden eindeutig: »… man mus verhindern, dass ihre Zahl wächst.«

Trotz der guten Absichten: Schon im Jahr seiner Thronbesteigung beginnt Friedrichs Sündenfall. Und gerade der katapultiert ihn in die Geschichtsbücher. Im Oktober 1740 stirbt der Habsburger Karl VI., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Während noch der Streit um die Erbfolge tobt, setzt Friedrich am 16. Dezember 20 000 Soldaten in Marsch und folgt ihnen in seiner Feldequipage, um sich das österreichisch-habsburgische Schlesien unter den Nagel zu reißen. Selbst zu jener Zeit eine Frechheit. Aber der kleine Preuße will schaffen, was sein Vater nicht geschafft hat: Er will in Europa auch etwas zu sagen haben. »Das war der Weg, sich Ruhm zu erwerben.« Natürlich ist es purer Leichtsinn, sich mit den ihm militärisch weit überlegenen Groß- mächten Österreich, England, Frankreich und Russland anzulegen, und im Alter wird er den ersten Schlesischen Krieg, dem zwei weitere folgen sollten, als einen »Jugendstreich« bezeichnen. Nein, er ist ganz und gar nicht der geniale Feldherr, als der er sich nach jedem Sieg bei seiner Rückkehr in Berlin feiern lässt. Nicht nur begeht er strategische Fehler, oft bringt er seine Truppen und sich selbst in Gefahr. Friedrich hat einfach unverschämtes Glück: Als 1762 die russische Zarin Elisabeth stirbt, schert ihr Nachfolger Peter III. aus der Koalition der Kriegsgegner aus, Schweden folgt ihm, sodass die übrigen Kriegsparteien sich zu Friedensgesprächen entschließen. Es scheint, ein Wunder sei geschehen: das »Mirakel des Hauses Brandenburg«. Weniger Glück haben allerdings allein im letzten Schlesischen Krieg, der auch der Siebenjährige heißt, über eine Million Menschen - sie sterben auf den Schlachtfeldern, werden von Seuchen dahingerafft, von marodierenden Soldaten ermordet, oder sie verhungern.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Deutschland in Schutt und Asche lag, wird man der Überzeugung sein, der Preußenkönig habe mit seinem schlesischen Raubzug, vor allem mit der narzisstisch-gestörten Art, mit der er sich in seine Kriege stürzte und sie auch zu Ende brachte, eine verhängnisvolle Tradition begründet. Alles oder nichts, war seine Devise. »Entweder werde ich meine Macht behaupten oder ich will, dass alles zugrunde geht und bis auf den preußischen Namen mit mir begraben wird«, hatte der 33-Jährige in seinem schlesischen Hauptquartier geschrieben. Siegen oder untergehen. Und wenn die Zeichen auf Untergang stehen, durchhalten und auf ein Wunder warten: Kommt uns das bekannt vor? Ohne Frage hat Friedrich II. sich geradezu angeboten, von der Nachwelt missbraucht zu werden. Aber, um gerecht zu bleiben, für diese Nachwelt ist er doch nur sehr begrenzt verantwortlich zu machen.

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Daniel Chodowieckis und Adolf Menzels Darstellungen von Friedrich haben dazu beigetragen, den Mythos vom »alten Fritz« zu begründen - vom sich kümmernden Landesvater, vom unermüdlichen »ersten Diener des Staates«, der diszipliniert und bescheiden lebte, dem das Wohl seiner Untertanen über alles ging. In der Tat: Während der ausgedehnten Inspektionsreisen ins Land nahm Friedrich sich selbst kleinster Kleinigkeiten an - hier trafen sich der Absolutist und der Besserwisser, der sich allen überlegen fühlte. Wenn er Kolonisten ins Land holte und Land urbar machen ließ wie im Oderbruch, dann, weil es galt, die infolge der Kriege stark dezimierte Bevölkerung in seinem Herrschaftsgebiet aufzufüllen.

Was seine Bescheidenheit betrifft: Schon während des Siebenjährigen Krieges gab er den Auftrag zum Bau von Schloss Sanssouci, dem er einige Jahre darauf - als Statement neu gewonnener Macht - das Neue Palais zur Seite stellte, bei dessen Errichtung seine Kriegsinvaliden, mit ihren Beinstümpfen auf Brettern rutschend, erneute Verwendung fanden. Für das Wohl seines Gaumens und das seiner Gäste beschäftigte er Hofküchenmeister, Mundköche, Spickmeister, Bratmeister, Pastetenbäcker, Konditoren, Kellermeister. Er bevorzugte internationale Küche, vornehmlich die französische. Edle Fische, Krebse und Hummer bezog er aus Hamburg, aus aller Welt die berühmtesten Käse. Für Gewürze wie Muskat und Ingwer gab er ein kleines Vermögen aus, stets standen für ihn auf Etageren Pfirsiche, Trauben, Ananas, Melonen, Feigen, Aprikosen bereit. Der Mo- narch trank am liebsten Kaffee, mit Wasser oder Champagner bereitet. Dass er in fortgeschrittenem Alter keine Seidenhemden mehr trug, kaum noch das Outfit wechselte und im speckigen Uniformrock herumlief, dürfte daran gelegen haben, dass niemand es wagte, ihn auf die Wirkung seines Schmuddellooks hinzuweisen.

Am 17. August 1786 starb Friedrich II. in Potsdam. Schon in jüngeren Jahren hatten ihn Gicht und Rheuma, Magenkoliken, Hämorrhoiden, fiebrige Erkältungen und häufig Zahnschmerzen geplagt. Nun war seine Widerstandskraft erschöpft. Einst hatte er an Voltaire geschrieben: »Nach dem Tode nihil est.« Ein Irrtum, wie sich erweisen sollte.

Wollen wir, dass dieses Jahr 2012 im Zeichen Friedrich II. steht, der sich »der Große« nennen ließ? Warum nicht. Wie gesagt, er ist Geschichte. Sich mit ihr zu beschäftigen, kann jeder sich bietende Anlass nur recht ein. Auch der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten kann es nur recht sein, wenn »Friedrichs Orte« 2012 mehr Touristen als sonst anziehen. So steht zu erwarten, dass der Hohenzoller vor allem die Geschäfte beleben soll, Potsdam zum Beispiel will seinen 300. Geburtstag vom 12. bis 24. Januar mit einem »Fest für Friedrich« feiern. Feiern? Zu feiern gibt es nichts.

ND wird sich 2012 unter anderem dem »Nachleben« des Monarchen widmen - im Kaiserreich und im Nationalsozialismus, in der DDR und in der Bundesrepublik.

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