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Eine Ohrfeige für die Politik

Lärmgutachten zum neuen Großflughafen in Schönefeld sorgt für Wirbel - Bürgerinitiativen sehen sich bestätigt

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Die »lärmfachliche Bewertung« der Flugouten am neuen Flughafen in Schönefeld durch das Umweltbundesamt (UBA) schlägt hohe Wellen. Das Eingreifen des Bundesverkehrsministeriums bei der Vorstellung des Gutachtens soll im Verkehrsausschuss des Bundestages zur Sprache kommen. SPD und Grüne beantragten für die Sitzung am nächsten Mittwoch auch die Teilnahme von Staatssekretär Klaus-Dieter Scheurle und eine schriftliche Stellungnahme der Bundesregierung. Scheurle hatte das UBA am vergangenen Montag gebeten, eine Präsentation des Gutachtens abzusagen. Es wurde schließlich am Mittwoch im Internet veröffentlicht.

Das Gutachten kritisiert, dass die Routenplanung der Deutschen Flugsicherung der »komplexen Besiedlungsstruktur« um Schönefeld nur unzureichend gerecht wird und plädiert für ein Nachtflugverbot zwischen 22 und 6 Uhr sowie für Änderungen bei den Flugrouten. Rückenwind für die Bürgerinitiativen rings um den Flughafen: »Das Gutachten ist eine Ohrfeige für die Politik und auch das Bundesverwaltungsgericht, das lediglich ein Nachtflugverbot von 0 bis 5 Uhr gelten lassen will«, so die Vorsitzende des Bürgervereins Brandenburg-Berlin (BVBB), Astrid Bothe. Zudem habe das Leipziger Gericht die Forderung des BVBB abgelehnt, die Erkenntnisse des Umweltbundesamtes in dem Verfahren zu berücksichtigen.

Während Bundesverkehrsministerium und Senat darauf verweisen, dass das Thema Nachtflüge höchstrichterlich entschieden sei, will der BVBB vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. »Durch das UBA-Gutachten sind unsere Chancen dort sicher nicht geringer geworden«, sagt Bothe. Nach ihrer Ansicht würde ein Nachtflugverbot auch nicht zu Verlusten der Flughafengesellschaft führen, denn die Nachtstunden seien die »verlustträchtigsten Stunden des Flughafenbetriebs«. Ansonsten hält der BVBB die Diskussion um die Flugrouten für eine »Phantomdiskussion«, um die Bürger hinters Licht zu führen. An- und Abflüge erzeugten einen Lärmteppich, der kilometerweit abseits der Routen zu hören sei. »Vor dem gibt es kein Entrinnen«, so die BVBB-Chefin. »Die Verantwortung für den Fluglärm liegt in der falschen Standortentscheidung.« So sieht das auch das Umweltbundesamt. UBA-Präsident Jochen Flasbarth bezeichnete gestern den BER-Standort als »sehr stadtnah«. »Dann wird man die Lärmbelastung nur in einem bestimmten Korridor überhaupt noch steuern können«, sagte er. In den vom Umweltbundesamt vorgelegten Vorschlägen sieht er aber ein großes Potenzial, die Bevölkerung zu entlasten. »Ich hoffe sehr, dass auf dieser Basis alles getan wird, um die Lärmbelastung, die ja nicht nur nervt, sondern die auch gesundheitsschädigend ist, zurückzufahren«, sagte Flasbarth.

Das hoffen die Betroffenen auch im Gebiet um den Müggelsee, wo das Gutachten mit gemischten Gefühlen aufgenommen wurde. »Es bestätigt ja, dass, wenn der Flughafen wie geplant betrieben wird, dies auf Kosten der Gesundheit der Bürger geschieht«, so Ralf Müller, Sprecher der Friedrichshagener Bürgerinitiative. Das Gutachten bescheinige aber auch, dass es schonendere Abflugvarianten gibt als das Überfliegen des Müggelsees. »Und die schonendste, nämlich die Route über die Gosener Wiesen, wurde von der Deutschen Flugsicherung gar nicht geprüft, wie das UBA jetzt feststellt«, empört sich Müller. Diese Route werde aber jetzt seit 20 Jahren vom alten Flughafen Schönefeld aus geflogen, »wohl nicht ohne Grund«. Müller glaubt, dass die Müggelseeroute tatsächlich die schädlichste sein werde, weil die Flugzeuge schon ab einer Höhe von 5000 Fuß (etwa 1500 Meter) nach Westen abdrehen können und nicht erst über Marzahn in 9000 Fuß Höhe. »Aber dies wurde den Umweltschützern gar nicht zur Prüfung vorgelegt.«

Geradezu dankbar für das Gutachten ist man bei den Initiativen, die ein Volksbegehren für ein Nachtflugverbot vorbereiten. »Die höchste deutsche Immissionsschutzbehörde schlägt sich praktisch auf unsere Seite, etwas Besseres konnte uns gar nicht passieren«, freut sich Christine Dorn von der Grünen Liga. Sie hofft jetzt auf Rückenwind für die zweite Phase des Begehrens, die voraussichtlich kurz vor Eröffnung des Flughafens Anfang Juni starten wird. 173 000 Unterschriften müssen dann in Berlin gesammelt werden.

Zunächst wird aber weiter gegen den Fluglärm protestiert - »jetzt erst recht«, so die Veranstalter. Die nächste Großdemo ist am 21. Januar in Berlin geplant. Zur ersten im November kamen laut BVB 12 000 Teilnehmer. So viele werden wieder erwartet.

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