Unvergessener Philosoph
Zum Tode unseres langjährigen Kolumnenautors Robert Kurz
Der Tod des Philosophen und kundigen Ökonomen Robert Kurz ist ein schwerer Verlust für alle, die sich um eine bessere Welt mühen. Die Leser des »nd« werden den intellektuellen wie emotionalen Genuss entbehren müssen, den ihnen die regelmäßigen Wirtschaftskolumnen von Robert Kurz seit September 1997 bereiteten. Seine scharf geschliffenen Formulierungen kamen von der Schärfe seines Denkens. Seine leicht ironisierende Sprache hob die Klarheit und Bedeutsamkeit des Gedankens.
Robert Kurz war ein angesehener Wissenschaftler und ein zu Recht hoch gelobter Buchautor. Hervorzuheben ist vor allem das »Schwarzbuch des Kapitalismus. Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft« (1999). Es hat über 800 Seiten und ist zugleich von erheblicher substanzieller Dichte. Mir wurde seine Weltsicht zuerst am deutlichsten verständlich in seinem 1991 erschienenen Buch »Kollaps der Modernisierung«: Es sei das warenproduzierende System, so Kurz, das »System der abstrakten Arbeit«, welches in einer dreistufigen historischen Abfolge zuerst die dritte Welt, dann die zweite Welt in den Kollaps treibe und schließlich in einem letzten Akt die Selbstzerstörung der ersten Welt bewirke.
Wir hatten eine wichtige Meinungsverschiedenheit: Kurz konnte wie Karl Marx sich den Sozialismus nur ohne Warenproduktion und Geldwirtschaft vorstellen, was ich für nicht möglich halte. Als bekennender Marxist war ich in nicht geringer Verlegenheit bei dem Versuch, mich mit den Ansichten von Kurz, dem profunden Marx-Kenner, auseinanderzusetzen. Marx und Kurz sind der Meinung, dass menschliche Emanzipation erst jenseits der warenproduzierenden Gesellschaft möglich sei, also die Abschaffung des Geldes voraussetze. Im Sozialismus, so Marx, solle zwar das Leistungsprinzip gelten, aber Geld dürfe es nicht geben. Leistungsprinzip ohne Geld halte ich dagegen für unmöglich. Die Qualifizierung der Ware-Geld-Beziehungen als »kapitalistisches Muttermal« (Marx), das man negativ werten, zurückdrängen, möglichst bald abschaffen solle, war ein nicht unwichtiges Moment unzureichender Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsmechanismus im realen Sozialismus. Aber Waren- und Geldwirtschaft, wirtschaftliche Orientierung am Geldgewinn erzeugen auch im Sozialismus Widersprüche, die das sozialistische Ideal beschädigen. Auch deshalb lohnt es sich, bei Robert Kurz nachzulesen.
Der Verein Helle Panke Berlin gab Robert Kurz und mir die Möglichkeit, unseren Streit um Ware und Geld im Sozialismus auch öffentlich auszutragen. Ich erinnere mich nur an sehr wenige Streitgespräche, die so tief und klar die Substanz der gegensätzlichen Auffassungen ausloteten, so viel Verständnis für die Meinung des Widerparts erzeugten und in solch freundschaftlichem Geist verliefen.
Kurz' Auffassungen sind keineswegs die eines Einzelkämpfers auf sozialtheoretischem Feld. Sie werden getragen von Philosophen, Ökonomen und Soziologen, die man als besondere Schule geisteswissenschaftlichen Denkens ansehen kann. Ihr selbstgewählter Name lautet »Kritik der warenproduzierenden Gesellschaft«. So heißt auch der Untertitel der von ihr herausgegebenen Zeitschrift »Krisis«. Der herausragende Kopf dieser Schule und der Zeitschrift, ab 2004 der Zeitschrift »EXIT«, war Robert Kurz. Er und sein Werk bleiben unvergessen.
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