Im Kern schwabblig

  • Brigitte Zimmermann
  • Lesedauer: 3 Min.

Die nicht mehr schleichende, sondern brutale Unterwanderung der Politik durch Maßgaben der Wirtschaft respektive der Märkte erkennt man nicht zuletzt an der Sprache. Die Rede regierender und opponierender Oberindianer und Vorturnerinnen unterscheidet sich nur wenig von der Wortwahl im Wirtschaftsteil der Welt und der Medien. Politisches Handeln hat schon als Begriff stark wirtschaftliche Einfärbung. Und erst recht werden beabsichtigte politische Handelssperren wie selbstverständlich mit Kategorien aus der Ökonomie begründet. Es geht dann oft um den Markenkern einer Partei oder ihre Geschäftsgrundlagen. Mitunter fällt auch das Wort Leitwährung, wenn es politisch ums Grundsätzliche geht. »Zeit ist die Leitwährung der modernen Familienpolitik«, sagt die Ministerin Kristina Schröder.

Katherina Reiche, Staatssekretärin, legte jetzt offen, dass die CDU nichts anderes als eine Firma ist. Ehe und Familie seien der Markenkern der CDU, verlautete sie und verlangte ein Ende der Debatte über die steuerliche Gleichstellung der Ehe mit anderen Lebenspartnerschaften. Das hatte ein kleiner Teil der Belegschaft frech gefordert. In der Sache geht die Behauptung dieses Markenkerns so am Leben vorbei, wie es sich keine wirkliche Firma leisten könnte. Jeder fünfte Deutsche lebt allein, die Zahl de Ehescheidungen steigt ständig, sie liegt in den Großstädten weit über 50 Prozent. 2011 wurden in Deutschland 188 000 Ehen geschieden. Wer hier Änderungen wünscht, müsste sich um prekäre Einkommensverhältnisse kümmern, um die Anforderungen an die Mobilität, die den Menschen kaum Zeit füreinander lässt, fehlende Kitas usw. Stattdessen schwachsinnige Eifersüchtelei um die ohnehin nicht eintretende Gleichstellung anders Lebender.

Sehr albern, zumal andere Firmenmitglieder in der CDU gewichtigere Markenkerne reklamieren. Kurt Lauk, Präsident des Wirtschaftsrats der CDU, sagt etwa: »Markt und Wettbewerb sind unser Markenkern.« Also dürfe es keinen gesetzlichen Mindestlohn geben und steuerlich »keine Bestrafung für Leistungsträger«. Weg mit dem Wort Reichensteuer also. Da steht es um K. Reiches Markenkern Ehe und Familie schlecht, denn irgendwo müsste Geld zur Familienförderung herkommen.

Aber es gibt noch engere Blickwinkel. Manche halten gar die Hauptschule für einen Markenkern der Firma CDU. »Mit der Abkehr von der Hauptschule verliert die CDU nicht nur einen weiteren Markenkern, sondern verlässt auch die erprobten Wege der Bildungspolitik«, sagt der Vorsitzende der Schüler Union Deutschlands, Lutz Kiesewetter, in altväterlichem Ton. Sein Papa sitzt für die CDU im Bundestag. Ministerin Annette Schavan, die die Hauptschule für überholt hält, wagt nicht mehr, das Wort »Abschaffung« in den Mund zu nehmen. Sie spricht jetzt von »Weiterentwicklung« und weiß, dass viele Bundesländer ihre Pläne kalt blockieren werden.

Dann hätten wir noch jene, die in der Firma CDU die Europapolitik für die Seele des Unternehmens halten. Aber sie sind momentan kleinlaut, weil niemand weiß, was daraus wird.

In diesem vielkernigen Unternehmen bräuchte es eine kernige Vorsitzende, die mal, ja doch, die Leitwährung bestimmt. Aber Merkel lässt geschehen und wirft die Schwungmasse so, dass wenig Streit droht, der ihre Kanzlerschaft gefährden könnte. Wenn sich fünf Bewerber für vier Stellvertreterposten melden, wählen wir eben mal fünf. Zu sagen haben sie im Kanzlerwahlverein ohnehin nichts. In der Wirtschaft wäre diese Firma längst insolvent.

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