Zwischen Vision und Realität

In der Galerie Zeisler fängt Sophie Natuschke die »ebene« ein

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie gehört zu den Kargen, Reduzierten, die 1950 in Bautzen geborene, nach dem Studium an der Kunsthochschule Weißensee im Oderbruch lebende Zeichnerin und Grafikerin Sophie Natuschke. Rund 40 neuere Arbeiten, die ältesten von 2006, zeigt derzeit die Galerie Zeisler und nennt sie klammernd schlicht »ebene«. Um die Weite der Natur dreht sich, was Natuschke oft nur mit wenigen Strichen aufs Papier bannt. So viel eherner Naturbezug ist heute selten und berührt daher umso mehr.

Die Künstlerin sieht ihre Umwelt nicht nur; vielmehr lässt sie das Geschaute mit einer Intensität in sich eindringen, dass man sich an die Erzählungen Adalbert Stifters, des sensiblen Naturschilderers, erinnert fühlt. Da ist etwa »Juni - das letzte Blatt«, mit 70 x 100 Zentimetern eine der großformatigen Zeichnungen. Mit Kohle hält sie eine Seelandschaft fest, die mehr Vision als Realität scheint: auf ihren Umriss beschränkte Bäume, in der Ferne eine Allee, rundes Gebüsch. Dennoch entwickelt die Perspektive eine Weite, in die man sich hineingezogen spürt. Ähnliches gilt für »Schwäne« vom gleichen Format. Mittig in einem zentralen Baum bündelt sich alles, links zieht als schmales Band ein Bach seine Bahn. Auf ihm schwimmen, mehr angedeutet als ausgeführt, zwei Schwäne, eher Randfiguren, die trotzdem der Zeichnung den Namen geben.

Was unter technischem Aspekt die Ausstellung besonders macht, ist Natuschkes rege Verwendung der Cyanotypie, eines alten, 1842 erfundenen fotografischen Edeldruckverfahrens mit typisch cyanblauen Farbtönen. Zur Entwicklung der Fotos wird hier Eisen anstatt Silber verwendet. Die Ausgangszeichnung wird dabei auf eine Folie übertragen, mit lichtempfindlichem Papier bedeckt und in der Sonne belichtet. Natuschke nutzt dies Verfahren für Tierdarstellungen, die teils archaischen Charakter tragen, als handle es sich um steinzeitliche Höhlenmalereien. Hauptsächlich Vierbeiner ihrer näheren Umgebung stellt sie auf oft humorige Weise dar. Biber, bisweilen wie Jagdtrophäen mit ausgebreitetem Fell und bemalt oder einander überlagert, sind zu sehen, auch Wildschweine, wie sie über eine hellblaue Fläche stieben, wobei eines der Tiere sich schon halb aus der Ebene gestohlen hat, oder gar ein Ornament aus Wildschweinen. Auch für eine Variante aus Bild und Wort nutzt Natuschke dies Verfahren. Buchstaben- und Wortreste tummeln sich darauf; der Umriss eines Fabeltiers, wie er sich der Fläche eingliedert. Aus dem Loose Art Verlag datiert sie ebenso eine Nager-Darstellung, auf der scheinheilig gefragt wird: »Hat denn heute oder morgen keiner nach Fundevogel gefragt?«

Zwei weitere Gruppen von Arbeiten tragen lediglich das Datum der Entstehung als Titel und geben beinah impressionistisch inspirierte Tageseindrücke wieder, ohne annähernd mit jener Kunstrichtung verwandt zu sein. Kaum Gegenständliches, klar Erkennbares geben diese fünf Kaltnadelradierungen wieder. Wie Halme sieht es aus oder im Wintersee gefrorene Boote, was da in der Landschaft aufragt und »Schachtlöcher« heißt; kahle Bäume in der Ferne, Herbes um einen mittigen, weiß belassenen Teich; eine nur mit Strichen skizzierte Weggabelung, die wenig mehr als das preisgibt; eine Schneeszenerie mit transparenten oder dicht schwarzen Häufchen. Und doch ahnt man, was jenes Land in der Künstlerin wachruft, was es ihr bedeutet, wie sie darin leibt und lebt.

Größte Wirkung geht von den kleinsten Arbeiten aus, sechs etwa handtellergroßen Radierungen, teils am selben Tag geschaffen. Auch sie eher Andeutung als Nachbildung von Realität, indes mit welch atmosphärischer Dichte! Eine Kirchturmkuppel meint man weit fort zu erkennen; einen Weiher, von Gebüsch umstanden, mit Inselchen drinnen und einem schmalen Durchblick; oder lediglich sinnliches Gewirr als Landschaftseindruck; endgültig bezaubernd dann zwei Bäume mit weißen Wölkchen darüber und staunenswerter Raumtiefe auf ganzen 9 x 10 Zentimetern Fläche. Hier erreicht Natuschkes »ebene« ihre maximale Ausdehnung.

Bis 30.5., Galerie Zeisler, Gethsemanestr. 9, Prenzlauer Berg, Telefon 44 79 35 11, www.galerie-zeisler.de

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