Kultur bröckelt unter den Fingern weg

In Pankow protestieren Bürger gegen Ausverkauf durch Sparhaushalt

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Bedrohtes Areal im Thälmannpark
Bedrohtes Areal im Thälmannpark

In der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) steht am frühen Mittwoch Abend die erste Lesung des Haushaltsplans 2012/13 an. Eine trockene Sache, sollte man meinen. Doch der Saal fasst kaum die vielen Bürger, die mit Transparenten und Plakaten hineindrängen - und mit viel Wut im Bauch. Grund sind die angekündigten Kürzungen im Kulturbereich, die einen Kahlschlag unter den kleinen kommunalen Einrichtungen zur Folge hätten.

Vor Beginn der Versammlung hatten rund 200 Menschen direkt am Eingang zum Bezirksamt ihren Protest formuliert: Mütter mit Kindern, Jugendliche, ältere Leute, viele Kulturschaffende. Ein paar Musiker trommeln, hinter ihnen verkündet ein Plakat »Wir sind jung, wir sind laut, weil man uns die Möglichkeiten klaut!« Fast alle tragen Aufkleber »KulturNot Pankow«, mehr als 600 Menschen haben sich fotografieren lassen und zeigen im Internet und auf Transparenten Gesicht gegen den Kulturabbau.

Die Stimmung kocht hoch im Bezirk, seit Bezirkstadtrat Torsten Kühne (CDU) Mitte Januar Einsparungen in Höhe von einer Million Euro für den Kulturhaushalt angekündigt hatte; insgesamt muss der Bezirk fünf Millionen Euro sparen. Die Liste der betroffenen Einrichtungen ist lang und umfasst unter anderem das Kulturareal Ernst-Thälmann-Park mit Theater unterm Dach, WABE, Galerie Parterre, Kunstwerkstätten und Kunsthaus sowie vier Bibliotheken, darunter zwei ehrenamtlich betriebene, die Musikschule Buch und zwei Seniorenfreizeitstätten.

Jens Becker, Sprecher des Aktionsbündnis Berliner Künstler und Professor an der Filmhochschule Berlin-Babelsberg, spricht von einem »Kulturkahlschlag«. »Was unternimmt das Bezirksamt, um den drohenden Kulturausverkauf zu stoppen?«, fragt Becker unter Applaus der Bürger in der BVV-Fragestunde. Doch das Hauptproblem, sagt er hinterher, sei die zentralistischen Regierungsweise von Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der »kommunale Projekte austrocknet und seine Prestigeobjekte durchboxt« - wie die für 200 Millionen Euro geplante neue Landesbibliothek. »Und in Pankow müssen ehrenamtliche Büchereien schließen, das ist doch verrückt!«

Dass auch die Bezirkspolitiker alles andere als glücklich sind mit dem Haushaltsplan, wird im Verlauf der Diskussion deutlich. »Niemand kann mit diesem Entwurf zufrieden sein«, betont Bürgermeister Matthias Köhne (SPD). Es gebe aber kaum Spielräume. Zwar hat das Land die Freigabe von zusätzlich 50 Millionen Euro an die Bezirke zugesagt, doch fehlt Geld an allen Ecken und Enden.

Ein heikles Thema ist vor allem der Erhalt des dringend sanierungsbedürftigen Thälmann-Areals. Die beantragten Fördermittel in Höhe von zwei Mio Euro hatte das Land verweigert, allein kann der Bezirk die Sanierung nicht stemmen und müsste das historische Ensemble verkaufen. »Das Areal bröckelt uns unter den Fingern weg«, so Kühne. Kulturstaatsekretär André Schmitz habe aber versprochen, eine Förderung noch einmal wohlwollend zu prüfen. Stadtrat Kühne selbst dreht momentan die Runde, um mit den Leuten in den betroffenen Einrichtungen über Einsparmöglichkeiten zu reden. Er will außerdem prüfen, inwieweit alternative Fördermittel durch Bund und Land oder Treuhandmodelle in Frage kämen. »Wir brauchen einen Masterplan bis 2020: Was wollen wir uns leisten!«, fordert Kühne. Höhnischer Protest der anwesenden Bürger: »Was heißt‚ wollen!«, ruft ein Zuhörer.

Ideen, wie genau es weitergehen soll, hat in Pankow derzeit offensichtlich niemand. Der Haushaltsentwurf sei in der momentanen Form »nicht umsetzbar«, geben die Bezirkspolitiker aller Fraktionen unumwunden zu. Der Aufschrei der Bürger ist offensichtlich gewollt: Das Land Berlin muss sehen, was ihm seine Bezirke wert sind, fordert der Kulturstadtrat.

Laut beklatscht wird Schauspielerin Nadja Engel, die unter großem Beifall Solidaritätsbekundungen von Künstlern wie Alf Ator von Knorkator, Intendant Armin Petras, Liedermacher Reinald Grebe u.a. vorliest; dass die bedrohten Einrichtungen auch untereinander einen Solidaritätspakt abgeschlossen haben, betont Klaus Lemmnitz, Vorstand des Vereins Pro Kiez Bötzowviertel, dessen Mitglieder ehrenamtlich die Tucholsky-Bibliothek führen. Weitere Protestaktionen sind geplant. »Wir gehen auch ungewöhnliche Wege, um einen Kahlschlag zu verhindern«, beteuert Klaus Mindrup (SPD) vom Finanzausschuss. Welche das sein könnten, blieb offen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal