In Rixdorf spielte die Musike

Vor 100 Jahren erhielt die Stadt vor den Toren Berlins ihren heutigen Namen: Neukölln

  • Klaus Teßmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Stadtführer Steinle mit seinem Erkennungszeichen.
Stadtführer Steinle mit seinem Erkennungszeichen.

»In Rixdorf ist Musike«, pfiffen vor über 100 Jahren die Berliner Spatzen von den Dächern. Das pfiffen sie auch später noch, obwohl es das Dorf und dann auch den Namen schon nicht mehr gab. Denn der einstmals kleine Ort am südlichen Stadtrand hatte sich verändert.

Einer, der jede Menge darüber erzählen kann, wie aus Rixdorf Neukölln wurde und welche Rolle dabei vor genau 100 Jahren ein Telegramm von »ganz oben« spielte, ist Stadtführer Reinhold Steinle. Damals war Rixdorf in den Sog der wachsenden Hauptstadt Berlin geraten. »Arbeiter aus den großen Industriebetrieben zogen in den südlichen Stadtrand, weil sie sich die Mieten in der Hauptstadt nicht leisten konnten«, so Steinle.

In den Jahren um 1870 entstehen am Rollberg erste Industriebetriebe sowie kleine Gewerbebetriebe und Mietskasernen übelster Art. 1872 wird in der Kindl-Brauerei am Rollberg das erste Bier gebraut. Ab 1899 fuhr die erste elektrische Straßenbahn als Ringbahn über Hermannplatz, Rixdorf, Britz, Tempelhof und Kreuzberg. Die Arbeiter hatten also nicht nur lange Arbeitszeiten, sondern auch noch lange Fahrwege. Doch am Wochenende brachte die Elektrische auch die Berliner nach Rixdorf, denn es gab schon das berühmte Ausflugslokal »Die Neue Welt« in der Hasenheide. Dazu kamen die Kindlfestsäle an der Hermannstraße und viele Straßenkneipen, die schließlich Stoff für den Musike-Gassenhauer boten. »Zwischen 1900 und 1905 verzeichnete Rixdorf die größte Bevölkerungszunahme aller Städte in Deutschland«, weiß Steinle. 1898 wohnten rund 80 Menschen in Rixdorf, zehn Jahre später waren es schon 207 000.

Bis zum Jahr 1914 war die Bebauung der heutigen Karl-Marx-Straße abgeschlossen. In Rixdorf herrschten katastrophale Wohnverhältnisse, es dominierten die berüchtigten Mietskasernen mit kleinen Wohnungen für die Arbeiterfamilien. Deren »Wohnzimmer« waren die vielen Straßenkneipen entlang der Hermann- oder der Karl-Marx-Straße.

Um die Gründung der Stadt Rixdorf, die schließlich am 1. April 1899 erfolgte, gab es große Diskussionen. Eigentlich wollten die Rixdorfer mit Treptow zu »Groß-Treptow« fusionieren. Es gab Überlegungen, die Stadt umzubenennen, denn der Name Rixdorf war in Berlin negativ besetzt. So waren Friedrichstadt, Richardstadt, Kaiserstadt, Spreekölln, Boddin oder Rixstadt im Gespräch. Doch schließlich beschlossen die Rixdorfer Stadtväter am 18. Januar 1912, den Namen ihrer Gemeinde in Neukölln zu ändern. Doch auch dieser Beschluss wurde über die Köpfe der Bevölkerung hinweg gefällt. Am 27. Januar 1912 erhielt der Oberbürgermeister von Rixdorf, Curt Kaiser, ein Telegramm von Kaiser Wilhelm II, dass die Stadt ab sofort Neukölln heißt. Nur acht Jahre später war Neukölln dann keine selbstständige Stadt mehr, denn im Oktober 1920 wurde sie wie andere Orte nach Groß-Berlin eingemeindet.

Der Bezirk Neukölln begeht das 100. Namensjubiläum heute um 17 Uhr im Rathaus Neukölln mit einer Ausstellung und einem historischen Schauspiel: Die kontroverse Debatte in der letzten Rixdorfer Stadtverordnetenversammlung wird im heutigen BVV-Saal nachgestellt. Dazu schlüpfen die Kulturstadträtin Dr. Franziska Giffey (SPD) und der Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), Jürgen Koglin (SPD), in historische Gewänder. Die Ausstellung des Mobilen Museums beleuchtet die Hintergründe der historischen Ereignisse. Im Mittelpunkt steht eine Umfrage, welche Bedeutung der Name Rixdorf heute noch besitzt.

Die Ausstellung im Rathaus, Karl-Marx-Straße 83, ist bis 24. Februar, mo. bis fr. von 10 bis 16 Uhr zu sehen. Wer mehr über die Geschichte von Rixdorf und Neukölln wissen möchte, kann sich einer Stadtführung von Reinhold Steinle (www.reinhold-steinle.de) anschließen.

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