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»Der Mensch spielte, ehe er las und schrieb«

ICH HAB'S EINFACH MAL PROBIERT: Wolfgang Kramer machte als erster Deutscher das Spieleerfinden zum Hauptberuf

  • Udo Bartsch
  • Lesedauer: 4 Min.
Wolfgang Kramer aus Stuttgart ist einer der bekanntesten Spiele-Autoren weltweit. Mit »Heimlich & Co«, »Auf Achse«, »El Grande«, »Tikal« und »Torres« gewann er gleich fünf Mal den Titel »Spiel des Jahres«. Am 29. Juni feiert er seinen 70. Geburtstag.
Ein gutes Team: Ursula und Wolfgang Kramer
Ein gutes Team: Ursula und Wolfgang Kramer

nd: Herr Kramer, was macht ein Spiel für Sie zu einem guten Spiel?
Kramer: Es muss originell sein, Überraschungen und Spannung bieten bis zum Schluss. Alle Spieler müssen die gleichen Chancen haben, keiner darf vorzeitig ausscheiden. AUch dürfen die Wartezeiten nicht zu lang werden, während ein anderer am Zug ist. Ein Spiel ist dann gut, wenn es auch dem Verlierer gefällt und man es immer wieder spielen möchte.

Sie gelten als besonders akribischer Entwickler.
Ein Spiel zu entwickeln bedeutet Arbeit; eine Idee allein trägt noch kein Spiel. Es folgen Tests, Änderungen, neue Tests. Ein Spiel ist niemals abgeschlossen. Gerade die letzten Prozente, um ein Spiel von 90 auf 100 Prozent zu bringen, brauchen sehr viel Zeit.

Wie kommen Ihnen die Ideen?
Häufig denke ich mir eine Geschichte aus, die die Basis für ein Spiel ist. Ich muss das Gefühl haben: In diese Welt würde ich gern einsteigen. Ich muss spüren, dass eine Atmosphäre da ist. Erst wenn ich mir die Schachtel und den Spielplan vorstellen kann und das Ganze eine Einheit bildet, fange ich mit der Entwicklung überhaupt an.

1989 hatten Sie eine gut bezahlte, leitende Position gegen den Beruf des Spiele-Autors eingetauscht. In Deutschland waren Sie damit der Vorreiter. Wie kam das?
Zuvor hatte ich 16 Jahre lang in meiner Freizeit Spiele entwickelt und zwei Mal den Titel »Spiel des Jahres« gewonnen. All dies neben einem anstrengenden Arbeitsalltag mit Überstunden und relativ hoher Verantwortung. Ich musste mich für eins entscheiden - und es war das Richtige. Ich wünschte, ich hätte es schon früher getan.

Sie wurden dann noch erfolgreicher, und Sie machen auch weiterhin nicht den Eindruck, sich zur Ruhe setzen zu wollen.
Ich will durchaus kürzer treten. Ich habe das fest vor. Aber meine Frau meint, es klappt nicht ... - und ich muss ihr Recht geben! Ich bin immer wieder neu auf der Suche nach dem absoluten Spiel, das alles Bisherige schlägt. Ich kenne auch keinen kreativen Menschen, der aufgehört hat, einfach nur so.

Es geht das Gerücht, Sie suchen sogar Ihr Urlaubsdomizil nach der Größe des Spieltisches aus.
Das war früher. Inzwischen nehme ich nur noch ganz wenige Spiele mit in den Urlaub. Vielleicht ein paar Prototypen, wenn wir mit Freunden verreisen, die auch gern spielen. Aber sonst mache ich im Urlaub nichts mehr an Spielen. Wir wandern sehr viel. Bewegung ist wichtig und kommt während des Jahres zu kurz.

In den vergangenen Jahren haben Sie zunehmend mit anderen Autoren zusammengearbeitet. Weshalb?
Als Autor ist man in seinen eigenen Vorlieben gefangen. Die Arbeit im Team erweitert den Blickwinkel und verteilt die Testarbeit. Außerdem ist das Entwickeln mit Co-Autoren viel lebendiger. Es ist schön, wenn man die Freude über ein gelungenes Spiel mit anderen teilen kann. Der Nachteil ist, man erhält nur die Hälfte des Honorars.

Teamarbeit - dieses Stichwort trifft besonders auf Sie und Ihre Frau Ursula zu. Welche Rolle spielt Ihre Frau für Ihren Werdegang?
Um meine Frau haben mich schon viele Autoren beneidet! Sie ist eine sehr gute Zuhörerin. Sie ist eine sehr gute Leserin von Spielregeln und findet viele Fehler, die ich übersehen habe. Und sie ist meine erste Testerin. Wenn ich bei einem Spiel nicht weiterkomme, wende ich mich immer erst an meine Frau. Ohne sie wäre meine Autorenkarriere sicherlich anders verlaufen.

Was hat das Spiel, dass es Sie Zeit Lebens so sehr fasziniert?
Ich halte das Spiel noch immer für unterschätzt. Spielen besitzt eine höhere Bedeutung für die Menschheit, als es momentan wahrgenommen wird. Der Mensch spielte, eher er las und schrieb. Spielen gehört zum Menschen dazu wie Schlafen, Essen, Trinken, Beten und Arbeiten. Es gibt kein vergleichbares Medium. Der Mensch ist Bestandteil eines Spiels. Anders als beim Musikstück oder Buch oder Film ist der Ablauf nie gleich, das Ende ist beeinflussbar. Die Spielregeln bieten Freiheiten, und diese Freiheiten machen das Spiel mit dem Leben vergleichbar - aber ohne den Ernst der Realität.

Gespräch: Udo Bartsch

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