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Kinder in Konzentrationslagern
Im Nachwort seines Romans über den Burenkrieg behauptete der Schriftsteller Fritz Spiesser 1940, Deutschland sperre - im Gegensatz zu den Briten in Südafrika - keine Kinder, Frauen und Greise in Konzentrationslager. Das war eine glatte Lüge. Schon in die frühen Konzentrationslager des Jahres 1933 verschleppten die Faschisten auch Jugendliche. Verena Buser schrieb 2009 ihre Dissertation über Kinder und Jugendliche in den KZ Sachsenhausen, Auschwitz und Bergen-Belsen. Geringfügig überarbeitet erschien diese Doktorarbeit 2011 als Buch.
Die Zahl der Kinder und Jugendlichen im KZ Sachsenhausen wird auf 3400 geschätzt. Die SS nahm keine Rücksicht auf das Alter. Minderjährige mussten in der Regel genauso hart wie die Erwachsenen arbeiten. Sie wurden misshandelt und auch ermordet. Es gab erst 13 Jahre alte polnische Zwangsarbeiter, die wegen Bummelei, Sabotage oder Flucht ins KZ kamen, und kleine sowjetische Kriegsgefangene wie Wassilij Sergejew, der 1943 einen Monat vor seinem zehnten Geburtstag umkam. Das erste, nach damaligen Maßstäben minderjährige Todesopfer in Sachsenhausen war der 18-jährige Ludwig Cajlingold aus Warschau. Er starb im Mai 1940. Zwei Jahre später zählten zu den 5130 Toten des Lagers 153 Kinder und Jugendliche.
Die Kommunisten versuchten, den Kleinen zu helfen. Sie sangen mit ihnen und bestachen Wachleute mit Bier und Zigaretten, damit Jugendliche weniger Prügel bekamen oder leichtere Arbeit erhielten. Um sich mit polnischen Jungen verständigen zu können, lernte der Lehrer Franz Bobzien aus Hamburg extra ihre Sprache. Autorin Buser zieht in Betracht, dass die Kommunisten ihre Verdienste nachträglich überhöht dargestellt haben könnten. Doch sie muss feststellen, dass die Kinder und Jugendlichen die Solidarität bestätigen. So erinnert sich Zdzisław Jasko dankbar an den Kommunisten Bobzien. Dieser sei wie ein Vater zu ihnen gewesen.
Doch oft nützte das alles nichts gegen die Brutalität der Aufseher. So wusste Michail Ruben seine Häftlingsnummer nicht, weil er kein Deutsch verstand. Er wurde deswegen geschlagen. Die Nummer hat er dann gelernt und sie nie mehr vergessen. SS-Hauptscharführer Gustav Sorge ermordete einen 15-Jährigen, indem er seinen Kopf in eine Kloschüssel drückte. Im Außenlager Bad Saarow wurde ein Jugendlicher erschossen, weil er sich nach einer Zigarette gebückt hatte. Für seine Bemühungen, einen Impfstoff gegen Hepatitis zu finden, wählte Stabsarzt Arnold Dohmen in Auschwitz elf Jungen aus, die für Menschenversuche nach Sachsenhausen verlegt wurden. Saul Hornfeld erlebte hier eine unnötige und schmerzhafte Leberpunktion. Ein 1962 von der Staatsanwaltschaft Köln gegen Dohmen eingeleitetes Verfahren wurde 1975 eingestellt. Die Behauptung des Arztes, er habe die Versuche nur zum Schein durchgeführt, konnte nicht widerlegt werden.
Oft verschlägt es einem beim Lesen den Atem. Man muss schockiert innehalten. Das betrifft besonders die schrecklichen Szenen an der Rampe von Auschwitz. Frauen mit Kleinkindern schickte die SS sofort in die Gaskammern. »Vilt ihr leben bleiben - verft avek die Kinder«, rieten Häftlinge. Manchmal versuchten sie es mit einem Trick und empfahlen, die Kinder abseits zu stellen, weil sie dann angeblich in einen Kindergarten kommen und es gut haben sollten. Doch die Mütter glaubten das nicht.
Verena Buser: »Überleben von Kindern und Jugendlichen in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Auschwitz und Bergen-Belsen«, Metropol, 318 Seiten, brosch., 22 Euro
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