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Fischköppe mit Heimweh
Joachim Fischer alias »Schuppe« von Usedom gründete einen FC Hansa Rostock-Fanclub und eröffnete eine Fußball-Kneipe
Hallo-hallo, schlecht siehste aus, wann biste in Bette jekomm? Redn wir nich drüber, achte wars bestimmt. Haste Feuer? Hier, mach mal n Bier. Für mich Kaffee! Wer noch? Für Susi auch. Zwei Kaffee denn!« Schuppes Kneipe in Berlin-Mitte ist ein offenes Haus. Hier trinkt der Mann von gegenüber sein Bier, die Nachbarin von oben ihren Kaffee, und unterm Tisch liegt der Hund.
Doch an den Wochenenden brennt die Luft. Da kommt der Chef nicht selten erst morgens um 6 Uhr ins Bett. Rollt der Ball, läuft das Bier. Gut fürs Geschäft. Aber in der »Sport-Klause« von Joachim Fischer alias Schuppe gibts mehr als ne Molle und n Korn. Hier haben die »Berliner Fischköppe e.V.« ihren Sitz. Die Kneipe ist Treffpunkt für Nordländer, die es nach Berlin verschlagen hat und die Heimweh haben, für Durchreisende, die ihr Spiel sehen wollen, und für solche, die in der ostdeutschen Mannschaft von der Küste ein Stück Identifikation suchen. Mit Schal und Trikot bietet Schuppe im Zeichen des runden Leders eine Anlaufstelle für jene, die in der großen Stadt irgendwie angelandet sind.
»Bundesweit gibt es 160 Fußball-Fanclubs für den FC Hansa Rostock«, sagt Peter Schmidt, der Fanbeauftragte der Bundesligamannschaft in Rostock. Er war damals am 20. September 1995 bei der Gründung des Berliner Fanclubs dabei - gemeinsam mit den Ex-Hansa-Profis Marko Rehmer, Martin Pieckenhagen und dem Ex-Minister Peter-Michael Diestel, der als Ehrenmitglied die Mitgliedsnummer 4 hat, noch vor Schuppe, der hat Nr. 5. Die »Be-Fi« - die »Berliner Fischköppe« - bilden die zahlenmäßig größte Fanbasis außerhalb Rostocks. Die Vereinskneipe in Mitte ist offizielle Vorverkaufsstelle im Berliner Raum. »So einfach Karten bestellen in Rostock ging ja gar nicht, Vorverkauf für 50 Leute ohne Vorkasse ist nicht einfach...«, sagt Kati Anker, die im Verein die Finanzen in der Hand hält. Jetzt hat der Club sein eigenes Konto. Und man kann sich für Busfahrten zum nächsten Spiel anmelden. Es gibt ein Fanjournal, eine Internetseite und ein reges Vereinsleben.
»Jetzt kommt ma, wir müssen. Willste heute Beitrag zahlen? Nich, ach bist nur Gast. He, ihr, kommt mal mit ran, wir wollen anfangen. Schuppe fehlt. Schuuuppeee!!« Das Herz des blonden Nordländers Joachim Fischer, den kaum einer unter seinem richtigen Namen kennt, schlug schon immer für den Rostocker Fußball, er ist »mit Hansa groß geworden«. 1984 verließ der gelernte Betonfacharbeiter seine Heimat auf der Insel Usedom und ging auf Montage nach Berlin. Später arbeitete er als Hausmeister in der Hochschule für Musik und wurde nach der Wende als Beschäftigter in den öffentlichen Dienst übernommen. Doch im Januar 2001 wagte der 37-Jährige den Sprung in die Selbstständigkeit. Er wurde Kneipenwirt, genauer gesagt Fußball-Kneipenwirt, und Präsident des Vereins: »Das war schon immer mein Traum«, lacht er.
Seine Frau Manuela hat früher in der Schulküche gearbeitet. Liebe geht auch bei Fußballfans durch den Magen. Als die Berliner Fischköppe ihre Weihnachtsfeier veranstalteten, fertigte die Kaltmamsell und Köchin das Buffet. So mancher Wessi hat bei Manuela schon die erste Soljanka seines Lebens gegessen. Sie war es auch, die im September 1995 die kleine Annonce entdeckte: Zwei Hansa-Fans suchen Gleichgesinnte zur Gründung eines Fanclubs. Schuppe durchlebte schlaflose Nächte. Als der Tag x kam, legte er die volle Montur an - das blau-weiße Trikot, den langen Schal und den wuchtigen Wikingerhelm mit Fell und Hörnern - und machte sich auf ins mediterran angehauchte Café »Classik«, wo ihn 20 junge Männer betroffen anstarrten. Das ist sechseinhalb Jahre her. Nach diesem Abend gründeten zwölf von ihnen den Fanclub, vier sind noch aktiv.
Die »Fahrstuhlmannschaft« aus dem Osten, die Jahr für Jahr ob ihres Verbleibs in der ersten Bundesliga alle Fans bis zum letzten Spieltag zittern lässt wie einen Aal in der Reuse, hat Anhänger von Rügen bis zum Bodensee. Nur ungefähr die Hälfte der Clubmitglieder kommt von der Wasserkante, ausgewanderte Mecklenburger und Vorpommern, die anderen sind »Verstreute« sowie Hansa-infizierte Berliner und Brandenburger. 35 Fans gehören zum aktiven Kern. Hansi ist mit 50 der älteste. Die Jüngste macht noch in die Windeln und wurde am Tag ihrer Geburt von ihren Eltern Mirco und Yvonne im Club angemeldet.
An den Wochenenden treffen sie sich bei Schuppe vor den großen Monitoren. Volkmar Guratzsch alias »Stempel« stammt aus Bautzen. Der 18-jährige Sachse lernt in der Hauptstadt Bankkaufmann. Daniela Behrens »Dani« (22) aus Bad Doberan ist Krankenschwester, Katrin Anker »Kati« aus Bernau (29) war Lehrerin, danach in einem Versicherungsbüro tätig und will demnächst studieren. Sie erwartet ein Baby. Familie Wilke aus Belzig kommt nur selten nach Berlin. Aber zur Vereinssitzung sind sie da: Hans-Jürgen »Hansi« (50), im richtigen Leben Straßenwart, Sohn Stefan (18), er lernt bei der Autobahnmeisterei, und Mutter Gudrun »Susi« (47), arbeitslose Kita-Erzieherin. »Wir sind jetzt 30 Jahre verheiratet«, erzählt Hansi, »glücklich verheiratet. Und ich hab 28 Jahre gebraucht, bis meine Frau mit mir ins Stadion kam.« Das war vor drei Jahren. Seit Susi dieses Stadionflair geschnuppert hat, wie sie sagt, ist es um sie geschehen. Die anderen 28 Jahre hatte sie gelesen, ferngesehen oder sich mit Freundinnen getroffen. Alles vergessen. Nun ist die ganze Familie bei den Fischköppen.
40 Leute finden in der »Sport-Klause« Platz, manchmal auch 70. Am Tresen läuft Bier um Bier aus dem Hahn. Die Küche hält selbstgemachte ostdeutsche Kneipenkost bereit: Kartoffelsalat, Buletten, Currywurst und Ragout fin. Man rückt zusammen. Die Versammelten eint so etwas wie Sehnsucht nach Gemeinschaft, manche sprechen von »Familie«. »Es gibt nicht so viele Möglichkeiten, auch ohne viel Geld etwas in der Gemeinschaft zu erleben«, sagt Kati. »Im Osten war das kein Problem. Aber wer heute Arbeit hat, zieht sich abends in die private Sphäre zurück. Das Gemeinschaftliche bleibt völlig auf der Strecke.« Und warum Hansa? »Weil es eine Mannschaft aus dem Osten ist«, sagen sie einhellig. Kati erklärt es genauer: »Im Osten wurde so viel kaputtgemacht. Was von hier kam, verurteilt. Da ist nicht mehr viel übrig. Aber die Fußballfans lassen sich ihre Vergangenheit nicht nehmen.«
Hansa spielt das achte Jahr hintereinander ununterbrochen in der ersten Bundesliga. »Darauf sind wir stolz«, ergänzt Schuppe. Ich habe kurze Haare, eine Bomberjacke und trage einen Wikingerhelm, bin ich deshalb ein Nazi?« Hansa-Fans wird immer mal wieder nachgesagt, sie seien dem rechten Spektrum zuzuordnen. Darauf reagieren die Berliner heftig. Die Stimmen überschlagen sich. Nein, das sei ein Vorurteil, ja, es gäbe Einzelfälle, die hochgepuscht würden, nein, bei ihnen sowieso nicht, doch, einer ist deshalb vorbestraft - aber zu Unrecht. Schuppe hebt zur Demonstration beide Arme und klatscht das rhythmische Hansa-Motto. Manchmal sei nur ein Arm zu sehen... Missverständnis. Fehlinterpretation. »Die Be-Fis sind nicht rechts«, rufen Flaps und Katrin und Susi und Volkmar und alle anderen wie aus einem Munde. Nur einer zieht den Kopf zwischen die Schultern. Aber das kann Zufall sein. »Über die Bomberjacke kannste auch mal ein Bier schütten, das wischt man ab und gut«, sagt Schuppe.
Sein Wikingerhelm ist das Geschenk eines Freundes von der Peenewerft, zum 30. Geburtstag, er erinnert ihn an die gemeinsamen Haff-Feste. »Die Wikinger waren Nordmänner, die ein hartes Leben führten, ihre eigenen Gesetze hatten und ihre Familie liebten. Darüber habe ich viel gelesen. Der Helm ist bei allen Fahrten dabei.« Nein, Menschenfreund Schuppe ist bestimmt kein Nazi. Wenn der von so genannten St. Pauli-Fans gejagt wird und eins auf die Nase kriegt, lässt er die Wut verrauchen, sucht nach Ansprechpartnern in Hamburg und besänftigt die hochgekochten Emotionen. Wenn es vor dem Stadion von Energie Cottbus Krach gibt, weil 1500 Fans draußen bleiben müssen, versucht er zu vermitteln. Und wer aus Stralsund, Groß Schönebeck oder Eutin in Berlin ist und Hansa die Treue hält, klopft bei ihm auf den Stammtisch; regelmäßig auch die »Roten Adler« aus Potsdam oder Jungs vom Club »Hart am Wind« aus Dargun. Einmal kamen fünf Fußballfans aus Wales. Auch Spanier, Engländer, Italiener und Franzosen haben mit ihnen schon Fußball geguckt. Zur WM schauten Schweden, Kameruner und Amerikaner vorbei. Verständigungsschwierigkeiten gab es nicht. Streit nur selten. Der Vereinspräsident und Kneipenwirt plädiert dafür, dass bei ihm jeder unbehelligt sitzen kann, egal, welcher Mannschaft er den Daumen hält. »Sport hat was mit Toleranz zu tun«, sagt Katrin, »Toleranz und menschlicher Größe.«
Allerdings hat Fußball auch viel mit Bier zu tun, das wird schon in jeder Werbepause beim Sportfernsehen deutlich. »Das gehört dazu«, sagen Volkmar und Stefan, »und hat nichts zu bedeuten.« Um sich Gehör zu verschaffen, muss Kati jetzt schon fast schreien: »Hier trifft sich Otto-Normalverbraucher, nicht unbedingt die Intelligenz, Leute, die einfach abschalten und sich erholen wollen. Wer von früh bis abends knüppelt, dem kann man doch das Feiern nicht verbieten! Böse Zungen behaupten, fürs Feiern müssten wir den größten Pokal bekommen. Wir Fischköppe gewinnen immer die dritte Halbzeit.«
Nichts setzt in der deutschen Volksseele so starke Emotionen frei, wie ein gut getretener Fußball in einem vollbesetzten Stadion. Wenn die Mannschaft Mumm, Herz und Wille zeigt, sind ihr Sympathie und Leidenschaft der Fans sicher. Zuschauer verleihen für das Spiel keine Schönheitspokale, sie wollen den Sieg. Dafür geben sie Euphorie, Zeit und auch viel Geld hin. Egal, ob Rostock zu Hause, in Köln oder Hamburg spielt, die Berliner Fischköppe müssen immer fahren, für sie ist jedes Spiel ein Auswärtsspiel. Wie viele Kilometer sie schon unterwegs waren, weiß keiner. Im Bus wird diskutiert, gefeiert, getanzt, gesungen - manchmal ziemlich laut. Busfahrer kennen die Spezies von Fans im Allgemeinen, die von Fußball und Eishockey im Besonderen. Wenn Klopapierrollen durch die Luft fliegen, Bierbüchsen auf dem Boden kullern, alle Nase lang eine Pinkelpause gefordert wird und die Sitze vollgekotzt werden, sind sie sauer. »Aber wir, wir haben einen guten Ruf zu verteidigen«, hält Susi dagegen. Immer hätten sie gemeinsam aufgeräumt und alles wieder sauber gemacht. Die wortgewandte Kati stellt sich wie eine Glucke vor ihre Mitglieder: »Wir lassen keinen liegen. Bisher haben wir jeden wieder nach Hause transportiert.« Für solche Worte wird sie geliebt. Aber wenn Drogen ins Spiel kämen, höre der Spaß auf. Das verstößt gegen jede Regel und hätte Konsequenzen. »Als Fanclub tragen wir Verantwortung, besonders gegenüber unseren jugendlichen Mitgliedern.«
Sie meinen Vorbildwirkung und klärende Gespräche. Weniger den Sport an sich, denn die Fans laufen nur selten selbst dem Ball hinterher. Das läge an der Hallensituation in Berlin. Zum internationalen Pfingstturnier der FC-Hansa-Fanclubs traten 28 Mannschaften aus drei Ländern gegeneinander an. Sieger wurden die Kicker aus Plau am See. Die Be-Fis waren nicht dabei. Das soll anders werden. René Siebert (21) aus Neubukow bei Wismar meint, er wird jetzt endlich freie Hallenzeiten ausfindig machen. Mit Vehemenz beteiligt sich der künftige Finanzbeamte an der Diskussion. Kati nickt zufrieden und notiert alles ins Protokoll. Dem Club tut »frischer Wind« gut. Aber später wird sie sagen, dass die Euphorie der Neuen meist nur drei, vier Monate anhält. »Wir sind vielleicht schon zu groß.«
Von rund 20 säumigen Beitragszahlern wird man sich verabschieden. Seit zwei Jahren ist kein Be-Fi-Journal mehr erschienen. Die Vereinsfahrt nach Markgrafenheide, die Susi und Hansi im vorletzten Jahr so toll fanden, musste im letzten Jahr mangels Interesse ausfallen. Jetzt will man sich endlich auch um die Clubausweise kümmern. Die Spende für die behinderten Fans aus Rostock dagegen ist schon beschlossene Sache. Ebenso die Weihnachtsfeier und die kleinen Präsente zum Jahreswechsel für die Profispieler des Clubs, jene Fußballgötter, um die sich eigentlich alles dreht.
Die Zeiten, da Schuppe und einige andere nach dem Spiel im Pressecafé des Ostsee Stadions den Stars von Angesicht zu Angesicht gegenüber standen, sind Vergangenheit. Da waren sie zu acht bei Paule Beinlich, »Professor« Studer oder Martin Groth, bei Hilmar Weiland und Marko Rehmer. »Die haben uns ein Bier ausgegeben, ich hab den Helm aufgesetzt, Bilder gemacht...« Doch diese Spieler haben Rostock den Rücken gekehrt, zu den Neuen fehlt der Kontakt. Die Spieler werden jetzt mit einer Betonmauer vor ihren Fans geschützt. Die Berliner hoffen dennoch mit jedem Spiel wieder neu, dass mal einer der Profis bei ihnen vorbeischaut. Vielleicht nach dem 2. August, nach dem Umzug in das neue Domizil. Der FC Hansa Rostock setzt allein mit Fanartikeln jährlich eine siebenstellige DM-Summe um. Enttäuschung wird laut, dass im kommerziellen Fußball der Graben zwischen Spielern und Fans immer breiter wird. Im letzten Frühjahr hat Schuppe die Rostocker Amateure nach einem Spiel in die »Sport Klause« zum Essen eingeladen. Er hofft, aus diesem Kreis wachsen die neuen Profis nach.
Es ist Nachmittag, immer häufiger öffnet sich die Kneipentür, und mit den Eintretenden weht ein Schwall frischer Luft ins Innere, wo die rauchgeschwängerten Schwaden mittlerweile zum Schneiden dick sind. Die Vereinssitzung ist beendet. Schuppe hat sich mit einem kurzen Kopfnicken in Richtung Tresen verabschiedet. Die Monitore laufen. Zig Augenpaare hängen an den beweglichen Bildern und werden immer glänzender. Mit der Spannung steigt auch der Bierkonsum. Familie Wilke wird sich an diesem Abend gegen 22 Uhr auf den Heimweg nach Belzig machen. Schuppe, so war zu erfahren, kam erst am Morgen gegen 6 Uhr nach Hause. Und Rostock hatte wieder einmal verloren.
Mehr Infos unter www.be-fi.de...
Doch an den Wochenenden brennt die Luft. Da kommt der Chef nicht selten erst morgens um 6 Uhr ins Bett. Rollt der Ball, läuft das Bier. Gut fürs Geschäft. Aber in der »Sport-Klause« von Joachim Fischer alias Schuppe gibts mehr als ne Molle und n Korn. Hier haben die »Berliner Fischköppe e.V.« ihren Sitz. Die Kneipe ist Treffpunkt für Nordländer, die es nach Berlin verschlagen hat und die Heimweh haben, für Durchreisende, die ihr Spiel sehen wollen, und für solche, die in der ostdeutschen Mannschaft von der Küste ein Stück Identifikation suchen. Mit Schal und Trikot bietet Schuppe im Zeichen des runden Leders eine Anlaufstelle für jene, die in der großen Stadt irgendwie angelandet sind.
»Bundesweit gibt es 160 Fußball-Fanclubs für den FC Hansa Rostock«, sagt Peter Schmidt, der Fanbeauftragte der Bundesligamannschaft in Rostock. Er war damals am 20. September 1995 bei der Gründung des Berliner Fanclubs dabei - gemeinsam mit den Ex-Hansa-Profis Marko Rehmer, Martin Pieckenhagen und dem Ex-Minister Peter-Michael Diestel, der als Ehrenmitglied die Mitgliedsnummer 4 hat, noch vor Schuppe, der hat Nr. 5. Die »Be-Fi« - die »Berliner Fischköppe« - bilden die zahlenmäßig größte Fanbasis außerhalb Rostocks. Die Vereinskneipe in Mitte ist offizielle Vorverkaufsstelle im Berliner Raum. »So einfach Karten bestellen in Rostock ging ja gar nicht, Vorverkauf für 50 Leute ohne Vorkasse ist nicht einfach...«, sagt Kati Anker, die im Verein die Finanzen in der Hand hält. Jetzt hat der Club sein eigenes Konto. Und man kann sich für Busfahrten zum nächsten Spiel anmelden. Es gibt ein Fanjournal, eine Internetseite und ein reges Vereinsleben.
»Jetzt kommt ma, wir müssen. Willste heute Beitrag zahlen? Nich, ach bist nur Gast. He, ihr, kommt mal mit ran, wir wollen anfangen. Schuppe fehlt. Schuuuppeee!!« Das Herz des blonden Nordländers Joachim Fischer, den kaum einer unter seinem richtigen Namen kennt, schlug schon immer für den Rostocker Fußball, er ist »mit Hansa groß geworden«. 1984 verließ der gelernte Betonfacharbeiter seine Heimat auf der Insel Usedom und ging auf Montage nach Berlin. Später arbeitete er als Hausmeister in der Hochschule für Musik und wurde nach der Wende als Beschäftigter in den öffentlichen Dienst übernommen. Doch im Januar 2001 wagte der 37-Jährige den Sprung in die Selbstständigkeit. Er wurde Kneipenwirt, genauer gesagt Fußball-Kneipenwirt, und Präsident des Vereins: »Das war schon immer mein Traum«, lacht er.
Seine Frau Manuela hat früher in der Schulküche gearbeitet. Liebe geht auch bei Fußballfans durch den Magen. Als die Berliner Fischköppe ihre Weihnachtsfeier veranstalteten, fertigte die Kaltmamsell und Köchin das Buffet. So mancher Wessi hat bei Manuela schon die erste Soljanka seines Lebens gegessen. Sie war es auch, die im September 1995 die kleine Annonce entdeckte: Zwei Hansa-Fans suchen Gleichgesinnte zur Gründung eines Fanclubs. Schuppe durchlebte schlaflose Nächte. Als der Tag x kam, legte er die volle Montur an - das blau-weiße Trikot, den langen Schal und den wuchtigen Wikingerhelm mit Fell und Hörnern - und machte sich auf ins mediterran angehauchte Café »Classik«, wo ihn 20 junge Männer betroffen anstarrten. Das ist sechseinhalb Jahre her. Nach diesem Abend gründeten zwölf von ihnen den Fanclub, vier sind noch aktiv.
Die »Fahrstuhlmannschaft« aus dem Osten, die Jahr für Jahr ob ihres Verbleibs in der ersten Bundesliga alle Fans bis zum letzten Spieltag zittern lässt wie einen Aal in der Reuse, hat Anhänger von Rügen bis zum Bodensee. Nur ungefähr die Hälfte der Clubmitglieder kommt von der Wasserkante, ausgewanderte Mecklenburger und Vorpommern, die anderen sind »Verstreute« sowie Hansa-infizierte Berliner und Brandenburger. 35 Fans gehören zum aktiven Kern. Hansi ist mit 50 der älteste. Die Jüngste macht noch in die Windeln und wurde am Tag ihrer Geburt von ihren Eltern Mirco und Yvonne im Club angemeldet.
An den Wochenenden treffen sie sich bei Schuppe vor den großen Monitoren. Volkmar Guratzsch alias »Stempel« stammt aus Bautzen. Der 18-jährige Sachse lernt in der Hauptstadt Bankkaufmann. Daniela Behrens »Dani« (22) aus Bad Doberan ist Krankenschwester, Katrin Anker »Kati« aus Bernau (29) war Lehrerin, danach in einem Versicherungsbüro tätig und will demnächst studieren. Sie erwartet ein Baby. Familie Wilke aus Belzig kommt nur selten nach Berlin. Aber zur Vereinssitzung sind sie da: Hans-Jürgen »Hansi« (50), im richtigen Leben Straßenwart, Sohn Stefan (18), er lernt bei der Autobahnmeisterei, und Mutter Gudrun »Susi« (47), arbeitslose Kita-Erzieherin. »Wir sind jetzt 30 Jahre verheiratet«, erzählt Hansi, »glücklich verheiratet. Und ich hab 28 Jahre gebraucht, bis meine Frau mit mir ins Stadion kam.« Das war vor drei Jahren. Seit Susi dieses Stadionflair geschnuppert hat, wie sie sagt, ist es um sie geschehen. Die anderen 28 Jahre hatte sie gelesen, ferngesehen oder sich mit Freundinnen getroffen. Alles vergessen. Nun ist die ganze Familie bei den Fischköppen.
40 Leute finden in der »Sport-Klause« Platz, manchmal auch 70. Am Tresen läuft Bier um Bier aus dem Hahn. Die Küche hält selbstgemachte ostdeutsche Kneipenkost bereit: Kartoffelsalat, Buletten, Currywurst und Ragout fin. Man rückt zusammen. Die Versammelten eint so etwas wie Sehnsucht nach Gemeinschaft, manche sprechen von »Familie«. »Es gibt nicht so viele Möglichkeiten, auch ohne viel Geld etwas in der Gemeinschaft zu erleben«, sagt Kati. »Im Osten war das kein Problem. Aber wer heute Arbeit hat, zieht sich abends in die private Sphäre zurück. Das Gemeinschaftliche bleibt völlig auf der Strecke.« Und warum Hansa? »Weil es eine Mannschaft aus dem Osten ist«, sagen sie einhellig. Kati erklärt es genauer: »Im Osten wurde so viel kaputtgemacht. Was von hier kam, verurteilt. Da ist nicht mehr viel übrig. Aber die Fußballfans lassen sich ihre Vergangenheit nicht nehmen.«
Hansa spielt das achte Jahr hintereinander ununterbrochen in der ersten Bundesliga. »Darauf sind wir stolz«, ergänzt Schuppe. Ich habe kurze Haare, eine Bomberjacke und trage einen Wikingerhelm, bin ich deshalb ein Nazi?« Hansa-Fans wird immer mal wieder nachgesagt, sie seien dem rechten Spektrum zuzuordnen. Darauf reagieren die Berliner heftig. Die Stimmen überschlagen sich. Nein, das sei ein Vorurteil, ja, es gäbe Einzelfälle, die hochgepuscht würden, nein, bei ihnen sowieso nicht, doch, einer ist deshalb vorbestraft - aber zu Unrecht. Schuppe hebt zur Demonstration beide Arme und klatscht das rhythmische Hansa-Motto. Manchmal sei nur ein Arm zu sehen... Missverständnis. Fehlinterpretation. »Die Be-Fis sind nicht rechts«, rufen Flaps und Katrin und Susi und Volkmar und alle anderen wie aus einem Munde. Nur einer zieht den Kopf zwischen die Schultern. Aber das kann Zufall sein. »Über die Bomberjacke kannste auch mal ein Bier schütten, das wischt man ab und gut«, sagt Schuppe.
Sein Wikingerhelm ist das Geschenk eines Freundes von der Peenewerft, zum 30. Geburtstag, er erinnert ihn an die gemeinsamen Haff-Feste. »Die Wikinger waren Nordmänner, die ein hartes Leben führten, ihre eigenen Gesetze hatten und ihre Familie liebten. Darüber habe ich viel gelesen. Der Helm ist bei allen Fahrten dabei.« Nein, Menschenfreund Schuppe ist bestimmt kein Nazi. Wenn der von so genannten St. Pauli-Fans gejagt wird und eins auf die Nase kriegt, lässt er die Wut verrauchen, sucht nach Ansprechpartnern in Hamburg und besänftigt die hochgekochten Emotionen. Wenn es vor dem Stadion von Energie Cottbus Krach gibt, weil 1500 Fans draußen bleiben müssen, versucht er zu vermitteln. Und wer aus Stralsund, Groß Schönebeck oder Eutin in Berlin ist und Hansa die Treue hält, klopft bei ihm auf den Stammtisch; regelmäßig auch die »Roten Adler« aus Potsdam oder Jungs vom Club »Hart am Wind« aus Dargun. Einmal kamen fünf Fußballfans aus Wales. Auch Spanier, Engländer, Italiener und Franzosen haben mit ihnen schon Fußball geguckt. Zur WM schauten Schweden, Kameruner und Amerikaner vorbei. Verständigungsschwierigkeiten gab es nicht. Streit nur selten. Der Vereinspräsident und Kneipenwirt plädiert dafür, dass bei ihm jeder unbehelligt sitzen kann, egal, welcher Mannschaft er den Daumen hält. »Sport hat was mit Toleranz zu tun«, sagt Katrin, »Toleranz und menschlicher Größe.«
Allerdings hat Fußball auch viel mit Bier zu tun, das wird schon in jeder Werbepause beim Sportfernsehen deutlich. »Das gehört dazu«, sagen Volkmar und Stefan, »und hat nichts zu bedeuten.« Um sich Gehör zu verschaffen, muss Kati jetzt schon fast schreien: »Hier trifft sich Otto-Normalverbraucher, nicht unbedingt die Intelligenz, Leute, die einfach abschalten und sich erholen wollen. Wer von früh bis abends knüppelt, dem kann man doch das Feiern nicht verbieten! Böse Zungen behaupten, fürs Feiern müssten wir den größten Pokal bekommen. Wir Fischköppe gewinnen immer die dritte Halbzeit.«
Nichts setzt in der deutschen Volksseele so starke Emotionen frei, wie ein gut getretener Fußball in einem vollbesetzten Stadion. Wenn die Mannschaft Mumm, Herz und Wille zeigt, sind ihr Sympathie und Leidenschaft der Fans sicher. Zuschauer verleihen für das Spiel keine Schönheitspokale, sie wollen den Sieg. Dafür geben sie Euphorie, Zeit und auch viel Geld hin. Egal, ob Rostock zu Hause, in Köln oder Hamburg spielt, die Berliner Fischköppe müssen immer fahren, für sie ist jedes Spiel ein Auswärtsspiel. Wie viele Kilometer sie schon unterwegs waren, weiß keiner. Im Bus wird diskutiert, gefeiert, getanzt, gesungen - manchmal ziemlich laut. Busfahrer kennen die Spezies von Fans im Allgemeinen, die von Fußball und Eishockey im Besonderen. Wenn Klopapierrollen durch die Luft fliegen, Bierbüchsen auf dem Boden kullern, alle Nase lang eine Pinkelpause gefordert wird und die Sitze vollgekotzt werden, sind sie sauer. »Aber wir, wir haben einen guten Ruf zu verteidigen«, hält Susi dagegen. Immer hätten sie gemeinsam aufgeräumt und alles wieder sauber gemacht. Die wortgewandte Kati stellt sich wie eine Glucke vor ihre Mitglieder: »Wir lassen keinen liegen. Bisher haben wir jeden wieder nach Hause transportiert.« Für solche Worte wird sie geliebt. Aber wenn Drogen ins Spiel kämen, höre der Spaß auf. Das verstößt gegen jede Regel und hätte Konsequenzen. »Als Fanclub tragen wir Verantwortung, besonders gegenüber unseren jugendlichen Mitgliedern.«
Sie meinen Vorbildwirkung und klärende Gespräche. Weniger den Sport an sich, denn die Fans laufen nur selten selbst dem Ball hinterher. Das läge an der Hallensituation in Berlin. Zum internationalen Pfingstturnier der FC-Hansa-Fanclubs traten 28 Mannschaften aus drei Ländern gegeneinander an. Sieger wurden die Kicker aus Plau am See. Die Be-Fis waren nicht dabei. Das soll anders werden. René Siebert (21) aus Neubukow bei Wismar meint, er wird jetzt endlich freie Hallenzeiten ausfindig machen. Mit Vehemenz beteiligt sich der künftige Finanzbeamte an der Diskussion. Kati nickt zufrieden und notiert alles ins Protokoll. Dem Club tut »frischer Wind« gut. Aber später wird sie sagen, dass die Euphorie der Neuen meist nur drei, vier Monate anhält. »Wir sind vielleicht schon zu groß.«
Von rund 20 säumigen Beitragszahlern wird man sich verabschieden. Seit zwei Jahren ist kein Be-Fi-Journal mehr erschienen. Die Vereinsfahrt nach Markgrafenheide, die Susi und Hansi im vorletzten Jahr so toll fanden, musste im letzten Jahr mangels Interesse ausfallen. Jetzt will man sich endlich auch um die Clubausweise kümmern. Die Spende für die behinderten Fans aus Rostock dagegen ist schon beschlossene Sache. Ebenso die Weihnachtsfeier und die kleinen Präsente zum Jahreswechsel für die Profispieler des Clubs, jene Fußballgötter, um die sich eigentlich alles dreht.
Die Zeiten, da Schuppe und einige andere nach dem Spiel im Pressecafé des Ostsee Stadions den Stars von Angesicht zu Angesicht gegenüber standen, sind Vergangenheit. Da waren sie zu acht bei Paule Beinlich, »Professor« Studer oder Martin Groth, bei Hilmar Weiland und Marko Rehmer. »Die haben uns ein Bier ausgegeben, ich hab den Helm aufgesetzt, Bilder gemacht...« Doch diese Spieler haben Rostock den Rücken gekehrt, zu den Neuen fehlt der Kontakt. Die Spieler werden jetzt mit einer Betonmauer vor ihren Fans geschützt. Die Berliner hoffen dennoch mit jedem Spiel wieder neu, dass mal einer der Profis bei ihnen vorbeischaut. Vielleicht nach dem 2. August, nach dem Umzug in das neue Domizil. Der FC Hansa Rostock setzt allein mit Fanartikeln jährlich eine siebenstellige DM-Summe um. Enttäuschung wird laut, dass im kommerziellen Fußball der Graben zwischen Spielern und Fans immer breiter wird. Im letzten Frühjahr hat Schuppe die Rostocker Amateure nach einem Spiel in die »Sport Klause« zum Essen eingeladen. Er hofft, aus diesem Kreis wachsen die neuen Profis nach.
Es ist Nachmittag, immer häufiger öffnet sich die Kneipentür, und mit den Eintretenden weht ein Schwall frischer Luft ins Innere, wo die rauchgeschwängerten Schwaden mittlerweile zum Schneiden dick sind. Die Vereinssitzung ist beendet. Schuppe hat sich mit einem kurzen Kopfnicken in Richtung Tresen verabschiedet. Die Monitore laufen. Zig Augenpaare hängen an den beweglichen Bildern und werden immer glänzender. Mit der Spannung steigt auch der Bierkonsum. Familie Wilke wird sich an diesem Abend gegen 22 Uhr auf den Heimweg nach Belzig machen. Schuppe, so war zu erfahren, kam erst am Morgen gegen 6 Uhr nach Hause. Und Rostock hatte wieder einmal verloren.
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