Fenster zugemauert, kein Aufzug

»Neue Wohnungsnot« und Schikanen - Berlin zieht jetzt nach

  • Maren Martell und Theresa Münch, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.

Kein Aufzug, undichte Dächer, bröckelnde Balkone - mit immer rabiateren Methoden setzen Investoren Mieter unter Druck. »Seit zehn Jahren wechseln ständig die Eigentümer, steht das Haus immer wieder unter Zwangsverwaltung«, berichtet die Mieterin eines alten Jugendstilhauses unweit vom Kurfürstendamm in Charlottenburg. Jetzt soll das vierstöckige Gebäude für viel Geld renoviert werden. Die Mieter werden rausgedrängt. Mehr als die Hälfte habe angesichts der Schikanen schon aufgegeben, erzählt die Frau. »Und wenn ich bleibe, erhöht sich meine Miete nach der Luxussanierung fast um das Doppelte. Das ist ein Irrsinn, was da gerade in Berlin abläuft.«

Auch die Mietervereine schlagen Alarm. Besonders in Großstädten mit verschärfter Wohnungssituation fielen solche »Entmietungs-Praxen« auf, berichtet Wibke Werner von der Berliner Mietervertretung. Der Grund: Bestandsmieten für langjährige Mieter dürfen nur eingeschränkt erhöht werden. Ziehen neue Leute in eine sanierte Wohnung, können die Vermieter mehr kassieren.

Ein besonders heftiger Fall wurde Anfang Juli bekannt. Um Modernisierungspläne durchzusetzen, ließ ein Eigentümer den Fahrstuhl demontieren und Keller sperren. Auch von zugemauerten Fenstern wurde berichtet.

Der Berliner Mieterverein sieht die Politik in der Pflicht: »Die mietrechtlichen Abwehrmöglichkeiten reichen gegen diese Vermieterwillkür am Ende nicht aus«, sagt Geschäftsführer Reiner Wild. Die Betroffenen benötigten Hilfe von Bezirksamt und Senat. Die zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung aber wiegelt ab: Sie könnten bei privaten Vermietern nicht eingreifen.

Auch der Deutsche Mieterbund betrachtet die Entwicklung mit Sorge. »Da entsteht ein enormer Druck auf die Mieter«, sagt Sprecher Ulrich Ropertz. Allein in Berlin bestehe jetzt schon eine Differenz von 20 bis 30 Prozent zwischen ortsüblicher Miete und der Miete, die bei einem neuen Mietvertrag erzielt werden kann. Zugemauerte Fenster seien deutschlandweit aber eher Einzelfälle. »Es geht auch viel subtiler.«

Aus Köln und Hamburg wird von absichtlich lang gezogenen Modernisierungen berichtet, während Wasser und Strom abgestellt werden. Oft bleibe auch ein Baugerüst einfach länger an der Fassade stehen und verdunkele die Zimmer. »Man versucht, den Mietern die Wohnung zu verleiden«, sagt Jörg Hense vom Kölner Mieterverein. Teils würden für die Zeit nach der Modernisierung unrealistisch heftige Mieterhöhungen angekündigt, die rechtlich überhaupt nicht durchzusetzen wären. Da zögen viele Mieter vorschnell die Notbremse.

Was sich derzeit in Berlin entwickelt, ist laut Ropertz in Städten wie Frankfurt am Main, Köln oder Düsseldorf schon länger zu beobachten. Nach einer aktuellen Studie des Pestel-Instituts fehlen in den großen Städten bundesweit derzeit etwa 100 000 Wohnungen, bis 2017 sollen es rund 400 000 Wohnungen sein.

Politiker und Verbände sprechen von einer neuen Wohnungsnot besonders in Großstädten, Ballungsgebieten und Universitätsstädten. In Hamburg seien Schikanen von Vermietern vor allem Anfang der 90er Jahre bekannt geworden, sagt Siegmund Chychla vom dortigen Mieterverein. Dagegen habe es in Berlin lange »paradiesische Zustände« gegeben.

Die meisten Mieter haben nur wenig gegen die Schikane ihrer Vermieter in der Hand. »Der Eigentümer ist zu Instandsetzungen verpflichtet. Absichtliche Schikane lässt sich da nur schwer greifen«, sagt Werner. Während Ropertz Betroffenen rät, lange auszuharren und auf eine Abfindung der Investoren zu setzen, sehen andere Mieterberater das kritisch. »Richtig hohe Beträge bekommen da die wenigsten«, betont Hense. Allein durch die wahrscheinlich höhere Miete in der neuen Wohnung werde eine Abfindung schnell aufgefressen.

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