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Wir können es ohne euch

Weggefährte von Franz Josef Strauß entwirft den Plan einer Sezession des Freistaats Bayern

  • Marian Krüger
  • Lesedauer: 3 Min.
Wilfried Scharnagl, langjähriger Chefredakteur des »Bayernkurier«, hat ein Buch geschrieben. In diesem wirbt die »graue Eminenz« der CSU für die staatliche Unabhängigkeit Bayerns.

Aus Berliner Sicht mag man den 73-jährigen Wilfried Scharnagl, der als CSU-Landesvorstandsmitglied kein wirklich einflussreiches politisches Amt bekleidet, schnell als krassen Außenseiter oder Fossil abtun. Hier schreibt jedoch einer, der aus dem innersten Kreis der bayerischen Staatspartei kommt. Franz Josef Strauß sagte über ihn: »Er schreibt, was ich denke, und ich denke, was Scharnagl schreibt.« Und für Kenner der bayerischen Politik bleibt er die »graue Eminenz«. Scharnagl hat wieder etwas geschrieben. Unter dem Titel »Wir können es auch alleine« wirbt er auf knapp 200 Seiten für die staatliche Unabhängigkeit Bayerns. Und was er schreibt, schreibt er offenkundig in Übereinstimmung auch mit dem gegenwärtigen CSU-Chef Horst Seehofer, nur dass dieser den sezessionistischen Appendix weglässt.

So wie Seehofer besteht auch Scharnagl auf einer bayerischen Sonderrolle im deutschen Staat. Die Mehrheit der Bayern wolle es einfach so. Zu etwa 80 Prozent stehe sie hinter der Forderung, dass Bayern eine »führende Rolle« in der Bundesrepublik zu spielen habe. Weniger als die Hälfte der Bayern sieht sich demnach als deutsche Staatsbürger, die Mehrheit hingegen als bayerische Staatsbürger.

Wer die von Scharnagl zitierten Umfragen nur als Ausdruck eines eher exotischen Lebensgefühls abtut, irrt gründlich. Das ist geltendes bayerisches Verfassungsrecht, das zwischen deutscher und bayerischer Staatsangehörigkeit unterscheidet, wobei den deutschen Staatsangehörigen großzügig die gleichen Rechte und Pflichten eingeräumt werden.

Und Scharnagl variiert mit zahlreichen gut platzierten Verweisen und Zitaten eine Botschaft: Bayern war nie Deutschland, und das ist gut so. Die in Bayern herrschende »mittelständisch geprägten Leistungs- und Wettbewerbsethik« markiert für ihn die ausschlaggebende kulturelle Differenz zu anderen Bundesländern. Und der natürliche Garant dieser Fleißgesellschaft, wo »Erfolg noch aus eigener Kraft erarbeitet« werde, ist selbstverständlich die bayerische Staatspartei, deren Lobeshymne Scharnagls Werk durchhallt. Sie habe viele Verdienste, u.a. das wunderbare dreigliedrige Schulsystem der Gebirgsrepublik; deswegen müsse man sich auch allen Versuchen, das »Schulwesen in Deutschland gleichzuschalten«, weiter widersetzen.

Nicht alle Stichworte, die hier für den Stammtisch gegeben werden, dürften im Rest der Republik auf heiligen Ernst stoßen. Doch wie sein Parteichef Seehofer greift Scharnagl an zwei Punkten die geltende Bundespolitik an: Europapolitik und Länderfinanzausgleich. Er teilt dessen tiefe Skepsis gegen die »Eurorettungspolitik« der Kanzlerin und zieht dabei die gleichen roten Linien wie sein Parteichef. Der Länderfinanzausgleich komme einem Raubzug gleich, und eine europäische Wirtschaftsregierung wäre »ökonomische Gleichschaltung«. Gegen diese Tendenzen bleibe als Ultima Ratio nur die staatliche Selbstständigkeit. Mit einer Wirtschaftsleistung von aktuell 422 Milliarden Euro sei Bayern eine »ökonomische Mittelmacht«, die es eben auch alleine könne.

Auch zum Weg in die Unabhängigkeit gibt es konkrete Überlegungen. Referenzbeispiel ist die Schottische Nationalpartei (SNP). Die Vorbereitung eines entsprechenden Referendums der SNP-geführten schottischen Regierung zeige »wie man es machen kann.« Dass die SNP weit links von der CSU steht, stört Scharnagl nicht, sondern kommt ihm sogar höchst gelegen, um den eigenen Separatismus ebenfalls als fortschrittliches Projekt auszugeben.

Spricht etwas gegen diese Gedanken? Ja, das Grundgesetz. Die Entscheidung über die Staatsverfassung ist mitnichten ein exklusives Recht einzelner Bundesländer, sondern liegt nach Artikel 146 in den Händen des gesamten deutschen Volkes. Deutschland ist nach Artikel 20 der Verfassung ein »sozialer Bundesstaat«. Dass auch die reichen Bundesländer ihren Wohlstand mit den anderen zu teilen haben, ist somit keine Ungerechtigkeit, sondern Verfassungsauftrag. Aber genau dies ist für Scharnagl Anlass seiner Sezessionsforderungen.

Es handelt sich hier um puren Wohlstandschauvinismus und eine Blaupause für die künftige Politik der angeschlagenen bayerischen Staatspartei. Man braucht heute nicht darüber zu spekulieren, ob diese davon Gebrauch macht. Die Bedeutung von Scharnagls Buch liegt woanders. Genau wie im Fall Sarrazin erklärt hier ein Mitglied der westdeutschen Elite die Überwindung zentraler Verfassungsprinzipien zur Zukunftsaufgabe. Bei Sarrazin sind es Menschenwürde und Gleichheit, bei Scharnagl ist es die deutsche Einheit.

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