Orbáns Angriff stieß ins Leere

Regierende Sozialisten legen in Umfragen zu

  • Hans Walter, Budapest
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

In Ungarn hat die heiße Phase des Kampfes vor den Kommunalwahlen am 20. Oktober begonnen. Seit den Parlamentswahlen im April, deren Ergebnis die Verlierer bis heute nicht hinnehmen wollen, war kaum Ruhe im politischen Leben eingetreten. Derweil erreichen die regierenden Sozialisten in Umfragen sogar die absolute Mehrheit.

Der Satz »Nach der Wahl ist vor der Wahl« wurde selten so bestätigt wie in diesem Jahr in Ungarn. Die frühere konservative Regierung unter dem jungen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, deren Politik deutlich nationalistische, zuweilen gar rechtspopulistische Züge aufwies, wurde durch ihre knappe Wahlniederlage derart überrascht, dass sie nicht einmal die wichtigsten Vorkehrungen für ihren Abgang treffen konnte. Die Zeit zwischen dem ersten Wahlgang am 7. April und der letzten Sitzung der Orbán-Regierung am 24. Mai war daher voller hektischer Betriebsamkeit. Etliche Mitarbeiter verschiedener Ministerien wurden auf den letzten Drücker in Positionen mit hohen Bezügen und faktisch unkündbarem Status befördert, manche Würdenträger ließen die gesamte Einrichtung ihrer Büros und ihrer Dienstwohnungen samt Dienstwagen an ihren Wohnort überführen und die Regierung fasste Beschlüsse, mit denen die Nachfolger in schwierige Situationen versetzt wurden. Erst dieser Tage veröffentlichte die Zeitung »Népszabadság« Einzelheiten darüber, wie das Finanzministerium Investitionsfördergelder regelrecht ausstreute. Millionenbeträge flossen in letzter Minute fast ausschließlich in solche Wahlkreise, in denen konservative Kandidaten gut abgeschnitten hatten. 213 beziehungsweise 174 Millionen Forint (245 Ft = 1 Euro) gingen rein zufällig an die Wahlkreise des Finanzministers und seines Staatssekretärs. Exminister Varga fand sogar eine Begründung dafür: Man habe diese Kreise nach einem Regierungswechsel »nicht darunter leiden lassen wollen, dass sie überwiegend konservativ gewählt hatten«. Derweil werden die Konservativen nicht müde, den Wahlausgang - den Sieg von Sozialisten und Liberalen - anzuzweifeln. Im engen Bündnis mit Rechtsradikalen und Nationalisten organisierte Orbáns Partei Fidesz Protestaktionen am laufenden Band. Anfang Juli - zum ersten Mal seit der Wende - kam es sogar zu Zusammenstößen mit der Polizei. Die Veröffentlichung von Akten über eine Zusammenarbeit des neuen Ministerpräsidenten Péter Medgyessy mit den Sicherheitsorganen in den Jahren 1978 bis 1982 kam den Konservativen da gerade recht. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss konnte jedoch außer der von Medgyessy zugegebenen Absicherung der Verhandlungen Ungarns mit dem Internationalen Währungsfonds keine weitere geheimdienstlichen Aktivitäten feststellen, schon gar keine »Spitzeltätigkeit«. Ein parallel dazu arbeitender Ausschuss zur Untersuchung möglicher Verstrickungen anderer früherer und gegenwärtiger Regierungsmitglieder mit den Geheimdiensten der sozialistischen Zeit wurde hingegen fündig. Insgesamt elf Mitglieder früherer Kabinette werden verdächtigt, in irgendeiner Form mit der Staatssicherheit kooperiert zu haben. Inzwischen ist in allen Zeitungen die Liste der Verdächtigen veröffentlicht worden, die mit Ausnahme von Medgyessy und dem ehemaligen Industrieminister Szabolcs Fazekas jedoch vorwiegend dem konservativen Lager angehören. Es handelt sich um je vier Minister oder Staatssekretäre der Regierung Antall (1990-94) und der Regierung Orbán (1998-2002) und einen, der in beiden Kabinetten tätig war. Darunter sind Béla Kádár, unter Jó-zsef Antall Minister für Internationale Wirtschaftsbeziehungen, und der Außenminister der Orbán-Regierung János Martonyi. Der Vorsitzende des Ausschusses sagte am Wochenende vor der Presse, dass »die Liste zu 90 Prozent sicher« sei. Indessen ordnen Orbán und seine Anhänger im Kommunalwahlkampf ihre Fronten. Orbán selbst hält sich meist im Hintergrund und schickt die von ihm ins Leben gerufenen »Bürgerkreise« ins Feld, die sich in einigen Wahlkreisen bereits anschicken, den bürgerlichen Parteien bei der Aufstellung der Kandidaten Konkurrenz zu machen. Dass bei den Kundgebungen der »Bürgerkreise« auch Rechtspopulisten aller Schattierungen ihr Süppchen mitkochen - wie am Sonntag in der Touristenhochburg Szentendre beobachtet -, stört die selbst ernannten Hüter der nationalen Werte überhaupt nicht. Sie konzentrieren sich darauf, so auffällig wie möglich in der Öffentlichkeit aufzutreten. Dabei offenbart Orbán denn auch gleich ein neues Verständnis von Pressefreiheit. Da die Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Medien nun wieder paritätisch besetzt sind und das Staatsfernsehen nicht mehr - wie vor den Wahlen - bedingungslos nur die Meinung der Nationalkonservativen verbreitet, forderte der Expremier ein neues Mediengesetz, mit dem das Fernsehen in zwei neue Kanäle aufgeteilt werden soll: einen linksliberalen und einen, der »die Werte der Nation« vertritt. Auf die anhaltenden Demonstrationen vor dem Fernsehgebäude reagierte Ministerpräsident Medgyessy gelassen: Wenn Orbán einen Privatsender haben wolle, müsse er eben einen gründen. Die Umfragen der Meinungsforscher zeigen seit Wochen einen kontinuierlichen Zuwachs für die Regierungsparteien. Bei der Sonntagsfrage entfielen in dieser Woche 53 Prozent der Stimmen auf die Sozialisten und 4 Prozent auf die mit ihnen verbündeten Liberalen. Das vormalige konservative Regierungsbündnis fiel dagegen auf 39 Prozent zurück. Die linke Arbeiterpartei, das Zentrum, die Rechtspopulisten und die übrigen Parteien kommen auf jeweils ein Prozent. Gekämpft wird nun vor allem um die Stimmen der ...

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