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Acht Cent gegen die Armut

Ausstellung über Flaschensammler in Dresdens Neustadt

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Armut wird sichtbarer im Land. In Szenevierteln wie der Dresdner Neustadt sammeln Menschen Pfandflaschen, um davon ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. In einer Ausstellung erzählen sie über ihr Leben.

Franz und Frieder sammeln täglich. Zu zweit streifen sie abends durch die Dresdner Neustadt und sammeln die Pfandflaschen, die junge Partygänger in dem Szeneviertel stehen lassen. Die Ausbeute ist spärlich: Gerade einmal acht Cent gibt es für eine Bierflasche. Nach der täglichen Tour kehren sie in das Wohnheim des Arbeitersamariterbundes zurück, in dem sie leben - und träumen von Größerem. Einmal, wünscht sich Frieder, solle das Pfandgeld für eine Zugfahrkarte nach Amsterdam reichen: »Das wär's!«

Die Reise dürfte ein Wunschtraum bleiben. Die meisten der über zwei Dutzend Sammler, die vorwiegend abends durch die Neustadtstraßen streifen, haben schon Not, mit dem Erlös ihrer Suche den nötigsten Lebensunterhalt bestreiten zu können. In dem Viertel, in dem sich eine Kneipe an die nächste reiht und das vor allem an Wochenenden voller vergnügungshungriger Menschen ist, stöbern sie sich ein mühevolles Einkommen zusammen. 300 stehen gelassene Flaschen könne er in einer guten Nacht zusammenklauben, berichtet ein Routinier - damit liegt der »Stundenlohn« bei etwa drei Euro. Erkauft wird er nicht selten durch Erniedrigung; angepöbelt zu werden, gehört für die Sammler zum Alltag. »Wer Flaschen sammelt, ist ganz unten angekommen«, sagt »Pfanne«: Man sei »ein Fußtreter der Gesellschaft«.

Während viele Passanten die Flaschensammler unangenehm berührt »übersehen«, erzählt eine Initiative namens »Links in der Neustadt« jetzt in einer Ausstellung über deren Leben. Basis sind Gespräche mit Sammlern, die ein bedrückendes Panorama prekärer Lebensverhältnisse in einer wohlhabenden Stadt ergeben. Ein Sammler namens Udo etwa suchte vergebens einen Job als Lagerarbeiter, wurde aber nicht fündig. Betteln könne er nicht; deshalb versucht er, die Sozialleistungen durch Flaschensammeln aufzubessern. Eine Kosovo-Albanerin berichtet, sie gehe »lieber arbeiten, als nur zu Hause zu sitzen. Weil sie als Asylbewerberin keine Erlaubnis zum Arbeiten erhält, ist das Sammeln ihr Job. Dass Bedürftige gerade Flaschen sammeln, hat Gründe, sagt die LINKE-Landtagsabgeordnete Julia Bonk: Anders als Einkünfte aus regulären Jobs, wird der Pfanderlös nicht als Zuverdienst beim Arbeitslosengeld II angerechnet. Kein Wunder also, dass die Zahl der Flaschensammler zunimmt, wie die 71-jährige Christa bestätigt, die bereits seit 1987 auf den Neustadt-Straßen unterwegs ist. Ihren Schilderungen nach respektieren sich die Sammler untereinander. Allerdings werde auch von Revierkämpfen berichtet, sagt Bonk. Die härteren Anfeindungen aber kommen von den anderen - denen, die Flaschen kaufen und oft auch stehen lassen können. »Wer im Besitz einer Flasche ist, der hat Macht«, erzählt Pfanne. Unflätige Kommentare am Pfandautomaten sind dafür noch ein eher harmloser Ausdruck.

Die Ausstellung, die bis 15. März im Abgeordnetenbüro WIR AG am Dresdner Lutherplatz und danach in anderen Stadtteilen zu sehen ist, will Schicksale ins Bewusstsein rufen, aber auch zum Nachdenken anregen - etwa darüber, ob eine stehen gelassene Pfandflasche für acht Cent bereits ein angemessener Beitrag zur Linderung von Armut ist. Zugleich strebt die Initiative an, die Bedingungen für Pfandsammler zu erleichtern. So soll ihnen das unwürdige Kramen in Papierkörben erspart bleiben. Deshalb wurden viele Aufkleber angebracht: »Hier könnte deine Flasche stehen.« Bonk kündigte zudem Gespräche mit der Stadtreinigung an. Das Ziel: Neben Müllkübeln sollen Sammelkörbe für die Flaschen angebracht werden.

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