Hartz IV-Klagen im Minutentakt

Der Aktenberg wächst: 150 000 Verfahren in sieben Jahren

  • Alexander Riedel, dpa
  • Lesedauer: 2 Min.

An Deutschlands größtem Sozialgericht in Berlin gehen auch sieben Jahre nach ihrer Einführung im Schnitt noch täglich mehrere Klagen zur Hartz-IV-Reform ein. »Wir nähern uns über die Jahre insgesamt der Zahl von 150 000 Verfahren«, sagte Richter Marcus Howe. »Das ist enorm und führt dazu, dass uns die Klagen im Zwölf-Minuten-Takt erreichen.« Für diesen Schnitt zählten zwar alle rund 44 000 Verfahren im Jahr 2011. »Aber Hartz IV macht 70 Prozent aus und ist damit ganz wesentlich für die Belastung des Hauses.«

2005, im ersten Jahr von Hartz IV, lag die Zahl der Fälle noch bei einem Viertel des heutigen Niveaus. »2010 war das absolute Rekordjahr in der Geschichte der Sozialgerichtsbarkeit und 2011 ist auf demselben Niveau«, sagte Howe. Eine Abschwächung der Klageflut sei nicht erkennbar. Jeder zweite Kläger erziele weiterhin zumindest einen Teilerfolg - mehr als in anderen Rechtsbereichen.

Kleiner Trost dabei: Die umstrittenen Neuerungen zur Höhe des Regelsatzes haben die Zahl der Klagen nicht noch zusätzlich ansteigen lassen. »Die Themen der Politik, der allgemeinen Diskussion, sind nicht die, die den Bürgern unter den Nägeln brennen«, meinte Richter Howe. Rechtsschutz werde vor allem für »greifbare Alltagsprobleme« wie Stromschulden, die Frage nach der angemessenen Miethöhe oder der Anrechnung von Nebeneinkommen gesucht.

Dank der in den vergangenen Jahren zusätzlich eingestellten Richter sei man einigermaßen Herr der Lage, was die neuen Klagen betreffe, sagte Howe. »Jetzt stellt sich aber das Problem, dass die Bestände anwachsen.« Mehr als 40 000 offene Verfahren gebe es aktuell am Sozialgericht - ein Rekordstand. »Um diesen wachsenden Aktenberg abzuarbeiten, müsste man das Gericht rund ein Jahr schließen.«

Gerade im Bereich der vielfach umstrittenen Kostenübernahme für die Unterkunft wünscht Howe sich mehr Hilfe von der Politik. Die Richterschaft des Hauses habe ein Modell entwickelt, um die im Gesetz genannten »angemessenen« Kosten näher zu definieren. »Es wäre schön, wenn jetzt die Berliner Politik auf Grundlage solcher Vorlagen eine eigene Satzung entwickelt.«

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