Lärmgutachten ist ein offenes Geheimnis

Umweltbundesamt sagte kurzfristig Pressetermin zum Großfughafen Schönefeld ab

Mehrere Monate rechnete und prüfte das Umweltbundesamt. Ein halbes Dutzend Fachleute untersuchte den Lärm, der voraussichtlich am neuen Großflughafen »Willy Brandt« in Schönefeld entstehen wird. Das Gutachten dient als Zuarbeit für die Festlegung der umstrittenen Flugrouten. Es soll über 100 Seiten lang sein. Dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung sei das Gutachten fristgerecht übergeben worden, heißt es.

Ursprünglich wollten Umweltamtspräsident Jochen Flasbarth und René Weinandy, der das Fachgebiet Lärmminderung im Verkehr leitet, die Ergebnisse am Dienstag bei einer Pressekonferenz vorstellen. Sie wollten dabei auch erläutern, wie der Krach verringert werden kann. So war es in der Einladung angekündigt. Doch die vorgesehene Präsentation in Berlin wurde kurzfristig abgesagt. Die Gespräche mit den verantwortlichen Ressorts, insbesondere mit dem Bundesverkehrsministerium, seien noch nicht zu Ende, lautete die offizielle Begründung für die Absage. Einen neuen Termin gebe es noch nicht.

Sofort kursierten Mutmaßungen, die Bundesregierung habe das Umweltamt zurückgepfiffen. Ganz abwegig klingt der Gedanke nicht. Schließlich soll in dem Gutachten die Forderung stehen, das Nachtflugverbot auf die Zeit von 22 bis 6 Uhr auszudehnen. Die Flughafengesellschaft will dagegen die eingeräumte Möglichkeit nutzen, täglich von 22 bis 0 Uhr sowie von 5 bis 6 Uhr bis zu 103 Maschinen starten und landen zu lassen.

Sollte das Verkehrsministerium tatsächlich Druck auf das Umweltamt ausgeübt haben, »um die Veröffentlichung des Gutachtens zu verhindern, wäre dies ein Skandal«, meinte Ramona Pop, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Pop kündigte an, dass ihre Partei am Donnerstag Vorschläge unterbreiten werde, um die Anwohner in Berlin und Brandenburg besser vor Lärm zu schützen. Man plädiere für ein Nachtflugverbot und für alternative Flugrouten im Osten und Westen, verriet Pop schon einmal. Außerdem verlangte sie, dass alle Daten veröffentlicht werden, die zur Berechnung des Auswirkungen der Flugrouten notwendig sind. Mit der »Verheimlichungstaktik« müsse Schluss sein.

Transparenz sei immer das Beste, sagte Brandenburgs Verkehrsminister Jörg Vogelsänger (SPD). Die Menschen in der Region haben ihm zufolge ein Anrecht darauf, die Ergebnisse des Gutachtens zu erfahren.

Die Landtagsabgeordnete Kornelia Wehlan (LINKE) erklärte, das Thema Nachtflugverbot sei endlich da angekommen, wo es hingehöre: auf Bundesebene! Der Lärmschutz an Flughäfen in dicht besiedelten Gebieten müsse bundeseinheitlich geregelt werden. Dass Fluglärm massive Gesundheitsbeeinträchtigungen bei den Anwohnern verursache, weiß Tilmann Heuser, in Berlin Landesgeschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). »Besonders schädlich ist der Lärm in der Nacht.« Das Gutachten des Umweltbundesamtes solle aufzeigen, welche Maßnahmen erforderlich sind, um die Gesundheit der Anwohner konsequent zu schützen. »Diese fachliche Analyse darf nicht aus politischen Gründen vernachlässigt werden. Statt wie der Berliner Senat nur die Priorität auf die Wirtschaftlichkeit des stadtnahen Flughafens zu legen, bedarf es endlich einer offenen Diskussion über die Risiken der Fluglärmbelastung.«

Da als Standort des neuen Hauptstadtflughafens bewusst eine Stadtrandlage gewählt wurde, um die Wege für die Berliner nicht zu lang werden zu lassen, müssten jetzt auch die Konsequenzen daraus akzeptiert werden, verlangte Heuser.

Die überraschende Aufhebung des Pressetermins sorgte beinahe für mehr Wirbel als die Details, die bereits durchgesickert waren. Dabei dürfte eigentlich niemand eine Sensation erwartet haben. Dass Flugzeugturbinen besonders beim Start ein ohrenbetäubendes Getöse verursachen, müsste jeder wissen. Dass Lärm schädlich ist und gesundheitliche Folgen haben kann, sprach sich inzwischen wohl ebenfalls herum. Außerdem: Das Umweltbundesamt darf in der Frage der Flugrouten sowieso weder der Deutschen Flugsicherung noch dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung Vorschriften machen. Diese müssen den einzelnen Empfehlungen nicht folgen. Sie könne sogar sämtliche Vorschläge ignorieren. Warum also die ganze Aufregung? Warum atmen viele Bürger schon vorsichtig auf, weil der Wannsee nach den Vorstellungen des Umweltamtes angeblich stärker geschont werden soll? Warum erklärte Manfred Kurz von der Bürgerinitiative Friedrichshagen: »Wir haben immer Hoffnung, dass sich die Vernunft durchsetzt«, nachdem verlautete, das Umweltbundesamt spreche sich auch dagegen aus, dass der Müggelsee überflogen wird?

Weil die Politik keine gute Figur abgibt, wenn sie sich komplett über die Meinung der Experten im Umweltbundesamt hinwegsetzt. Dann fällt es zum Beispiel schwerer, sich mit der Schutzbehauptung herauszuwinden, das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig habe gegen ein striktes Nachtflugverbot entschieden. Das stimmt nur insofern, dass dem Gericht ein Flugverbot von 0 bis 5 Uhr ausreichte. Es hätte aber nichts dagegen einzuwenden, wenn die Eigentümer des Airports, das sind der Bund sowie die Länder Berlin und Brandenburg, den Bürgern einen längeren Schlaf gönnen.

Mit mehreren hundert Teilnehmern aus Neuenhagen rechnet die dortige Bürgerinitiative gegen Fluglärm bei der Großdemonstration am 21. Januar um 14 Uhr in Berlin. Unter dem Motto »Drehkreuz Schönefeld. Falscher Standort, Neuplanung sofort!« werden Zehntausende in der Innenstadt demonstrieren, erklärte Tobias Schietzelt für die Bürgerinitiative »Neuenhagen gegen Fluglärm«. Man setze sich für ein konsequentes Nachtflugverbot und gegen ein Drehkreuz für Billigflieger ein. Bürger aus Neuenhagen wollen in Berlin mit mehreren großen Bannern und blauen Luftballons auf sich aufmerksam machen.

Wichtig ist der Berliner Senatsverkehrsverwaltung, dass es jetzt nicht zu Verzögerungen kommt. Der neue Hauptstadtflughafen soll am 3. Juni in Betrieb gehen. Am 26. Januar soll das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung die Flugrouten endgültig festlegen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal