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Polizisten dealten in Berlin mit Anabolika
Nur Bewährungsstrafe für kriminellen Apotheker
Haft auf Bewährung und gemeinnützige Zahlungen als Strafe für exzessiven Schwarzhandel mit Medikamenten: Im Berliner Prozess gegen einen Ring aus Polizisten und Apothekern segelte erneut ein Hauptangeklagter am Knast vorbei.
Der Berliner Apotheker Rainer R. hat rund 100 Mal Medikamente, u. a. Anabolika, ohne Vorlage eines Rezepts verscherbelt - an einen Dealer in Uniform, den verurteilten und suspendierten Polizisten Karsten M.. Um die beiden gruppierte sich ein professionell organisierter krimineller Ring: Von 1996 bis 2001 erstreckt sich der Tatzeitraum, und die Anzahl der Verdächtigten stieg zwischenzeitlich auf über 100 Beamte, zudem auf etliche zivile Verdächtige, darunter mehrere Apotheker. Gewinnmargen höher als bei Waffen oder Drogen Staatsanwalt Thorsten Cloidt weiß, warum deren Delikte künftig »europaweit eine besondere Bedeutung« haben könnten: »Die Gewinnmargen sind beim unerlaubten Arzneimittelhandel weit höher als bei Waffen oder Drogen.« Das Zehnfache des Einkaufspreises sei als Profit möglich. Aber, so Cloidt weiter, die vom Gesetzgeber vorgesehenen Strafen seien geringer als für Drogen- oder Waffen-Deals: Drei Jahre Gefängnis sind das Höchstmaß. »Aus reiner Freundschaft« aber will Rainer R., Hauptlieferant und Hauptbeschuldigter, getan haben, was Berufsethos und Gesetz verbieten. Das Urteil des Berliner Landgerichts letzten Freitag für diese Freundschaft: ein Jahr und sechs Monate Haft bei drei Jahren Bewährung. Zudem muss R. 3500 Euro an die Suchttherapie-Einrichtung Synanon zahlen. Das wird ihm, dessen Ehefrau im Bundeswirtschaftsministerium arbeitet, nicht allzu schwer fallen. Vor Gericht gab R. jedoch an, er habe seit dem Verkauf seiner florierenden Apotheke 75000 Euro Schulden. Für Ankläger und Richter ist M., gelernter Steuerfachgehilfe, der zentrale Täter. Bodykult und käufliche Liebe faszinierten den Jungpolizisten: Seine damalige Freundin war eine Ex-Prostituierte. R. hingegen, ganz bürgerlich, schloss zur Wende sein Studium ab und kaufte eine Apotheke in Berlin-Hohenschönhausen, versorgte die Ostler mit neuen Pillen und Cremes aus dem Westen. Da lagen Gesundheitswunsch und Schönheitswahn, Fitnessfieber und Muskelmanie nah beieinander - R. fühlte sich als Gewinner. Vor Gericht war er ein Mitleid erregender Delinquent. Als man gegen ihn ermittelte, hatte seine Frau eine Frühgeburt, das Baby starb. Tage und Nächte saß er damals in der Charité - statt M. zu treffen. Die zwei spielten sonst regelmäßig Squash, wobei nicht nur die Punkte, sondern auch Arzneimittel an M. gingen. Vom Verkaufserlös will R. aber »höchstens mal 100 Mark« bekommen haben. M. hingegen sprach von mehr - doch das Geld scheint verschwunden. Der im Rotlicht-Milieu als »Bullen-Kalle« bekannte Beamte hatte übrigens bereits sein Netz aus Kontakten, als er R. kennen lernte. M., dessen Vertrieb »bis in jeden Berliner Polizeiabschnitt« (Cloidt) reichte, bestellte bei R. zuerst kleinere Mengen zum Eigengebrauch, dann größere für den Verkauf: meist Anabolika, deren Einnahme ohne ärztliche Verschreibung verboten ist, weil sie den Konsumenten schwer schädigen können. In der Fitness-Szene werden die »Muskelmacher« gehandelt, als seien sie Allheilmittel gegen Stress und Hässlichkeit: Anabolika-Sucht, eine riskante Krankheit nicht nur von Spitzensportlern. Warum aber gerade Polizisten und Apotheker derart gegen Recht und Gesetz verstießen, wurde in dem Strafverfahren mit dem Aktenzeichen 68 Js 516 / 01 Kls nicht erschöpfend aufgeklärt. Zumal R. auch Anti-Baby-Pillen und anderes unter der Hand an M. abgab. Bei den Beamten kam auch noch anderes hinzu: Mal gingen 500 Schuss Munition an einen Marihuana-Dealer, mal wurde auf dem Steglitzer Revier Ecstasy verkauft - von Polizist zu Polizist. M. machte noch mehr möglich: Auch Kokain kursierte. Aber wieso fiel das niemandem auf? Wieso schwiegen alle? »Bei der Polizei werden Führungskräfte vermisst«, giftet Staatsanwalt Cloidt. Wenn Berlins Innensenator sich »erschrocken« vom Ausmaß organisierter Kriminalität innerhalb der Staatsmacht zeige, dann finde er das »erst recht überraschend«. Offenbar sind Korpsgeist und Suchtpotenzial unter Beamten so groß, dass die »unselige Allianz« (Cloidt) noch lange bestanden hätte. Wäre sie nicht zufällig aufgeflogen. Im Zuge telefonischer Überwachung des mittlerweile wegen Zuhälterei und Erpressung verurteilten Luden Abdul B. fiel auf: M. traf sich oft mit ihm. M. wurde abgehört, sogar sein Auto »verwanzt«. Hausdurchsuchungen erbrachten einschlägige Beweise --mit einer »Lebensbeichte« half er dann den Ermittlern. Gegen 20 Beamte wird noch ermittelt Anders Apotheker R.: Er sprach wenig, bereut, sagte, es würde ihn »erfreuen und aufrichten«, bald wieder Apotheker zu sein. Derweil läuft ein zweites Verfahren gegen ihn: weil er mittels Strohmännern weitere Apotheken betrieben haben soll. Auch gegen rund 20 Beamte wird noch ermittelt. Nach derzeitiger Sachlage landet aber keiner von ihnen i...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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