Apuliens Wunder des blauen Blumenkohls
Italiens Mafia und das schmutzige Geschäft mit der Umwelt
In Italien hat die Mafia einen neuen Geschäftszweig entdeckt: die Umwelt. Über 150 Clans verdienten im letzten Jahr Milliarden von Euros mit Verbrechen, die das natürliche Gleichgewicht des Mittelmeerlandes gefährden.
Als Salvatore letztes Jahr in seinen Garten im süditalienischen Apulien kam, war er fassungslos: sein Blumenkohl war blau. Ein kräftiges, leuchtendes Blau. Jahrzehnte lang hatte er ganz normales Gemüse in den natürlichen Farben geerntet, und jetzt war er ebenso hilflos wie die verschiedenen Freunde, Bekannten und dann auch Experten, die er auf sein Land führte. Religiöse Fanatiker sprachen von einem Wunder; Biologen von einer unerklärlichen Mutation, aber am Schluss war die Ursache eine ganz andere. Umweltschützer verfolgten den Lauf des kleinen Flüsschens, mit dem Salvatore seinen Garten bewässerte und stießen einige Kilometer weiter auf einen alles andere als »wunderbaren« Fund. Am Ufer fanden sie eine Reihe von halb verrotteten Fässern, aus denen eine stinkende Flüssigkeit ins Wasser sickerte. Es handelte sich um eine hoch giftige Substanz, die das »Wunder« des blauen Blumenkohl hervorgerufen hatte. Und hätte das Gemüse seine Farbe nicht verändert, wären die Chemikalien wahrscheinlich noch jahrelang in den Bach geflossen. Die Fässer stammten aus einer Fabrik bei Brescia in Norditalien, die eine Spezialfirma mit der Beseitigung ihres Giftmülls beauftragt und dafür auch gutes Geld bezahlt hatte. Wie die Chemikalien schließlich nach Apulien kamen und wer an dem Handel verdient hat, das untersucht die Polizei noch - ebenso wie Tausende von ähnlichen Fällen. Denn mittlerweile sind die Verbrechen gegen die Umwelt absolut an der Tagesordnung. Die Umweltorganisation »Legambiente« hat ihren Bericht »Ökomafia 2002« vorgelegt und schon wenige Zahlen geben Aufschluss darüber, wie beunruhigend das Phänomen ist. Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 31201 Verbrechen dieser Art angezeigt: das macht 600 pro Woche oder eine Anzeige alle 20 Minuten: »Unser Land wird systematisch seiner wertvollsten Ressourcen beraubt«, heißt es in der Vorbemerkung zum Bericht. Über die Hälfte dieser Verbrechen wurden in den vier italienischen Regionen verübt, in denen die Mafia am stärksten ist, nämlich Kampanien, Apulien, Kalabrien und Sizilien - und das ist kein Zufall, denn dort wo die organisierte Kriminalität die Kontrolle über das Territorium ausübt, da ist die Vernichtung der Umwelt garantiert. 151 Clans mischen mittlerweile in der »Ökomafia« mit - zum Teil »hauptberuflich«, zum Teil auch als eine Art Abfallprodukt ihrer sonstigen Tätigkeit. Gerade der illegale Handel mit dem Giftmüll erfordert eine komplexe kriminelle Struktur mit Einfluss in sehr unterschiedlichen Bereichen. Denn jedes Jahr »verschwinden« in Italien mindestens 11,6 Millionen Sonder- und Giftmüll. Um ein Bild von der Menge zu bekommen, stelle man sich eine Grundfläche von drei Fußballfeldern vor, auf die 1150 Meter hoch die verschiedensten Arten von Müll geschichtet sind: Chemikalien und Krankenhausabfall, Schlacken und Industrierückstände. Ein Teil dieser Zeitbomben wird ins Ausland »verkauft« (in der letzten Zeit vor allem nach China), ein Teil wird direkt in Italien »entsorgt«. Die beliebtesten illegalen Müllhalden befinden sich in stillgelegten Bergwerken und Gruben, aber auch an unzugänglichen Flussläufen. Manchmal wird das Gift auch in landwirtschaftlichen Betrieben verscharrt - mit einem kleinen Entgelt für die jeweiligen Besitzer, die ihre Felder dann mit dem verseuchten Schlamm und den Industrierückständen »düngen«. Die Umweltverbrechen, in die die Mafia verwickelt ist, beschränken sich aber nicht nur auf die »Müllbeseitigung«. Ein weiterer wichtiger und besonders lukrativer Bereich ist der Handel mit geschützten Tier- und Pflanzenarten. Während die Routen für diese Art von Schmuggel bisher vor allem von Süden nach Norden verliefen, hat sich inzwischen eine Ost-West-Achse herausgebildet. Während die bisher genannten Branchen zumindest zum Teil internationale Kontakte erfordern, gibt es auch einen rein und typisch italienischen Zweig der Mafiatätigkeit gegen die Umwelt: die Errichtung illegaler Bauten und die Zementierung von besonders schönen oder geschützten Landstrichen und vor allem der Küsten. Im vergangenen Jahr wurden in Italien 28000 illegale Bauten errichtet: Wohnhäuser, aber auch Campingplätze und Hotels. Die Gesamtfläche betrug 3,8 Millionen Quadratmeter, der Wert etwa 1,8 Milliarden Euro. Auch in diesem Fall ist der Süden Italiens besonders betroffen, da gerade für das illegale Bauen eine allgemeine Kontrolle des Territoriums notwendig ist. Eine Studie belegt, dass die Erteilung praktisch aller öffentlichen Bauaufträge, die im letzten Jahr in Sizilien für Straßen, Staudämme, Krankenhäuser oder Kläranlagen, zumindest fragwürdig war oder - um es weniger bürokratisch auszudrücken - von der Mafia manipuliert wurde bzw. an Firmen gingen, die von der organisierten Kriminalität kontrolliert werden. Was durch diese Bautätigkeit angerichtet wurde, ersieht man leicht, wenn man sich die Küsten der süditalienischen Regionen betrachtet. In der Nähe von Neapel zum Beispiel entstand direkt am Meer, dort wo jegliches Bauen eigentlich verboten ist, ein ganzes Feriendorf mit Restaurant und Diskothek - aber natürlich ohne Kläranlage, so dass der ganze Dreck, den die mehrere Tausend Urlauber in den Sommermonaten produzierten, ungestört ins Mittelmeer fließen konnten. An der Küste westlich von Palermo reiht sich ein Ferienhaus an das nächste - manche einfach, manche Luxusvillen - aber alle illegal. Diese Schandflecken abzureißen, ist weitaus schwieriger als sie hochzuziehen, da insgesamt Wohnfläche fehlt und deshalb besonderen Schutz genießt. Und jetzt hat die sizilianische Landesregierung auch noch ein Gesetz erlassen, das gegen ein geringes Bußgeld die Regularisierung der »Zementmonster«, wie sie in Italien heißen, gestattet. Die Mafia dankt. Und sie hat allen Grund dazu. Denn schließlich betrug der Jahresumsatz der »Ökomafia« im vergangenen Jahr nicht weniger - aber mögli...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.