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Szenen einer traurigen Ehe

Griechisch-türkische Familie wegen Zwangsheirat vor Gericht

  • Lesedauer: 3 Min.
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen

Er war 13, sie 16 Jahre alt, als die Romanze begann. Heute ist er 19 und sie 22, beide treffen sich als erbitterte Feinde vor Gericht wieder. Die Vorwürfe, die der junge Mann erhebt, wiegen schwer. Die inzwischen von ihm geschiedene Frau soll ihn sexuell genötigt und ihre in Berlin lebende griechisch-türkische Familie ihn später durch Morddrohungen und Gewalt zur Heirat gezwungen haben. Vor Gericht steht der Familienclan: Tochter, Mutter, Vater, Großmutter und Bruder sowie der libanesisch stämmige Schwiegersohn.

Laut Anklage haben sich der Junge und das drei Jahre ältere Mädchen über das Internet kennen gelernt. Er lebte in Stuttgart, sie in Berlin. Da sie nicht zueinander kamen soll sie ihn zum Telefonsex genötigt haben. Er wusste sich keinen Rat und willigte ein. Später, 2008, trafen sie sich in Berlin und dort soll sie ihn dann in der Wohnung ihrer Eltern mehrfach vergewaltigt haben. Dafür verwöhnte sie ihn regelmäßig mit Geschenken. Ab 2008 habe ihn die gesamte Familie massiv unter Druck gesetzt. Wenn er sie nicht heirate, dann werde seine Familie leiden müssen, lebend werde er nicht mehr aus Berlin herauskommen. Was mit seiner Schwester geschehen würde, das könne er sich selbst ausrechnen. Im November 2009 willigte er in die Ehe ein. In Griechenland wurde standesamtlich geheiratet, die Hochzeitsfeier mit 300 Gästen wurde zu einem Großereignis in Wedding.

Doch das zusammengepresste Glück hielt ganze zwei Monate. Anfang 2010 wurde die Ehe in Griechenland geschieden. Dazwischen lag eine abgebrochene Schwangerschaft. Ali, der junge Mann, erstattete, nachdem er nun erwachsen ist, Anzeige gegen seine geschiedene und inzwischen wieder neu verheiratete Frau Zeynep und der Ball kam ins Rollen.

Alles erlogen und erstunken, donnert der ansonsten wortkarge angeklagte Familienclan. Wir haben uns gut mit der Familie von Ali verstanden. Erst wollten wir der Heirat nicht zustimmen, weil er so jung war. Er war es, der das Mädchen seiner Unschuld beraubte, es schlug und nicht mehr aus dem Haus ließ. Es gab kein böses Wort, keine Drohungen und schon gar keine Gewalt. Vermutlich wolle sich Ali jetzt rächen, weil er wegen der Hochzeit einen Schuldenberg angehäuft hat.

Die Anwältin von Ali widerspricht in einer Verhandlungspause: Zeynep sei bei ihrem Kennenlernen nicht mehr Jungfrau gewesen und habe damit Schande über die Familie gebracht. In Ali hätte man einen unerfahrenen Jungen gefunden, der das Ausmaß einer Ehe gar nicht hätte überschauen können. Ihr Mandant leide unter psychischen Störungen und Angstzuständen. Für die Hochzeit habe er sich mit 20 000 Euro überschuldet. Als Ali als Zeuge vor Gericht erscheint, bricht dezenter Tumult aus. Als er seine Version des Sexuallebens berichtet, möchten ihm die angeklagten Frauen am Liebsten an die Gurgel. Es sprudelt aus ihm nur so heraus, wie ein gebrochener Junge wirkt er nicht. Doch wer hat nun recht? Die Familie, die gar nicht verstehen kann, was sie hier im Gerichtssaal soll? Ist der erwachsene Ali doch nur ein Racheengel, der sich das alles nur ausgedacht hat? Das Gericht entschied: Zwangsehe nicht nachweisbar - Freispruch.

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