Eine Automobil-Reise mit Großvätern

Mit dem AGA-Wagen durch Geschichte

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit dem AGA unterwegs
Mit dem AGA unterwegs

Zuerst habe ich Kai-Uwe Merz in kleiner Runde von »AGA« schwärmen hören. Es ging nicht um die namensgebende schwedische Autogen-Gasaccumulator Aktien Gesellschaft A.G.A., sondern um »den« AGA. Das war kein Auto, das war noch ein Automobil. Es prangt auf dem Titel »Der AGA-Wagen«. Von vielleicht einmal 12 000 dieser Fahrzeuge sind heute »keine 25« mehr übrig. Sie wurden zwischen 1919 und 1929 in Berlin-Lichtenberg, Herzbergstraße 66/68, gebaut und hatten so eine Art Volks-Wagen werden sollen.

Das wurde der AGA nicht. Das Fahrzeug, »ein ganz normales Auto der 20er Jahre«, geriet ziemlich in Vergessenheit. Nicht so bei Merz auf in Papier und Farbdruck schon fast opulent aufgemachten über 200 Seiten. Die waren schon kurz nach dem Erscheinen dem ADAC seinen Motorwelt Autobuch Sonderpreis 2011 wert.

Für mich bleiben Autos im Grundsatz Fortbewegungsmittel. Der AGA ist mehr. Er transportiert Geschichten und Geschichte. »Ich habe zusammengetragen, was ich gefunden habe«, sagt der Autor. Die Doppelqualifikation als Historiker und Journalist erweist sich dabei als zwiefach nützlich. Was der eine schon fast bis zur Detail-Besessenheit recherchiert hat, bringt der andere in flott lesbare Form. Wer es versucht, der weiß, wie schwer das ist. Und sei es das kleine Wortspiel von »Auto-Biografie« und »Autobiografischem«.

Denn bei Kai-Uwe Merz geht es um das Automobil und manchmal vor allen um den Großvater. Der war Mitte der 1920er Jahre in Berlin Verkaufsdirektor bei AGA. Das Buch firmiert als »Eine Automobil-Geschichte aus Berlin«. Das ist es, aber auch eine Familien- und damit Menschengeschichte.

Darauf neugierig macht schon das Vorwort. »Opa war Nazi. Kein Jubel(be)fund für Enkel«, erkennt dessen Verfasser Michael Wolffsohn. Dessen Berliner Großvater Karl Wolffsohn habe als »Nicht-Arier«, also als Jude, auf der anderen Seite gestanden. »Das trennt Kai-Uwe Merz und mich.« Zugleich verbinde sie beide die Neugier zu wissen, »wie es ›bei uns‹ wirklich war«.

Das lässt sich bei Großvater Konrad Merz nicht so recht aufklären zwischen NSDAP-Mitgliedschaft und Entnazifizierung, zwischen der Berliner Geschäftsadresse Hedemannstraße mit »intensiver brauner Vergangenheit« und dem Hinweis im Verhandlungsprotokoll auf die Gewährung eines Unterschlupfes für einen flüchtenden jüdischen Verfolgten. Vielleicht aber war es ja auch genau so, wie der Enkel mutmaßt: kein Widerstandskämpfer, angepasst, aber auch mit manchem Risiko für andere Menschen.

Merz und Wolffsohn sind beide Historiker und Publizisten, sind landläufig sortiert in das konservative Fach. Also Finger weg? Warum denn, wenn man lernen kann. Dies nicht zuletzt Dank einer anderen und auch inneren Sicht auf die Dinge, Personen, Prozesse und wiederum deren Zusammenhänge. Damit ist dies auch ein Buch, das dazu ermutigen kann, sich eigenen Großvätern zuzuwenden.

Mein eigener zum Beispiel kam ins Zuchthaus, weil er sich dem Nazikrieg verweigerte. Danach buddelte er Lokomotiven aus dem Schutt. In Bedrängnis geriet er als Genosse wieder. Just in dieser Zeitung galt ihm Kritik, da er keine Begeisterung für die - als Neuerung gefeierte - ersatzweise mit Kohlenstaub befeuerte Lokomotive zeigte. Das war schon fast Sabotage. Wer Bücher liest und darüber Auskunft gibt, landet manchmal eben auch bei den Seinen und sich selbst.

Vor allem freilich in Zeiten und Zusammenhängen. 1923 startet AGA, ohnehin häufiger Teilnehmer von Wettfahrten, sogar bei einer von Revolutionsführer Wladimir Iljitsch Lenin angeregten internationalen »Allrussischen Prüfungsfahrt« vom Moskauer Roten Platz und siegt nach 1600 harten Kilometern. Mit der Automobil-Pionierin Clärenore Stinnes, Tochter des Industriellen Hugo Stinnes, im Volant geht es auch um Frauen und Autos, also einige Geschlechtergeschichten. Um nationale Wirtschaft und internationale Konzerne geht es sowieso, damit um Aufschwünge und Konkurse.

Alles ist lehrreich, weil es immer wieder eine Geschichte des Alltags ist. Und nicht nur, wer auf einer Moskau-Berlin-Tour viermal die Reifen an seinem Shiguli wechselte, mag ermessen, was davon gleich 18 Mal auf der Strecke Berlin-Moskau mit einem AGA bedeuten mögen. »Im Individuellen findet sich das Allgemeine. Und die allgemeine Geschichte dann schon sowieso«, sagt Autor Merz. Mit leicht koketter Untertreibung bekennt er noch, er habe seine Leser »ein wenig unterhalten wollen«.

Dr. Kai-Uwe Merz, Der AGA-Wagen. Eine Automobil-Geschichte aus Berlin, ISBN 978-3-86368-006-0, 240 Seiten, Abb. 190, Abbildungen in Farbe und SW, Berlin Story Verlag, Preis 19,80 €

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