Slowakei: Hopgarten, das vergessene Dorf

Die Jungen in der größten deutschen Gemeinde im Land sprechen lieber slowakisch

  • André Micklitza
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Es scheint ein ganz normales Dorf zu sein. In slowakischen Augen bereits ein unbedeutendes Nest, erst recht völlig unbekannt in Deutschland. Doch die wenigen Eingeweihten wissen es besser: geografisch eine Perle, zeitgeschichtlich eine Rarität.
Zwischen Spätsommer 1944 und Herbst 1946 erwarb sich Hopgarten nämlich den Ruhm eines mittelosteuropäischen Kuriosums. Rund herum, in der ganzen Slowakei, aber auch in der benachbarten Tschechei und in Polen mussten Deutsche massenhaft das Land verlassen. Hier jedoch widersetzte sich ein komplettes Dorf den in Jalta und Potsdam festgelegten Bestimmungen der Großmächte.
Es ist beinah eine Geschichte im Stil der Comic-Helden Asterix und Obelix, die ihr gallisches Kaff gegen das römische Weltreich verteidigten. Hier jedoch ohne Zaubertrank, ohne Waffengewalt aber mit ebenso viel List, Mut und Beharrlichkeit. Die Benes-Dekrete ließen damals Ausnahmen für ein Bleiberecht in der Slowakei nur für dringend benötigte (deutsche) Spezialisten oder aktive (deutsche) Widerstandskämpfer zu, aber nicht für ein komplettes Dorf.
Es war also wohl ein glücklicher Zufall. Oder auch göttliche Fügung, wie viele in Hopgarten denken. »Im Frühsommer 1946 umstellten tschechische Soldaten unser Dorf. Haus für Haus trieben sie die Menschen heraus und brachten sie in das Sammellager Altlublau. Bereits am nächsten Morgen protestierte der slowakische Dorfpfarrer beim Bezirksamt gegen den Willkürakt. Weil sich auch die slowakischen, ruthenischen und goralischen Bürgermeister der Nachbardörfer mit den Hopgartnern solidarisierten, kamen wir wieder frei«, berichtet Ortschronist Kozák.
Den darauf folgenden mehrmaligen Versuchen der Vertreibung durch tschechische Soldaten, entzog man sich durch Flucht in die Wälder. 1948 wurden den widerspenstigen Deutschen von Hopgarten dann gar das Angebot unterbreitet, sich zur slowakischen Nationalität zu bekennen. Die meisten fassten die Gelegenheit beim Schopfe. Für die Behörden war der Fall damit erledigt, das deutsche Dorf geriet allmählich in Vergessenheit und wurde in Chmel'nica umbenannt.
Im Ort wird zwar deutsch, aber in der Hopgartner Mundart gesprochen. Wer heiraten will, bleibt hier. Fällt die Entscheidung auf einen slowakischen Partner, muss Mann oder Frau nach Hopgarten ziehen. Jeder Zugezogene sieht sich genötigt, die Mundart zu erlernen, um ganz dazuzugehören.
Ob jeder Heranwachsende die Überredungskünste der Eltern akzeptiert, im Dorf zu bleiben, erscheint in Zukunft doch sehr fraglich. Ein wenig ähnelt die Situation in Hopgarten der im äußersten Osten Deutschlands bei den Sorben. Obwohl hier - im Gegensatz zu Hopgarten - Stiftungsgelder in beachtlicher Höhe zur Verfügung stehen, die Jüngsten auch im Kindergarten zweisprachig aufwachsen, ist der Ausgang völlig offen. Die sorbische Sprache hat das gleiche Problem wie die Hopgartner Mundart. Beides sind alte Sprachen, die kaum weiterentwickelt werden. Moderne Begriffe fehlen gar, die Sprachen klingen angestaubt. Der Hopgartner Jugend, die wöchentlich auch sieben Stunden Schul-Deutsch hat, gefällt das nicht; auf der Straße unterhält sie sich bereits in slowakisch.
Der beginnende Tourismus bringt ein wenig Geld ins Dorf. Reisegruppen aus Österreich und Deutschland besuchen Hopgarten inzwischen regelmäßig. »Kürzlich haben wir über tausend Piroggen mit der Hand gefüllt, keine einzige blieb übrig. Eine Woche später ließen sich die Gäste 50 Liter Gulasch schmecken. Manch einer hat vier Teller verputzt«. Emilie Kozák kocht gern, oft zusammen mit anderen Frauen aus dem Dorf. Nach dem Festschmaus werden im Kulturhaus die Schürzen in bunte Trachten getauscht. Auf dem Leinen dominieren die Farben rot, blau und türkis. Die Älteren tragen eine schwarze Haube mit kurzen bunten Bändern, die Mädchen ein Stirnband mit langen Bändern. Über dem weißen Hemd der Männer säumt einen rote Borte die schwarze Weste. Den Kragen schmückt eine rote Schleife. Der Chor singt voller Inbrunst, den jugendlichen Tänzern steht die Lebensfreude im Gesicht geschrieben.
Das Gasthaus heißt wie überall im Land hostinec. An den Tischen mit rot-weiß karierten Wachstuchdecken sitzen laut schwatzende Männer im Zigarettenqualm. Dazu dudelt ein deutscher Fernsehsender. Niemand hört zu, der Lärm verschluckt alles. Doch das Fassbier Saris mundet. Ortsunkundige wähnen sich vielleicht in einem slowakischen Dorf, ist die Hopgartner Mundart doch für Ungeübte nur schwer zu verstehen. Aber schnell schalten die Dörfler auf hochdeutsch um, gibt sich erst ein Zugereister als Deutscher zu erkennen.

Information: Mit der Bahn: Von Berlin über Dresden nach Prag, von dort Nachtzüge (Schlaf- u. Liegewagen) nach Poprad/Tatry, weiter nach Hopgarten (Chmel'nica) über Stará Lubovna. Mit dem Auto: Vom Großraum Berlin über Cottbus und Forst auf der A 15/E 36 nach Polen, über Zak...

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