Der dritte Weg zur Wohnung

Genossenschaften sehen sich vor Renaissance - eine baut schon eine Mustersiedlung

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 5 Min.

Eigentlich sollten sich auf der Brache am Gleisdreieck, zwischen Yorck- und Möckernstraße, schon die Kräne drehen. Doch die Tücken des Baurechts und der Bürokratie können schon mal für Verzögerungen sorgen, besonders bei einem Projekt dieser Größenordnung. 400 Wohnungen plus Gemeinschaftseinrichtungen in zehn Blöcken sollen auf dem einstigen Bahngelände gleich neben dem neuen Park am Gleisdreieck entstehen, und zwar als soziale und ökologische Mustersiedlung. Die nächste Besonderheit: Der Bauherr ist nicht einer der üblichen Investoren, sondern eine Genossenschaft: Die »Möckernkiez Genossenschaft für selbstverwaltetes, soziales und ökologisches Wohnen eG«.

Die Dimension ihres Vorhabens lässt sich schon daraus erahnen, dass in Berlin zuletzt jährlich nur um die 3000 Wohnungen gebaut wurden, 2011 entfielen davon laut Verband Berlin-Brandenburger Wohnungsunternehmen (BBU) lediglich 140 auf Genossenschaften. Deren Wohnungsbestand hat sich somit in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert, mit 185 000 Wohnungen verwalten die 90 Genossenschaften rund zehn Prozent des Berliner Bestandes. »Die Genossenschaften im Ostteil der Stadt hatten mit der Sanierung ihrer Bestände zu tun, und beim Erwerb von Baugrundstücken konnten wir mit den großen Investoren nicht mithalten«, erklärt Wolfgang Lössl vom Genossenschaftsforum, eine Art Forschungseinrichtung der Genossenschaften, die die Vorteile und Potenziale dieser Wohnform deutlich machen will.

Von denen braucht Aino Simon, Vorstand der Genossenschaft »Möckernkiez«, nicht mehr überzeugt zu werden. »Gerade angesichts der steigenden Mieten in Berlin erkennen immer mehr Menschen, was für ein gutes Instrument Genossenschaften sind, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.« Der ist im Möckernkiez trotzdem nicht ganz billig. Denn die Genossenschaftsmitglieder müssen etwa 30 Prozent der Investitionskosten von über 70 Millionen Euro selbst aufbringen. Wer also eine 100 Quadratmeter große Wohnung beziehen will, muss 60 000 Euro Eigenkapital einzahlen und später natürlich auch noch Miete zahlen. »Bauen kostet und wir können nicht zaubern oder das grundkapitalistische Problem lösen, dass es Menschen mit Besitz und ohne gibt«, sagt Simon. Für eine vergleichbare Eigentumswohnung aber hätte man 200 000 Euro hingeben müssen. »Bei uns wird mit Wohnraum nicht spekuliert, keiner will daran verdienen«, betont sie. In zehn Jahren seien ihre Mieten dann vielleicht Sozialmieten, »und wir können Menschen aufnehmen, die sich woanders keine Wohnung leisten können. Wir haben jedenfalls das Ziel, langfristig preiswerten Wohnraum zu schaffen«. Preistreiber sind die Wohnungsgenossenschaften jedenfalls nicht. Ihre Mieten betragen laut BBU monatlich im Schnitt derzeit 4,68 Euro netto/kalt pro Quadratmeter, womit sie gut 60 Cent unterhalb des aktuellen Mietspiegels liegen.

Kein Wunder, dass die Wohnungen begehrt sind. »Sie könnten die Kellerräume vermieten, so lang sind die Wartelisten«, weiß BBU-Vorstandsmitglied Maren Kern. Der Leerstand liegt beträchtlich unter dem im übrigen Wohnungsbestand, er ist praktisch nicht mehr vorhanden. Kern hält die Genossenschaften für eine »zeitlos moderne Wohnform«, die wieder an Bedeutung gewinnen wird, weil sie »sowohl sicheres und preiswertes Wohnen ermöglicht als auch demokratische Teilhabe der Mitglieder«.

Angesichts des Drucks auf dem Wohnungsmarkt erwartet auch Wolfgang Lössl eine Renaissance dieses »dritten Wegs zwischen Eigentum und Miete«. Noch fänden die Genossenschaften in der Stadt allerdings zu wenig Beachtung, sagt der Mann vom Genossenschaftsforum. Dieses hat zehn Thesen aufgestellt, um ihre Möglichkeiten wieder mehr ins Bewusstsein zu holen. In Genossenschaften stehen Bewohnerinteressen vor Renditeoptimierung, heißt es da, sie setzen auf Mitsprache der Bewohner (Lössl: »Quartiersmanagement gibt's bei uns seit 100 Jahren«), bieten ein breites Spektrum an Wohnformen - zum Beispiel Wohnen im Alter - und werden garantiert nicht verkauft. »Bei uns muss also niemand Angst haben, seine Wohnung zu verlieren. Es gibt praktisch nicht mal ein Kündigungsrecht des Vermieters«, so Lössl.

Auch der Senat entdeckt die Genossenschaften wieder als Partner zur Mietendämpfung. Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) findet sie »hochmodern« und will ihnen - kleines Geschenk zum internationalen Genossenschaftsjahr - 15 Millionen Euro spendieren. Damit soll der Neubau von bezahlbarem Wohnraum angeregt werden. Voraussichtlich Mitte des Jahres will Müller eine Art Wettbewerb starten, bei dem sie sich mit ihren Projekten um das Geld bewerben können.

Lössl freut sich über die gewachsene Anerkennung, wenn auch die 15 Millionen angesichts von 90 Genossenschaften eher von symbolischer Bedeutung seien. Das Problem sei auch eher, dass man beim Erwerb von Grundstücken, die in der Regel an den Meistbietenden gehen, kaum mithalten kann. »Dann werden die Mieten zu hoch«. Lössl kann sich eine Lösung wie in Hamburg vorstellen, wo die Stadt einen Pool an Grundstücken vorhält, die an Genossenschaften preisgünstig abgegeben werden. In Berlin überlegt man immerhin, landeseigene Grundstücke an Genossenschaften zum Verkehrswert und nicht zum Höchstpreis abzugeben.

Die Genossenschaft »Möckernkiez« hat ihr Grundstück von der Vivico, die ehemaliges Bahngelände verwertete, erworben. »Das war ein langer Kampf, bis die uns ernst nahmen«, sagt Aino Simon. Die junge Politologin empfiehlt dem Senat, sich auch mal in Stuttgart oder Darmstadt umzusehen. Dort würden die Kommunen ein Viertel der Baukosten übernehmen, damit auch Menschen ohne Eigenkapital einziehen können. »Viele unserer Mitglieder haben ihr gesamtes Erspartes in unser Projekt gesteckt.«

Simon hofft, dass Anfang 2014 die ersten Genossen in ihren neuen Kiez ziehen können. Für viele wird sich das Umfeld nicht groß verändern, denn sie stammen aus Kreuzberg. Die Genossenschaft hat als Bürgerinitiative begonnen, um ihre sozialen und ökologischen Ideen zu verwirklichen. Dabei will sie sich mit keinem Investor herumschlagen, der sich in ihre Belange einmischt. Entstehen soll ein Stück Stadt ohne Autos und Barrieren, für Rollstuhlfahrer ebenso geeignet wie für Familien mit Kindern, Kita und Jugendfreizeiteinrichtung inklusive. Und die Häuser werden fast keine Energie verbrauchen. Ein solches Passivhausprojekt hat es in einer Innenstadt noch nicht gegeben. Auch Aino Simon wird in den neuen Möckernkiez ziehen. »Ich habe schon in einer Genossenschaft gelebt und das solidarische Handeln schätzen gelernt. Bis sich das bei uns entwickelt, wird es vielleicht noch etwas dauern, aber die Mühe ist es wert.«

Aino Simon: Ab Herbst soll auf dieser Brache gebaut werden.
Aino Simon: Ab Herbst soll auf dieser Brache gebaut werden.
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