Petsamo hieß das letzte Fenster zur Freiheit

Der Publizist Kurt Singer bekämpfte die Nazis mit Büchern über Ossietzky, Niemöller und - Göring

  • Jochen Reinert
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.

Vor gut sechs Jahrzehnten verlangte die Naziregierung von Schweden die Auslieferung des deutschen Antifaschisten Kurt D. Singer. Ein beherzter Göteborger Chefredakteur rettete ihm faktisch das Leben. Dieser Tage feierte Singer in Kalifornien seinen 91. Geburtstag.


Es war am 5. Februar 1940«, erinnert sich Kurt Singer. »An diesem Tage wurde meine Göring-Biografie beschlagnahmt. Der Naziführer persönlich und der deutsche Botschafter in Stockholm verlangten nicht nur die Konfiskation des Buches, sondern auch meine Auslieferung nach Nazi-Deutschland.« Das war zu dieser Zeit keineswegs ausgeschlossen. »Gute Freunde sagten mir, dass die schwedische Regierung das zwar ablehne, aber nicht wisse, wie sie reagieren werde, wenn aus Berlin eine zweite oder dritte Forderung nach Auslieferung komme. Deshalb ließ man durchblicken, ich solle versuchen, in die USA zu emigrieren.«
Doch das war leichter gesagt als getan. Der in Wien geborene und in Berlin aufgewachsene Kurt Singer hatte damals keine Kontakte über den Großen Teich. Nach dem Reichstagsbrand hatte er in Berlin eine Untergrundpublikation herausgegeben, wurde entdeckt, konnte aber nach Schweden entkommen. Hier setzte er sogleich seinen publizistischen Kampf gegen das Nazi-Regime fort. Im März 1936 publizierte er in Stockholm das weltweit erste Buch über den KZ-Gefangenen Carl von Ossietzky. Eine dänische Ausgabe folgte noch im gleichen Jahr, eine deutsche erschien 1937 in Zürich.
Gemeinsam mit der Schriftstellerin Mia Leche Löfgren und weiteren schwedischen Persönlichkeiten gründete Singer das schwedische Ossietzky-Komitee, das die Entlassung des »Weltbühnen«-Chefs aus dem KZ und seine Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis betrieb. Eines schönen Tages meldete sich das Osloer Preiskomitee bei ihm und bat um die Zusendung von sechs Exemplaren seines Buches. »Das gab mir große Hoffnung, dass er letztendlich den Preis erhalten würde«, sagte Singer im ND-Gespräch. Und so geschah es auch - Ossietzky erhielt 1936 den Friedensnobelpreis für das Jahr 1935. Zugleich engagierte sich Singer für die Ossietzky-Tochter Rosalinda, die zunächst Zuflucht in Großbritannien gefunden hatte. Sie schilderte ihm in einem Brief, dass der deutsche Dramatiker Ernst Toller und andere Förderer die Ausgaben für ihre Ausbildung nicht mehr aufbringen könnten. Kurz entschlossen verschaffte Singer der Ossietzky-Tochter einen Platz in einer Internatsschule nahe Stockholm.
Singers Aktivitäten gingen indes weit über sein Ossietzky-Engagement hinaus. Weitere antifaschistische Schriften thematisierten die Berliner Olympiade 1936, die Zwangssterilisierungen in Deutschland und das Schicksal von Pastor Martin Niemöller. Und dann also die publizistische Attacke auf den Naziführer Göring.
Die Ossietzky-Mitstreiterin Leche-Löfgren riet ihm, sich an den einflussreichen Chefredakteur der antifaschistischen »Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning«, Torgny Segerstedt, zu wenden. Und tatsächlich - der half sofort. Segerstedt, der bereits eine größere Fehde mit Göring hinter sich hatte (der Naziminister beschwerte sich in einem wütenden Fernschreiben über eine Publikation der Zeitung), ernannte ihn zum USA-Korrespondenten seines Blattes und ebnete ihm den Weg zu dem Göteborger USA-Generalkonsul. Singer erinnert sich lebhaft: »Der Konsul hieß William C. Corcoran, er war ein persönlicher Freund des USA-Präsidenten Roosevelt und großer Anti-Nazi«. Alsbald erhielt der deutsche Emigrant die nötigen USA-Visa.
Aber Schweden war in jenen Tagen schon weitgehend eingekreist, sichere Flug- und Schiffverbindungen gab es nicht mehr. Der Plan, ein englisches U-Boot könnte Singer, seine Frau und die neugeborene Tochter in Nordnorwegen an Bord nehmen, konnte nicht verwirklicht werden. Unterdessen hatte die Wehrmacht Norwegen besetzt. Schließlich erwies sich der kleine finnische Eismeerhafen Petsamo als letztes Fenster der Freiheit für die Singers. Am 4. Juli 1940 landete die Familie glücklich in New York.
Doch damit war der antifaschistische Kampf für Singer keineswegs zu Ende. Neben seiner journalistischen Arbeit für Segerstedts Göteborger Zeitung und mehrere andere Blätter war er auch an der geheimen Front tätig. »Ja, ich habe das Hitler-Regime auch auf diese Weise bekämpft, und das hat schon in Schweden angefangen«, bekennt er heute. »Ich war für schwedische, britische und US-Dienste tätig, in den Staaten dann vor allem auch - ähnlich wie Willy Brandt - für die norwegische Exilregierung in London.« Dabei ging es vor allem um die Sicherheit der in großer Zahl für die Alliierten fahrenden norwegischen Handelsschiffe und ihrer Besatzungen, die Ziel vieler geheimer Nazioperationen waren.
Nach dem Krieg arbeitete Singer weiter als Journalist, gründete eine literische Agentur, gab mehrere Anthologien heraus, schrieb Biografien über Mata Hari, Ernest Hemingway, Albert Schweitzer oder Charles Laughton. Insgesamt hat er nicht weniger als 104 Bücher publiziert. Trotz seines hohen Alters verfolgt er das Weltgeschehen weiter sehr aufmerksam, schreibt für die Zeitschriften »Aufbau« und »Ossietzky« kritische »Briefe aus Kalifornien«.
Die Regierung Bush stuft Singer als »beinahe gefährlich« ein. Einen Krieg gegen Irak hält er für Irrsinn und freut sich darüber, dass »die Alliierten, sogar Kanzler Schröder, nicht mitmachen wollen«. Bekümmert ist er zugleich darüber, »dass die sozialen Angelegenheiten immer mehr in den Hintergrund treten«. Die Kriegskosten steigen, die Sozialleistungen würden reduziert. »Oder nehmen wir das Legalisierungsversprechen für die vier Millionen Mexikaner, die illegal hier sind - darüber spricht jetzt keiner mehr«, klagt der Ex-Emigrant.
In all den Jahren hat Singer indes nicht vergessen, dass der Schwede Torgny Segerstedt »unser Leben rettete und ihm eine neue Richtung gab«.
Es war am 5. Februar 1940«, erinnert sich Kurt Singer. »An diesem Tage wurde meine Göring-Biografie beschlagnahmt. Der Naziführer persönlich und der deutsche Botschafter in Stockholm verlangten nicht nur die Konfiskation des Buches, sondern auch meine Auslieferung nach Nazi-Deutschland.« Das war zu dieser Zeit keineswegs ausgeschlossen. »Gute Freunde sagten mir, dass die schwedische Regierung das zwar ablehne, aber nicht wisse, wie sie reagieren werde, wenn aus Berlin eine zweite oder dritte Forderung nach Auslieferung komme. Deshalb ließ man durchblicken, ich solle versuchen, in die USA zu emigrieren.«
Doch das war leichter gesagt als getan. Der in Wien geborene und in Berlin aufgewachsene Kurt Singer hatte damals keine Kontakte über den Großen Teich. Nach dem Reichstagsbrand hatte er in Berlin eine Untergrundpublikation herausgegeben, wurde entdeckt, konnte aber nach Schweden entkommen. Hier setzte er sogleich seinen publizistischen Kampf gegen das Nazi-Regime fort. Im März 1936 publizierte er in Stockholm das weltweit erste Buch über den KZ-Gefangenen Carl von Ossietzky. Eine dänische Ausgabe folgte noch im gleichen Jahr, eine deutsche erschien 1937 in Zürich.
Gemeinsam mit der Schriftstellerin Mia Leche Löfgren und weiteren schwedischen Persönlichkeiten gründete Singer das schwedische Ossietzky-Komitee, das die Entlassung des »Weltbühnen«-Chefs aus dem KZ und seine Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis betrieb. Eines schönen Tages meldete sich das Osloer Preiskomitee bei ihm und bat um die Zusendung von sechs Exemplaren seines Buches. »Das gab mir große Hoffnung, dass er letztendlich den Preis erhalten würde«, sagte Singer im ND-Gespräch. Und so geschah es auch - Ossietzky erhielt 1936 den Friedensnobelpreis für das Jahr 1935. Zugleich engagierte sich Singer für die Ossietzky-Tochter Rosalinda, die zunächst Zuflucht in Großbritannien gefunden hatte. Sie schilderte ihm in einem Brief, dass der deutsche Dramatiker Ernst Toller und andere Förderer die Ausgaben für ihre Ausbildung nicht mehr aufbringen könnten. Kurz entschlossen verschaffte Singer der Ossietzky-Tochter einen Platz in einer Internatsschule nahe Stockholm.
Singers Aktivitäten gingen indes weit über sein Ossietzky-Engagement hinaus. Weitere antifaschistische Schriften thematisierten die Berliner Olympiade 1936, die Zwangssterilisierungen in Deutschland und das Schicksal von Pastor Martin Niemöller. Und dann also die publizistische Attacke auf den Naziführer Göring.
Die Ossietzky-Mitstreiterin Leche-Löfgren riet ihm, sich an den einflussreichen Chefredakteur der antifaschistischen »Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning«, Torgny Segerstedt, zu wenden. Und tatsächlich - der half sofort. Segerstedt, der bereits eine größere Fehde mit Göring hinter sich hatte (der Naziminister beschwerte sich in einem wütenden Fernschreiben über eine Publikation der Zeitung), ernannte ihn zum USA-Korrespondenten seines Blattes und ebnete ihm den Weg zu dem Göteborger USA-Generalkonsul. Singer erinnert sich lebhaft: »Der Konsul hieß William C. Corcoran, er war ein persönlicher Freund des USA-Präsidenten Roosevelt und großer Anti-Nazi«. Alsbald erhielt der deutsche Emigrant die nötigen USA-Visa.
Aber Schweden war in jenen Tagen schon weitgehend eingekreist, sichere Flug- und Schiffverbindungen gab es nicht mehr. Der Plan, ein englisches U-Boot könnte Singer, seine Frau und die neugeborene Tochter in Nordnorwegen an Bord nehmen, konnte nicht verwirklicht werden. Unterdessen hatte die Wehrmacht Norwegen besetzt. Schließlich erwies sich der kleine finnische Eismeerhafen Petsamo als letztes Fenster der Freiheit für die Singers. Am 4. Juli 1940 landete die Familie glücklich in New York.
Doch damit war der antifaschistische Kampf für Singer keineswegs zu Ende. Neben seiner journalistischen Arbeit für Segerstedts Göteborger Zeitung und mehrere andere Blätter war er auch an der geheimen Front tätig. »Ja, ich habe das Hitler-Regime auch auf diese Weise bekämpft, und das hat schon in Schweden angefangen«, bekennt er heute. »Ich war für schwedische, britische und US-Dienste tätig, in den Staaten dann vor allem auch - ähnlich wie Willy Brandt - für die norwegische Exilregierung in London.« Dabei ging es vor allem um die Sicherheit der in großer Zahl für die Alliierten fahrenden norwegischen Handelsschiffe und ihrer Besatzungen, die Ziel vieler geheimer Nazioperationen waren.
Nach dem Krieg arbeitete Singer weiter als Journalist, gründete eine literische Agentur, gab mehrere Anthologien heraus, schrieb Biografien über Mata Hari, Ernest Hemingway, Albert Schweitzer oder Charles Laughton. Insgesamt hat er nicht weniger als 104 Bücher publiziert. Trotz seines hohen Alters verfolgt er das Weltgeschehen weiter sehr aufmerksam, schreibt für die Zeitschriften »Aufbau« und »Ossietzky« kritische »Briefe aus Kalifornien«.
Die Regierung Bush stuft Singer als »beinahe gefährlich« ein. Einen Krieg gegen Irak hält er für Irrsinn und freut sich darüber, dass »die Alliierten, sogar Kanzler Schröder, nicht mitmachen wollen«. Bekümmert ist er zugleich darüber, »dass die sozialen Angelegenheiten immer mehr in den Hintergrund treten«. Die Kriegskosten steigen, die Sozialleistungen würden reduziert. »Oder nehmen wir das Legalisierungsversprechen für die vier Millionen Mexikaner, die illegal hier sind - darüber spricht jetzt keiner mehr«, klagt der Ex-Emigrant.
In all den Jahren hat Singer indes nicht vergessen, dass der Schwede Torgny Segerstedt »unser Leben rettete und ihm eine neue Richtung gab«.

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