Polen verjüngen die Uckermark

Landkreis gewinnt als Speckgürtel von Szczecin eine neue Perspektive

Die Hügellandschaft mit Wäldern und Feldern ist wunderschön, der Blick auf das Odertal atemberaubend. Doch die Kinder sind mit den Enkeln schon lange nach Westdeutschland gezogen, um dort Arbeit zu finden. Geblieben sind nur die Alten, die sich einsam fühlen. Viele Häuser stehen leer und verfallen. Ein trauriger Anblick. Sicher, das ist zugespitzt formuliert. Aber im Kern trifft es die Verhältnisse, die noch vor ein paar Jahren im Nordosten der Uckermark herrschten. Doch nun gibt es einen kräftigen Lichtschimmer. Die Polen kommen, und sie bringen ihre Kinder mit. Viele sind schon da.

Am Donnertag trifft sich Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) im Parkrestaurant von Mescherin mit polnischen Familien. Er will vor allem auch hören, welche Probleme sie haben, wie er helfen könnte. Doch es gibt kaum Schwierigkeiten. Die Menschen sind insgesamt sehr zufrieden. Es stört sie höchstens, dass die Oderbrücke im Ort gesperrt ist und sie deswegen einen großen Umweg bis Szczecin fahren müssen.

Schon länger gab es in der Uckermark die Hoffnung, dass die Landschaft als Speckgürtel der pulsierenden polnischen Hafen- und Universitätsstadt Szczecin eine Zukunft haben könnte. Zunächst blieb das eine Illusion. Aber seit etwa drei Jahren funktioniert es plötzlich hervorragend, denn die Freizügigkeit innerhalb der EU erlaubt es auch den Polen inzwischen, ihren Arbeits- und Wohnort frei zu wählen. In Szczecin sind Wohnungen knapp und teuer, in der Uckermark stehen sie leer.

Ein Mann berichtet am Donnerstag, er habe politisch in Warschau gearbeitet und in Szczecin nur eine enge Wohnung gehabt. Seine Frau sei auf die Idee gekommen, nahe der Grenze ein Haus in Deutschland zu erwerben. Der Mann sträubte sich. Für ihn war das unvorstellbar. Er ließ sich aber überreden, das Haus wenigstens einmal anzuschauen. Als er das Haus dann sah und den Preis hörte, entschied er: »O.k., wir kaufen morgen.« Inzwischen ist er Immobilienmakler und hat schon vielen Landsleuten eine Bleibe in Gartz und Umgebung vermittelt. »Die Geschäfte laufen nicht schlecht«, schmunzelt er. Die meisten seiner Kunden beherrschen die deutsche Sprache nicht. Sie ziehen erst her, beginnen dann zu lernen, können sich aber oft schnell ganz passabel verständigen, wie sich im Parkrestaurant erweist. Auch der polnische Gesandte Andrzej Szynka ist davon positiv überrascht.

Die Geschichten gleichen sich. Es sind junge Eltern aus der polnischen Mittelschicht, die schon mit zwei oder drei Kindern herziehen oder hier erst Nachwuchs zeugen. Viele pendeln zur Arbeit nach Szczecin, sogar Polizisten sind darunter, die ihre Uniform aber erst drüben anziehen. Manche orientieren sich beruflich neu, finden einen Job in der Uckermark. So erzählt eine Frau, sie arbeite noch in Szczecin für eine Hausverwaltung, schule jetzt aber um auf Altenpflegerin. Das Praktikum in Tantow mache Spaß und keiner finde es dort schlimm, dass sie noch nicht so gut Deutsch spreche. »Gute Entscheidung, Altenpfleger brauchen wir dringend«, versichert Platzeck.

Pawel Bures war früher in Warschau für einen Spielwarenhersteller tätig. Die Firma versetzte ihn in die Filiale in Szczecin. Mit Ehefrau Marta kaufte er ein Haus in Gartz. Sie ist Erzieherin und arbeitet jetzt in einer deutschen Kita. Auch Pawel wechselte, verdient sich seine Brötchen mittlerweile bei einem deutschen Forstbetrieb. Sein Chef ist zuversichtlich, mit dem neuen Mitarbeiter an Aufträge in Polen heranzukommen. Marta, Pawel und ihre Kinder fühlen sich in Gartz pudelwohl. »Unsere Nachbarn sind total cool«, äußert Marta begeistert. Sie und ihr Mann sind in den Karnevalsverein eingetreten, letztes Jahr waren sie sogar schon das Prinzenpaar. Auch andere polnische Familien schwärmen über die gute Nachbarschaft.

Etwa 8150 Polen leben derzeit im Land Brandenburg, davon 1000 in der Uckermark und allein 500 im Amtsbezirk Gartz. Probleme mit den neuen Einwohnern gibt es nicht. Auch der Bürgermeister von Gartz, Burkhard Fleischmann (SPD), weiß nichts Negatives über die inzwischen 172 polnischen Einwohner seiner Stadt zu berichten. Diese Leute bereichern das kulturelle Leben und verschönern die Häuser, lobt er.

Dem kann sich Gerhard Rohne anschließen. Es habe früher viele Befürchtungen gegeben, dass die Polen den Einheimischen beispielsweise die Arbeitsplätze wegnehmen, weiß der Linksfraktionschef im Kreistag um die Ängste in der deutschen Bevölkerung. Doch nichts davon sei eingetreten. »Die Polen nehmen niemandem etwas weg und sie werden hier dringend gebraucht.« Für die Zukunft der Uckermark sei Szczecin wichtig und nicht Berlin. »Das haben viele noch gar nicht begriffen«, sagt Rohne. Aber seine Argumente sind überzeugend: Durch die vielen jungen Polen müssen Kindergärten und Schulen nicht schließen, Geburtsabteilungen in Krankenhäusern können gerettet werden.

Der Ministerpräsident freut sich besonders über die kleinen Knirpse. Als er am Restaurant ankommt, schaut er zuerst in einen Kinderwagen und strahlt. Schließlich ist er Weihnachten Großvater geworden und das gefällt ihm sehr. Als die Kontrollen an der Grenze wegfielen, dachte Platzeck wie einst Willy Brandt: »Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört.« Aber so optimistisch sei er damals nicht gewesen, zu ahnen, dass es »auf eine so schöne Art« funktioniert. Platzeck lächelt den Polen zu. »Sie sollen das Gefühl haben, Sie sind willkommen«, sagt er, »Sie sind es nämlich!«

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