Schizophrenie: Zwischen Verfolgungswahn und einem »stinknormalen« Leben
Unter einem Schizophrenen stellt man sich entweder einen Irren oder einen gefährlich dreinblickenden Psychopathen vor. Thomas ist schizophren, sieht aber weder irre noch gefährlich aus. Ein etwas wirrer Haarschopf hängt ihm ins Gesicht. Wir treffen uns in einem Café. Thomas schaut interessiert umher, auf der Stirn Schweißtropfen vom Fahrradfahren. Er bestellt Milchkaffee.
Von Schizophrenie, deren Ursachen unklar sind, sind zirka 800 000 Bundesbürger betroffen. Bei einem Drittel der Erkrankten tritt die Psychose nur einmal im Leben auf. Bei dem zweiten Drittel kommt es zu mehreren Krankheitsschüben in größeren Abständen. Lediglich beim letzten Drittel sind die Krankheitssymptome chronisch vorhanden. Nur während der Psychose ist der Kranke »wahnsinnig«, ansonsten »stinknormal«.
Die Psychose entwickelte sich bei Thomas sehr plötzlich: »Ich glaubte verborgene Botschaften an der Wand lesen und den verborgenen Sinn von Lebensgeschichten, Architektur und Zeitungsmeldungen deuten zu können.« Dann glaubte er mit einem neuen Theoriemodell den entscheidenden Durchbruch in seinem Studienfach Soziologie gefunden zu haben. »War natürlich Schmarrn«, meint er heute. Gedankenketten schossen ihm ununterbrochen durch den Kopf. Er schrieb seitenweise Blätter voll, die er später wegwarf und deutete die psychische Veränderung, die damals in ihm vorging, als Zeichen besonderen Auserwähltheit. Größenphantasien wechselten mit Verfolgungswahn. Thomas irrte verwirrt durch seinen damaligen Wohnort Hamburg, unsicher, wo er Zuflucht finden sollte. Bei ihm wurde eine schizo-affektive Psychose diagnostiziert, denn neben der schizophrenen Symptomatik lagen auch manische und depressive Verstimmungen vor.
Als Thomas die Kaffeetasse hochhebt, zittern seine Hände. Die Hälfte des Kaffees ist schon ausgeschüttet. »Nebenwirkung« meint er. Thomas schluckt einen ganzen Arzneicocktail. Auf dem Beipackzettel von Fluanxol, einem der Medikamente, heißt es im Kleingedruckten: »Nach zumeist längerer und hochdosierter Behandlung kann es zu anhaltenden Störungen des Bewegungsablaufs kommen (z.B. unwillkürliche Bewegungen, vor allem im Bereich von Kiefer- und Gesichtsmuskulatur....)« Andere Nebenwirkungen können Sitzunruhe, Mundkrämpfe, Muskelzuckungen und Pilzerkrankungen sein. Thomas hat das Glück, seine Medikamente halbwegs zu vertragen. Mit Zittern, Schweißausbrüchen, Kopfschmerzen und Mundtrockenheit lebt er seit Jahren. Er scheint trotz der Beschwerden in sich zu ruhen. Jedenfalls erzählt er seine Lebensgeschichte auffallend sachlich. Er hat sich intensiv mit sich und seiner Krankheit beschäftigt. »Ich stoße ständig irgendwo an« klagt er über seine fehlende Feinmotorik, hervorgerufen durch die Medikamente »Außerdem war ich früher ein dynamischer Mensch, jetzt habe ich zu nichts mehr Lust.« Probleme hat er auch regelmäßig, wenn er einen Scheck oder eine Überweisungen ausstellt, da seine Unterschrift völlig verzittert ist. Gegen seine möglicherweise durch die Medikamente verursachten Potenzprobleme hat er sich gerade Viagra verschreiben lassen. Von den Konzentrationsstörungen, über die er klagt, merkt man im Gespräch jedoch nichts. Thomas ist ein aufmerksamer, sehr kritischer Gesprächspartner. Er hat trotz seiner KrankheitTrotz seiner Krankheit schloss er den Universitätsabschluss in Soziologie mit »sehr gut« ab.
Seit dem ersten Klinikaufenthalt lebt er mit der Angst vor der nächsten Psychose. Seitdem befindet er sich auch ständig in Psychotherapie. Einmal die Woche offiziell Therapie mit autogenem Training und Gesprächen mit dem Therapeuten, dann noch die »Irrengruppe«, eine Selbsthilfegruppe. »Dort bequatschen wir alltägliche Probleme und versuchen, Depressionen aufzufangen«, sagt Thomas. Seinen Therapeuten scheint er sich intellektuell überlegen zu fühlen, was eine Therapie nicht leichter macht. Er hat schon öfters seine Therapeuten gewechselt.
Thomas fühlt sich gerade in einem depressiven Loch. »Ich lebe seit Jahren mit kurzen Unterbrechungen mit dieser Depression.« Nachdem er zwei Tage hintereinander kaum noch aus dem Bett herauskam, ging er zu seiner Ärztin und ließ sich Anti-Depressiva verschreiben. »Man muss die Dosis langsam steigern. Wenn ich Pech habe, überholt mich dabei die Depression und ich habe Atemprobleme und Selbstmordgedanken.« Momentan schläft er lange, liest, geht einkaufen und bereitet das Essen für sich und seine Freundin vor. Abends trinkt er gerne ein Bier mit Freunden oder geht ins Kino. Für Außenstehende ist oft schwer nachvollziehbar, was daran krank sein soll.
Bereits Jahre vor dem Ausbruch der Krankheit bestehen bei ca. 75 Prozent der Betroffenen Verhaltensauffälligkeiten. Hauptsymptome sind Realitätsverlust mit Wahnideen und Halluzinationen, Identitätsverlust und sozialer Rückzug. Bis heute weiß man nicht genau, wie psychische Krankheiten entstehen. Gesichert ist lediglich, dass eine genetische Disposition zur Erkrankung beiträgt. Alles spricht dafür, dass es nicht nur eine Ursache gibt. Bei Männern bricht die Schizophrenie meist im Teenageralter bis Ende 20 aus, bei Frauen etwas später. Die Erkrankung in frühen Jahren führt dazu, dass viele Kranke auf Sozialhilfe angewiesen sind. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erklärte Thomas letztes Jahr für erwerbsunfähig und schickte ihm - dem ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter an der Universität - einen Rentenbescheid. Ihm stehen 329,79 Euro Rente zu.
Obwohl bei der derzeitigen Diagnose ein günstiger Krankheitsverlauf prognostiziert werden kann und die Krankheit sich mit entsprechender Medikation und Therapie gut in den Griff kriegen lässt, sieht Thomas nicht sonderlich optimistisch in die Zukunft, meint aber: »Ich hoffe, dass sich in den nächsten zwei bis drei Jahren meine Gesundheit stabilisiert. Ich will zurück an die Uni! Ganz habe ich meine Ziele noch nicht aufgegeben.« Auch wenn man skeptisch sein muss, sind die Zukunftshoffnungen nicht gänzlich unbegründet, soweit ihm eine Chance gegeben wird und man sich nicht vom Bild des schizophrenen Psychopaten in die Irre führen lässt.
Experten-Hotline: mittwochs von 12 bis 14 Uhr: (01801)724496
www.kompetenznetz-schizophrenie.de
Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker, Thomas-Mann-Straße 41a, 53011 Bonn, Tel.: (0228)632646, Fax: (0228)658063, ...
Von Schizophrenie, deren Ursachen unklar sind, sind zirka 800 000 Bundesbürger betroffen. Bei einem Drittel der Erkrankten tritt die Psychose nur einmal im Leben auf. Bei dem zweiten Drittel kommt es zu mehreren Krankheitsschüben in größeren Abständen. Lediglich beim letzten Drittel sind die Krankheitssymptome chronisch vorhanden. Nur während der Psychose ist der Kranke »wahnsinnig«, ansonsten »stinknormal«.
Die Psychose entwickelte sich bei Thomas sehr plötzlich: »Ich glaubte verborgene Botschaften an der Wand lesen und den verborgenen Sinn von Lebensgeschichten, Architektur und Zeitungsmeldungen deuten zu können.« Dann glaubte er mit einem neuen Theoriemodell den entscheidenden Durchbruch in seinem Studienfach Soziologie gefunden zu haben. »War natürlich Schmarrn«, meint er heute. Gedankenketten schossen ihm ununterbrochen durch den Kopf. Er schrieb seitenweise Blätter voll, die er später wegwarf und deutete die psychische Veränderung, die damals in ihm vorging, als Zeichen besonderen Auserwähltheit. Größenphantasien wechselten mit Verfolgungswahn. Thomas irrte verwirrt durch seinen damaligen Wohnort Hamburg, unsicher, wo er Zuflucht finden sollte. Bei ihm wurde eine schizo-affektive Psychose diagnostiziert, denn neben der schizophrenen Symptomatik lagen auch manische und depressive Verstimmungen vor.
Als Thomas die Kaffeetasse hochhebt, zittern seine Hände. Die Hälfte des Kaffees ist schon ausgeschüttet. »Nebenwirkung« meint er. Thomas schluckt einen ganzen Arzneicocktail. Auf dem Beipackzettel von Fluanxol, einem der Medikamente, heißt es im Kleingedruckten: »Nach zumeist längerer und hochdosierter Behandlung kann es zu anhaltenden Störungen des Bewegungsablaufs kommen (z.B. unwillkürliche Bewegungen, vor allem im Bereich von Kiefer- und Gesichtsmuskulatur....)« Andere Nebenwirkungen können Sitzunruhe, Mundkrämpfe, Muskelzuckungen und Pilzerkrankungen sein. Thomas hat das Glück, seine Medikamente halbwegs zu vertragen. Mit Zittern, Schweißausbrüchen, Kopfschmerzen und Mundtrockenheit lebt er seit Jahren. Er scheint trotz der Beschwerden in sich zu ruhen. Jedenfalls erzählt er seine Lebensgeschichte auffallend sachlich. Er hat sich intensiv mit sich und seiner Krankheit beschäftigt. »Ich stoße ständig irgendwo an« klagt er über seine fehlende Feinmotorik, hervorgerufen durch die Medikamente »Außerdem war ich früher ein dynamischer Mensch, jetzt habe ich zu nichts mehr Lust.« Probleme hat er auch regelmäßig, wenn er einen Scheck oder eine Überweisungen ausstellt, da seine Unterschrift völlig verzittert ist. Gegen seine möglicherweise durch die Medikamente verursachten Potenzprobleme hat er sich gerade Viagra verschreiben lassen. Von den Konzentrationsstörungen, über die er klagt, merkt man im Gespräch jedoch nichts. Thomas ist ein aufmerksamer, sehr kritischer Gesprächspartner. Er hat trotz seiner KrankheitTrotz seiner Krankheit schloss er den Universitätsabschluss in Soziologie mit »sehr gut« ab.
Seit dem ersten Klinikaufenthalt lebt er mit der Angst vor der nächsten Psychose. Seitdem befindet er sich auch ständig in Psychotherapie. Einmal die Woche offiziell Therapie mit autogenem Training und Gesprächen mit dem Therapeuten, dann noch die »Irrengruppe«, eine Selbsthilfegruppe. »Dort bequatschen wir alltägliche Probleme und versuchen, Depressionen aufzufangen«, sagt Thomas. Seinen Therapeuten scheint er sich intellektuell überlegen zu fühlen, was eine Therapie nicht leichter macht. Er hat schon öfters seine Therapeuten gewechselt.
Thomas fühlt sich gerade in einem depressiven Loch. »Ich lebe seit Jahren mit kurzen Unterbrechungen mit dieser Depression.« Nachdem er zwei Tage hintereinander kaum noch aus dem Bett herauskam, ging er zu seiner Ärztin und ließ sich Anti-Depressiva verschreiben. »Man muss die Dosis langsam steigern. Wenn ich Pech habe, überholt mich dabei die Depression und ich habe Atemprobleme und Selbstmordgedanken.« Momentan schläft er lange, liest, geht einkaufen und bereitet das Essen für sich und seine Freundin vor. Abends trinkt er gerne ein Bier mit Freunden oder geht ins Kino. Für Außenstehende ist oft schwer nachvollziehbar, was daran krank sein soll.
Bereits Jahre vor dem Ausbruch der Krankheit bestehen bei ca. 75 Prozent der Betroffenen Verhaltensauffälligkeiten. Hauptsymptome sind Realitätsverlust mit Wahnideen und Halluzinationen, Identitätsverlust und sozialer Rückzug. Bis heute weiß man nicht genau, wie psychische Krankheiten entstehen. Gesichert ist lediglich, dass eine genetische Disposition zur Erkrankung beiträgt. Alles spricht dafür, dass es nicht nur eine Ursache gibt. Bei Männern bricht die Schizophrenie meist im Teenageralter bis Ende 20 aus, bei Frauen etwas später. Die Erkrankung in frühen Jahren führt dazu, dass viele Kranke auf Sozialhilfe angewiesen sind. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erklärte Thomas letztes Jahr für erwerbsunfähig und schickte ihm - dem ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter an der Universität - einen Rentenbescheid. Ihm stehen 329,79 Euro Rente zu.
Obwohl bei der derzeitigen Diagnose ein günstiger Krankheitsverlauf prognostiziert werden kann und die Krankheit sich mit entsprechender Medikation und Therapie gut in den Griff kriegen lässt, sieht Thomas nicht sonderlich optimistisch in die Zukunft, meint aber: »Ich hoffe, dass sich in den nächsten zwei bis drei Jahren meine Gesundheit stabilisiert. Ich will zurück an die Uni! Ganz habe ich meine Ziele noch nicht aufgegeben.« Auch wenn man skeptisch sein muss, sind die Zukunftshoffnungen nicht gänzlich unbegründet, soweit ihm eine Chance gegeben wird und man sich nicht vom Bild des schizophrenen Psychopaten in die Irre führen lässt.
Experten-Hotline: mittwochs von 12 bis 14 Uhr: (01801)724496
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