Geliehene Fantasie

Franz West und Anselm Reyle kollaborieren im Schinkel Pavillon

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Vorraum der Ausstellung stehen die beiden einzigen »reinen«, klar einem der beteiligten Künstler zurechenbaren Stücke: Franz Wests hochlehnig hölzerner, Anselm Reyles grellfarbig weicher Stuhl. Die umgebende Wand haben sie schon gemeinsam gestaltet: ebenso im Schachbrettmuster, rosafarbenes Karo von West, gelbes von Reyle, wie den Vorhang zum oktogonalen Hauptraum. In beiden Räumlichkeiten des Schinkel Pavillon zeigen sie Unfertiges, das der andere, befreundete Künstler ergänzt, vervollkommnet, mit der eigenen künstlerischen Handschrift versehen oder »bloß« aus dem Augenblickseinfall heraus umgestaltet hat.

Fast ein viertel Jahrhundert trennt sie voneinander, den namhaften Österreicher Franz West - Jahrgang 1947, bekannt durch Plastik, Environment, Rauminstallation - und den Berliner Anselm Reyle, für den die Umnutzung urbanen Schrotts in neue Zusammenhänge typisch ist. Sechs Bilder auf dem Vorraum-Karo lassen raten, welcher Einfall von wem stammen mag. »Purple mood« zeigt zwei Menschen auf einer Bank unter bedrohlich violetter Farbwolke und vor einer womöglich von Reyle hinzugefügten Streifenwand; der »Firebird« fliegt ebenfalls hoch über vertikalen Farbstreifen wie über einem gestutzten TV-Testbild; »MAK nite« konterfeit einen Mann mit Mondgesicht und Segelohren am unteren Bildrand wieder über Streifen. Ginka Steinwachs‘ Band »Mythologie des Surrealismus« hängt in der Mitte von »Girl’s Imagination«, reich umklebt von glanzgerahmten Abziehbildchen mit Tieren und Pflanzen.

Ein buntes Sammelsurium an skurrilen, grotesken, surrealen Gebilden empfängt, wer den Vorhang durchschreitet. Selbst die Lampen des Achtecks an der Decke leuchten in den Farben Rosa, Gelb und Weiß auf. Doch nicht nur von der Farbe her, auch in der oft bizarren Form prallt das gute Dutzend an Teamworks da aufeinander und liefert eine geballte Ladung an künstlerischer Fantasie.

»Stolen Fantasy« nennt sich nicht von ungefähr auch die gesamte Ausstellung. Geliehene Fantasie trifft vielleicht besser, was hier an Gegenständen aus Fundstücken dicht bei dicht herumsteht. Auf ängstlich dünnem Stahlstiel entwächst einer glänzend gemaserten Plinthe die »Steel Phantasy I«: Rohr, Federrost, Fahrradkette, zerbeultes Rad ballen sich zu einer flirrenden Wolke aus rostigem Eisen. Auch »Nomos« spielt mit dem einstigen Gebrauchswert seiner Bestandteile: Auf weißem Quader steckt in einem gelben Plastikeimer voll verhärteter Braunfarbe eine gestaltlose Plastik, rot und grau lackiert, als sei sie eine erstarrte Blume. Von gleichsam unförmigem Außen aus Styroporschaum ist »Slipper«, der in scheinbar zu dünnem Rohr auf sperrhölzernem Unterbau lastet, reichfarbig bemalt und auf der optischen Täuschung vom Gewicht der Konstruktionsteile beruhend.

Auch »Green Lagoon«, die mit Silbermund bemalte Tischlampe auf Styropor, der wie schwerer Naturstein anmutet, setzt Licht ein; »Hangover« bündelt gleich drei verschiedene Glühlampen, die an einer versteiften Stahlkette baumeln, als sei sie sich bäumende Schlange. Bemaltes Acrylglas, Steingut, Zement, Stahl sowie elektrisches Zubehör vereint »Serial Entity«: Auf rotem Kurzfuß thront eine Zylinderlampe, in der eine Neonröhre, schräg wie ein Strohhalm im Glas, Licht spendet. Andere Gebilde verwenden geborstene Nutzteile. So türmt »Delivery« zertrümmertes, blau und golden gesprenkeltes Rohrgestühl auf Sperrholzunterteil zu einer ebenso sperrigen Skulptur. »Ludovica« und »Alexander« sind mit Lack diverser Farbe respektive Dekofolie umgestaltete Rohrstühle, die man angeblich besetzen darf, was sich freilich niemand getraut.

Auch drei Hocker mit rosa oder gelbem Sitz changieren zwischen Kunst und Design, während der »Roller« mit dem fahrbaren Untergestell eines Bürostuhls sich nach oben hin, in seinem filigranen Aufbau aus Stangen, Metallringen, Glas und Spiegelscherben, längst zum nutzfreien fixen Mobile gewandelt hat. Gänzlich trifft das auf schlanke, beinah drei Meter hohe Skulpturen zu, in denen Neonröhren kalt strahlen, gesichert von mannigfachen Holzteilen, glattgehobelt, knorrig unter der Rinde oder noch im Rund des Stammes. Instabil wirkt das Konstrukt und steht doch fest; die umwickelnde pinkfarbene Gaze macht es noch verletzlicher.

Bis 22.4., Do.-So. 12-18 Uhr, Schinkel Pavillon, Oberwallstr. 1, Mitte, Telefon 20 88 64 44, www.schinkelpavillon.de

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