Unheimlich vertraut

Die Berliner Malerin Karin Sakrowski in der Galerie Pankow

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie hat erst eine schwere Krankheit überstanden, und diese schon lange geplante Ausstellung, die nun zum 70. Geburtstag der Berliner Malerin stattfinden kann - nicht von ungefähr trägt sie den Titel »Zeitvermessung« -, soll ihr Rückblick auf die letzten zwei Jahrzehnte geben und zugleich Impuls für die Fortsetzung ihrer Arbeit, vielleicht auch für einen Neuanfang sein. In ihren Dankesworten sagte sie: »Ich will mich mit meinen Bildern weitergeben. Tragen sie mich, verraten sie mich, geben sie mir weiter Begleitung?«

Karin Sakrowskis Bilder sind schwer, von einer dunkel leuchtenden Farbigkeit, die dem nordischen - und in Berlin meist ein wenig grauen - Licht eigenwillige Nuancierungen abgewinnt. In dem Monumentalbild »Vor-Ort-Berlin« (1989/91) wird die Stadtlandschaft mit fast abstrakt wirkenden Formen, Dingsymbolen verfremdet, die den Zugang zum Bild gleichzeitig versperren und vermitteln. Vertrautes wird unheimlich und fremd. Der in das Bild hineingeworfene Kopf ist fast so furchterregend wie der Mund in Edvard Munchs »Schrei«. Das Bild durchschaut gleichsam die Formen der Realität, um zu einer tieferen und zutiefst beunruhigenden, fast qualvollen Analyse des nicht Analysierbaren zu gelangen.

Das Prinzip der Reihung und Variierung weniger Motive - Köpfe, Maskenköpfe, Figuren, Figurinen, Hüllen von menschlichen Wesen, verschnürte Leiber, Stillleben, Zeichen, Bilder und Gegenbilder - schließt im malerischen Werk von Karin Sakrowski einfache Wiederholung und Austauschbarkeit aus. Es bedeutet vielmehr die Einmaligkeit, Unwiederholbarkeit existenzieller Grundsituationen. Der menschliche Körper, der - wie in der avantgardistischen Moderne - unzähliger Manipulationen fähig ist, sich zum vagen Erinnerungsbild verflüchtigt oder mit Präzision deformiert oder in andere Funktionszusammenhänge eingewiesen wird, ist bei ihr wieder zu einem Ruhe- und Kulminationspunkt geworden, hat wieder plastische Festigkeit und erdhafte Schwere erhalten. Die Köpfe oder Figuren ähneln denen von Schneiderpuppen oder Mannequins, aus Einzelteilen und Emblemen zusammengebaut, mit Gebrauchsgegenständen und Mementos in Verbindung gebracht: Symbole des fragmentarischen modernen Ichbewusstseins, unerwartete fragmentierte Zusammenstellungen von Buchstaben, Farbklängen, Bildern, Dingen und Personen.

Diese Bilder beschreiben kein Ereignis, keine Szene, ihre Frauenfiguren sind weder Göttinnen noch fordern sie den Betrachter mit der Nacktheit ihres Körpers heraus. Sie füllen - mitunter vergrößert zur monumentalen Form - das ganze Bild aus oder werden in einen leeren (ort- und zeitlosen) Raum gesetzt. Der Raum scheint durch die theaterhafte Perspektive zurückzuweichen oder sich ihm förmlich aufzudrängen. Er lässt die entfernten Dinge noch viel entfernter erscheinen oder holt sie übergroß heran. Diese Köpfe, diese Figuren wollen kein Mitleid erheischen. Erbarmungslose Härte, auch Aggressivität, wird als Voraussetzung zur Selbstbehauptung angesehen. Es sind Gestalten eines Pandämoniums, die zugleich abstoßen und faszinieren.

Für beruhigende Privat-Mythologien ist kein Platz, wo sich jemand wie diese Künstlerin derart Grenzsituationen aussetzt. In unseren, dem Mythos entfremdeten Zeiten wären auch die unerlaubt, gäbe es da nicht ein Element von Distanz, von Rationalität, das uns möglich macht, die Situation als Metapher zu begreifen - eben als Kunst. Karin Sakrowskis Bilder stellen mehr Fragen über Leben und Tod, Werden und Vergehen, Innen- und Außenwelt als manche Formerneuerungen der Postmoderne.

Bis 19. August, Galerie Pankow, Breite Str. 8, Di.-Fr. 12-20 Uhr, Sa./So. 14-20 Uhr, Katalog 7 Euro

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