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Die Nahab und die Nebelmenschen
Isabel Allende: »Die Stadt der wilden Götter«
Wäre der 60. Geburtstag von Isabel Allende am 2. August nicht der passende Anlass gewesen für den Start ihres neuen Buches? Der erfolgte fast zeitgleich in 14 Verlagen in aller Welt - aber reichlich 14 Tage später. Wollte die Bestsellerautorin lieber für ihr bisheriges Werk bejubelt werden, war ihr mit dem neuen Roman vielleicht selbst nicht ganz wohl? Oder gab es noch ein ganz anderes Marketingkalkül? Denn die Chilenin, die inzwischen in Kalifornien lebt, hat dieses Buch gewiss nicht nur »für Alejandro, Andrea und Nicole« geschrieben, »die mich um diese Geschichte gebeten haben«, wie es eingangs heißt, sondern für den globalen Markt, wo ihre Texte hoch gehandelt werden. Seit ihrem ersten großen Erfolg, »Das Geisterhaus« hat sie den Ruf einer anspruchsvollen Autorin, die durchaus packend und unterhaltsam zu erzählen versteht. In den letzten Jahren wurde seitens der Kritik zwar immer wieder Enttäuschung laut - sie böte nichts Neues, Überraschendes mehr, tendiere mehr und mehr zur Kolportage. So sie den Vorwurf überhaupt wahrgenommen hat, werden ihre Agenten sie jedoch beruhigt haben: Was gehen uns die paar Schöngeister an, wenn die Massen kaufen.
Da bei Suhrkamp bisher alles von Isabel Allende erschien, hat man auch dieses Buch gedruckt. Die Lizenz für die deutsche Übersetzung auch gleich noch dem Carl Hanser Verlag zu geben, der mit seiner Ausgabe nur sieben Tage später in den Buchhandel kommt, Suhrkamp also Konkurrenz macht, war eine ungewöhnliche und dabei kluge Entscheidung. Denn für die Zielgruppe des Hanser-Kinderbuchprogramms passt der Roman besser als für Suhrkamp-Leser. Elf- bis Fünfzehnjährigen, die vielleicht schon an »Harry Potter« Vergnügen hatten, wird auch diese abenteuerliche, fantastische Geschichte gefallen. Es ist ein professionell gefertigtes Produkt aus der Sparte Fantasy. Auch ich habe es bis zur letzten Seite einigermaßen spannend gefunden, wiewohl man als geübter Leser natürlich manches voraussehen kann.
Probate Motive: Ein Kind kommt außergewöhnlicher familiärer Umstände wegen in eine ganz und gar fremde Umgebung, wo es sich notgedrungen verändern muss. Hier wird der 15-jährige Alexander Cold, dessen Mutter krebskrank ist, zu seiner resoluten Großmutter Kate geschickt, die ihn - sie ist Reisejournalistin - zu einer Amazonasexpedition mitnehmen will. Die Zeitschrift International Geographics hat Experten beauftragt, einer riesigen menschenähnlichen Bestie auf die Spur zu kommen. Man wollte in Gebiete vordringen, die noch nie ein Weißer betreten hat. Dass dazu neben Alex auch die 13-jährige Nadia mitgenommen wird, ist nur eine von vielen Unwahrscheinlichkeiten, die der Leser akzeptiert, schließlich ist das Buch für Kinder dieses Alters geschrieben. Natürlich sind es eigenwillige Gestalten, die sich da zusammengefunden haben, natürlich sind die Kinder so klug, von Anfang an ein böses Komplott zu ahnen. Und es kommt auch gleich ein uralter Schamane ins Spiel, auf dessen gute Zauberkräfte können sie vertrauen. Der Urwald zwischen dem Río Negro und dem oberen Orinoko ist in diesem Buch so, wie man ihn sich vorgestellt hat: »Das Pflanzendickicht wucherte üppig und verströmte einen Geruch nach Zersetzung, aber in der Abenddämmerung öffneten sich manchmal große Blüten von Schmarotzerpflanzen, die auf den Bäumen wurzelten, und erfüllten die Luft nach einem süßen Duft nach Vanille und Honig.«
Werden wir so eine Riesenbestie zu Gesicht bekommen? Klar doch, es muss Blut fließen. Auch dass die Reisenden auf Völker treffen, die noch nie mit Weißen in Berührung gekommen sind, gehört dazu. Und natürlich sind die Kinder die Oberschlauen. Natürlich will es der Zufall, dass sie erst einmal ganz allein zu den »Nebelmenschen« verschlagen werden, die von den »Nahab«, den Weißen zwar nichts halten, aber die beiden Kinder am Schluss sogar zu Häuptlingen machen. Mit dem Schamanen, der offenbar fliegen kann, besuchen sie die »Stadt der wilden Götter«, das sagenhafte El Dorado. Sie müssen auf Felsen klettern und durch unterirdische Gänge kriechen, stehen jenen geheimnisvollen Bestien Aug in Auge gegenüber, und Alex bringt sogar für seine kranke Mutter das Wasser des Lebens mit. Zuvor hat er eine Riesenfledermaus durch sein Flötenspiel becirct ...
Hat Isabel Allende vielleicht »Herr der Ringe« im Kino gesehen? Wie auch immer, sie bedient sich einfach aus dem großen Märchentopf und schmeckt ihre Kreation mit ein paar aktuellen Zutaten ab. Zwar ist es keine Neuigkeit, dass die Indianer am Amazonas durch skrupellose Geschäftemacher bedroht sind. Aber was für eine Gemeinheit sich Mauro Carías ausgedacht hat, um zu Gold, Smaragden und Diamanten zu kommen, das lässt einem wirklich das Blut in den Adern gefrieren. Wobei man die ganze Zeit weiß: Es wird so schlimm nicht kommen. Die mutige amerikanische Journalistin Kate Cold und der britische Fotograf Timothy Bruce werden die Weltöffentlichkeit alarmieren ...
Man fragt sich immer wieder, ob Isbael Allende so naiv ist oder ob sie nur so tut. Die »Nebelmenschen« sind die edlen Wilden und sagen: »Die Nahab sind wie Tote, aus ihrer Brust ist die Seele geflohen.« Aber die Kinder erklären ihnen, dass es bei den »Nahab«Gute und Böse gibt. Dazu ein paar leicht verdauliche Lebensweisheiten: dass man vor allem lernen muss, sich selbst zu vertrauen, dass man Erfahrungen nicht aus dem Weg gehen sollte, dass der Intuition eine große Kraft innewohnt. »Je älter ich werde, desto unwissender fühle ich mich«, sagt Kate Cold.
Soll sie I...
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