Wenn Aufnahmefähigkeit des Patienten beeinträchtigt ist

Der Problemfall: die ärztliche Aufklärung

  • Lesedauer: 5 Min.

Unsere Autorin, Rechtsanwältin ANKE PLENER aus Berlin, informiert über drei Problemfälle bei der ärztlichen Aufklärung.

1. Beeinträchtigte Aufnahmefähigkeit des Patienten bei der Aufklärung

Das Oberlandesgericht München hatte am 10. Februar 2011 (Az. 1 U 2382/10) die Klage einer Patientin zurückgewiesen, die gegenüber dem Beklagten Ansprüche wegen unzureichender Aufklärung im Zusammenhang mit einer Wirbelsäulenoperation geltend machte.

Die Klägerin hielt dem Beklagten vor, sie habe während des Aufklärungsgespräches unter Einfluss starker Schmerzmittel gestanden und sei daher in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit eingeschränkt gewesen. Sie sei nicht fähig gewesen, zu beurteilen, was für ein Eingriff am Folgetag vorgenommen werde und mit welchen Risiken das verbunden sei.

Das Gericht stellte fest, dass die Klägerin hierfür beweispflichtig ist. Die Klägerin gab zudem an, eine Woche zuvor mit dem Beklagten über die vorgeschlagene Operation gesprochen zu haben. Da habe sie dem Gespräch folgen können und sei nicht durch Medikamente beeinträchtigt gewesen.

Der Beklagte trug vor, an diesem Tag seien die zu erörternden Fragen und Aspekte ohne Probleme mit der Klägerin besprochen worden. Die Klägerin behauptete nun aber, die Aufklärung sein nicht umfassend und ordnungsgemäß gewesen.

Das Gericht folgte den Aussagen des Beklagten und hielt die Aussagen der Klägerin zum Umfang der Aufklärung für unglaubhaft. Ihre Darstellung sei eher von Verbitterung über ihren derzeitigen Gesundheitszustand getragen, während der Beklagte, gestützt auf seine Aufzeichnungen den Gesprächsverlauf glaubhaft, den Vorgang sachlich und differenziert geschildert habe.

Im Hinblick auf das am Vortag der Operation geführte Aufklärungsgespräch führte das Gericht aus, bliebe eine eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit denkbar. Es genüge aber eine abstrakte theoretische Möglichkeit eines mangelnden Verständnisses seitens des Patienten über mögliche nachteilige Folgen eines Eingriffs für sich genommen nicht, an einer ordnungsgemäßen Aufklärung zu zweifeln.

2. Aufklärung über Wechsel der OP-Methode nach Einleitung der Prämedikation

Das Oberlandesgericht Brandenburg hatte am 17. Juli 2010 (Az. 12 U 232/09) darüber zu entscheiden, ob die Aufklärung über den Wechsel der Operationsmethode am Operationstag selbst rechtzeitig und damit die Einwilligung des Klägers in die Operation wirksam war.

Der 19-jährige Kläger unterzog sich einer Leistenhernien-OP, die nicht konventionell - wie zunächst besprochen -, sondern laparoskopisch durchgeführt wurde. Darüber wurde er zwar bereits einen Monat vor der Operation aufgeklärt, über den Wechsel der Operationsmethode jedoch erst am OP-Tag selbst und zudem nach bereits eingeleiteter Prämedikation (also nach Gabe von Medikamenten) informiert.

Das Gericht führte in seiner Urteilsbegründung aus, der Kläger hätte von vornherein über alternativ in Betracht kommende Operationsmethoden aufgeklärt werden müssen (mit und ohne Netzimplantation, konventionell oder laparoskopisch), da es sich nach den Ausführungen des Sachverständigen um mittlerweile standardmäßige Methoden zur Leistenbruchversorgung handele, wobei die Risiken unterschiedlich seien.

Das Gericht stellte fest, dass die Aufklärung über den Wechsel der Operationsmethode am OP-Tag verspätet und die Einwilligung des Klägers wegen des bereits bestehenden Medikamenteneinflusses unwirksam gewesen sei. Allerdings hatte das Gericht zu prüfen, ob die OP möglicherweise wegen der einen Monat zuvor erfolgten Aufklärung und Einwilligung gleichwohl rechtmäßig durchgeführt wurde. Der Kläger wurde zum damaligen Zeitpunkt zumindest auch über eine mögliche laparoskopische Vorgehensweise aufgeklärt. Im Ergebnis verneinte das Gericht die ordnungsgemäße Aufklärung unter Hinweis darauf, dass sich der Beklagte selbst veranlasst gesehen habe, am Tag der OP über den Wechsel der Operationsmethode aufzuklären.

3. Ärztliche Aufklärung drei Stunden vor Einleitung der Prämedikation bei Herz-OP

Das Oberlandesgericht München hat in seiner Entscheidung vom 26. Mai 2011 (Az. 1 U 3081/10) deutliche Vorbehalte geäußert, als es darüber zu entscheiden hatte, ob die erst am Vorabend und überdies drei Stunden vor beginnender Prämedikation zur Operation am Herzen durchgeführte Aufklärung die selbstbestimmte Entscheidung des Patienten gewährleistet.

Das Gericht stellte seine Bedenken nur deshalb hinten an, da die Operation bereits vereinbart war und dem Patienten am Mittag ein vorbereitender Aufklärungsbogen ausgehändigt und ihm damit hinreichend Gelegenheit gegeben wurde, die Infos bis zum eigentlichen Aufklärungsgespräch durchzulesen.

Das Gericht stellte in Fortführung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes klar, dass es nicht auf die Wahrung bestimmter Zeiten ankomme, sondern auf eine abwägende Überprüfung ausreichender Entscheidungsfreiheit im Einzelfall. Es führt aus, der Patient müsse vor dem beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahren könne.

Der Schutz des Selbstbestimmungsrechtes erfordere zwar grundsätzlich, dass der Arzt, der einem Patienten eine Entscheidung über die Duldung eines operativen Eingriffs abverlange und für diesen Eingriff bereits einen Termin bestimmt habe, ihm schon zu diesem Zeitpunkt auch die Risiken aufzeigt, die mit diesem Eingriff verbunden sind.

Andererseits sei eine erst später erfolgte Aufklärung dann nicht verspätet, wenn unter den gegeben Umständen der Patient noch ausreichend Gelegenheit hat, sich frei zu entscheiden. Es komme nicht auf die Anzahl der Aufklärungsgespräche an, sondern darauf, ob die Aufklärung inhaltlich ausreichend war, um dem Patienten eine eigenverantwortliche Entscheidung über die Operation zu ermöglichen.

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