Alle Neune von den Fluten umgefegt

Im sächsischen Bennewitz ist viel kaputt, worauf die Gemeinde stolz war

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: ca. 4.5 Min.

Das Hochwasser hat nicht nur Privatleute und Unternehmer hart getroffen, sondern auch Kommunen. In Bennewitz wird es lange dauern, bis wieder eine ruhige Kugel geschoben werden kann.

Im Schaukasten, der in Augenhöhe am »Kegelzentrum Neun Eichen« in Bennewitz angebracht ist, hängen die Spielpläne für die Saison 2002/03. Es sind umfangreiche Listen: Die Kegler des KSV 51 sind auf vielen Bahnen in Sachsen und darüber hinaus zugange. 14 Mannschaften zählt der Verein, bis in die Oberliga haben sich manche davon gekegelt. Gutes Training machte es möglich: Die »Neun Eichen« beherbergten eine Kegelanlage vom Feinsten. Sechs Bahnen, elektronische Anzeigen, edler Untergrund. In dem schmucken Gebäude am Rand eines Gewerbegebietes fanden sogar schon Ländervergleiche statt, erzählt Andrea Friese, die im Keglerheim hinterm Tresen stand. Dieser Tage rührt der Durst in den »Neun Eichen« jedoch nicht vom Kugelschieben her, sondern von dem feinen Staub, der in der Luft und auf den Wegen liegt. Vor Tagen waren die Straßen nicht nur mit Staub bedeckt, sondern mit zähem Schlamm, wie er noch jetzt den Schaukasten mit den Spielplänen verkrustet. In dieser Höhe wälzte sich am 14. August die Mulde durch den Ort. Der Fluss, der eigentlich in Sichtweite am Keglerheim vorbeifließt, hatte mehrere Breschen in die Deiche geschlagen und sich schließlich sogar über deren Kronen ergossen. Bennewitz, sagt Bürgermeister Werner Moser(PDS), gehört zu den vom Hochwasser am schlimmsten getroffenen Orten in ganz Sachsen. Über zwölf Kilometer zieht sich die Gemeinde mit ihrem Dutzend Ortsteilen an der Mulde entlang, die an jenem Tag mit brutaler Gewalt alle Dämme brach. Die Hälfte des Gemeindegebietes - rund 26 Quadratkilometer - stand unter Wasser. In den dörflichen Orten mit ihren 5500 Einwohnern haben 500 Haushalte unter den Flutfolgen zu leiden: Unbewohnbar gewordene Einfamilienhäuser; verschlammte Gärten; Schafställe, Hühnerfarmen und Fischteiche, in denen kein Tier die Flut überstanden hat. Arg gelitten haben aber auch Schmuckstücke der Gemeinde wie die Kegelbahn. Nach anderthalb Wochen Schuften sieht die Anlage aus wie rohbaufertig: Der Holzboden in Müllcontainer entsorgt, die Dämmplatten zum Trocknen aufgestapelt, der nackte Beton muffig riechend. Fünf Jahre alt war die Bahn, die gebaut wurde, nachdem das alte Keglerheim 1997 bei einem Feuer vernichtet wurde. Fast eine Million Euro hat die Gemeinde dafür hingeblättert. Auch das Restaurant gleicht eher einem Warenlager für Gaststätten-Zubehör: Geschirr, Stühle und Küchengerät türmen sich. Immerhin: Schlamm und Müll sind entsorgt, sagt Andrea Friese, »die Kühltruhen funktionieren wieder«. Wenn es nur die Kegelbahn wäre, seufzt derweil Hauptamtsleiterin Doris Richter. Sie zählt auf, welche kommunalen Gebäude noch vom Hochwasser verwüstet sind - und findet kaum ein Ende. Zwei Schulen, der Hort, viele Straßen, die neue Kläranlage, das Haus der Freiwilligen Feuerwehr im Ortsteil Deuben, das Rathaus selbst... In der Turnhalle scharrt Reinhard Mannewitz, der Vize-Vorsitzende des SV Blau-Weiß, über die Dachpappe, die unter dem bereits entsorgten Parkett zum Vorschein kam. »Das muss alles raus«, sagt er und lässt dann den Blick über den verschlammten Fußballplatz schweifen. Der neue Rollrasen, die Bewässerungsanlage - futsch. 25000 Euro und ungezählte Arbeitsstunden im Handstreich weg. Die Fußballer sind auf den Sportplätzen der Nachbargemeinden untergekommen, sagt Mannewitz: »Das läuft schon irgendwie weiter.« Auch die Kegelmannschaften haben zumeist Ausweichquartiere gefunden. Die Mittelschüler haben eine Tafel im Schulhof aufgestellt: »Wir stehen auf, wenn wir am Boden liegen«, steht mit Kreide darauf. Gemeinsam mit Hunderten Helfern wirbeln die Bennewitzer seit Tagen. Am Wochenende komme Unterstützung aus Leipzig und anderen Orten. Bürgermeister Moser macht indes kein Hehl daraus, dass er in seiner Gemeinde ähnliches Engagement auch von Politikern und Medien erwartet hatte und jetzt bitter enttäuscht ist: »In der Kreisstadt Grimma stehen die Satellitenschüsseln und die Prominenten immer noch auf dem Markt«, wettert der PDS-Mann, »aber zu uns verirrt sich niemand.« Einige Hilfe hat es inzwischen gegeben. Ein hilfsbereiter Fensterbauer aus einem Dorf bei Fulda, in dem PDS-Parteivize Diether Dehm groß geworden ist, wurde von Dehms Kollegen Peter Porsch nach Bennewitz vermittelt und wird die Fenster im Schulhort erneuern. Der Landrat hat eine sechsstellige Spende der Stadt Heilbronn zugesichert. Daneben ackern die Bennewitzer selbst. Kämmerer Matthias Spalteholz pendelt seit Tagen zwischen seinem Rathaus und dem Leipziger Regierungspräsidium - und ist von der Unterstützung der Behörde sehr angetan: »Die machen eine gute Figur.« Für die beiden unbrauchbar gewordenen Kläranlagen, die zugesetzten Pumpschächte und Kanäle wurden ihm aus Soforthilfe-Programmen bereits 1,5 Millionen Euro zugesagt; auch der Neubau kaputter Straßen werde wahrscheinlich zu 100 Prozent gefördert. Zeit für ausführliche Gespräche hat der Kämmerer indes nicht: »Wir müssen unsere Schäden schnell erfassen, »schließlich sind wir nicht die Einzigen.« Tatsächlich gleichen sich die Bilder in den von der Flut getroffenen Kommunen: Vieles, was in den letzten Jahren für teures Geld saniert wurde, ist unbrauchbar geworden. Soforthilfen von Land und Bund werden dafür sorgen, dass ein Teil der Schäden in den nächsten Monaten behoben wird; doch die Lücken werden lange sichtbar bleiben - und sei es nur, weil geplante Vorhaben nun auf die lange Bank geschoben werden müssen. Zwar ist Bennewitz immer sparsam mit dem Geld umgegangen, doch jetzt wird der 9,4-Millionen-Etat kräftig gestreckt werden müssen. Die Schäden am Rathaus werde er wohl nur mit Spendengeldern beheben können, sagt der Kämmerer. Einige »Bonbons«, die der PDS-dominierte Gemeinderat unlängst beschlossen hatte, würden wohl vorerst nicht verteilt, ergänzt die Hauptamtsleiterin: Statt am Feuerwehrhaus anzubauen, muss das alte komplett erneuert werden. Und weil Landkreis und Freistaat ähnliche Sorgen haben, wird wohl auch die Ortsumgehung für die Bundesstraße6 auf sich warten lassen. Eine ruhige Kugel werden in Bennewitz auf absehbare Zeit weder die Kegler noch...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.