Ich Huhn

Picken und Stechen: »Ist er gut? Ist er böse?« zeigt Gesellschaft als Hühnerhof

  • Robert Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Tja, so sind sie!« Der leise gesprochene Kommentar aus den Ecken einer Zuschauerbank hinterließ ein flaumiges Gefühl: Wie real ist das, was da gerade auf der Bühne abgeht? So ganz zutreffend heute wohl nicht mehr, aber wohl immer noch prototypisch: Geht es um wirklich viel, greifen wir immer noch schnell zu den »Schwertern«, gibt es keine anderen Mittel! In gewohnt guter Weise zeigt das Theaterforum Kreuzberg mit »Ist er gut? Ist er böse?« wieder ein Stück, das sehr direkt in die Natur des Menschen blickt.

Die Macher des Theaters, die viele Stücke von Eugène Ionesco auf die Bühne brachten, inszenieren diesmal eine Komödie nach Denis Diderot (»Der Menschenfreund«, geschrieben 1775) von Hans Magnus Enzensberger. Die Jahreszahl verrät den Geist, den das Stück atmet: Das gebildete Europa war durchdrungen von der Aufklärung. Der Gedanke des aufgeklärten Eigennutzes zirkulierte, brachte viele neue Freiheiten, aber auch neue Kämpfe.

In alter guter Manier zeigt das Theaterforum Kreuzberg ein sehr lebendig gespieltes Stück, farbenprächtig, glaubhaft, ironisch, reich an Dialogen, reich an Bildern, reich an tollen Szenen, fantastische Kostüme, gut und flüssig erzählt - man sieht liebend gerne zu! Hauptperson ist der Philosoph und Schriftsteller Diderot, der in den aristokratischen Kreisen seines Landes verkehrt und dort gerne gesehen wird, weil er ganz geschmeidig den Umgangston triff, schnell kapiert und rasch Probleme löst. Diderot versucht es allen recht zu machen und bewegt sich so immer am Rande einer alten Falle: Was dem einen gefällt, kann die anderen aufbringen! Diderot spricht, schreibt, schachert, manipuliert, gleicht aus und verführt. Aber das läuft nicht immer so wie gedacht. Die Menschen, mit denen er es zu tun hat, sind klassisch zeitlose Typen: Der vorsichtige, aber gierige Minister, der intelligente Großbetrüger, der Polizeichef, der Finanzhai, der literarische Konkurrent, die gelangweilten Damen, die erotische Abenteuer suchen, die Diener, die sich mitunter äußerst widerborstig geben. In diesem Milieu schlägt sich Diderot herum, spinnt Intrigen, spielt den einen gegen den andern aus, gewinnt und verliert.

»Ist er gut? Ist er böse?« spricht sehr für sich selbst. Es bedarf wenig Analytik, die Zusammenhänge liegen auf der Hand, auf die Gegenwart lässt sich nur das Kernbild übertragen: Gesellschaft ist manchmal ein arger Hühnerhof - so auch die Schlussszene, die die Protagonisten als herum pickende Hühner zeigt! Freilich, nichts neues mehr, aber das Ordnungsprinzip in Reinform zu sehen, ist halt doch immer wieder spannend, weil es auf einen archaischen Grund blicken lässt, der ja eigentlich schon überwunden sein könnte.

30., und 31.3, jeweils 20 Uhr, Theaterforum Kreuzberg, Eisenbahnstraße 21

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