Die Liebe nach dem Atomschlag

Das Arsenal präsentiert eine große Alain-Resnais-Retrospektive

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 4 Min.

»Du hast nichts gesehen in Hiroshima.« Das beteuert der japanische Mann seiner französischen Geliebten in der zutiefst traumatisierten Stadt. Beide erleben in Alain Resnais’ »Hiroshima Mon Amour« (1959) eine 36-stündige Liebesbeziehung. Wie Alain Resnais diese aussichtslose Begegnung filmt, ist symptomatisch für seine Arbeit: distanziert, nichtlinear und mit der ihm eigenen Schnitttechnik, die mal parallel, mal assoziativ ist.

Nun widmet das Kino Arsenal dem großen französischen Regisseur den ganzen September über eine integrale Retrospektive, Kurz- und Dokumentarfilme inklusive. Denn die Filme des mittlerweile 90-jährigen Meisters altern auch deshalb gut, weil sie zur Zeit ihrer Entstehung schon eine neue Filmsprache erschlossen und Resnais sich mit ihnen als Vorreiter der »Nouvelle Vague« empfahl. In »Hiroshima Mon Amour« - Marguerite Duras verfasste das Drehbuch - verarbeitet die Heldin (Emmanuelle Riva) auch das eigene Trauma ihrer Liebe zu einem deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg. In Rückblenden, nur von der Off-Stimme der Heldin erklärt, und Parallelmontagen, in denen die neon-beleuchteten nächtlichen Straßen Hiroshimas mit den provinziellen Gassen ihrer Heimatstadt Nevers kontrastieren, erinnert sie sich an ihre Demütigung im Nachkriegsfrankreich.

Dagegen ist »Letztes Jahr in Marienbad« (1961, Volker Schlöndorff fungierte hier als 2. Regieassistent) ein so formvollendetes wie mysteriöses Kunstwerk. In einem riesigen barocken Schloss voller labyrinthartiger Gänge erzählt es in Traumsequenzen und Zeitsprüngen von der (angeblichen) Affäre zweier Menschen: Realität und Fantasie verschwimmen in dem Film vollständig.

Mit dem Unsagbaren beschäftigt sich der Dokumentarfilm-Klassiker »Nacht und Nebel« (1956). Resnais setzte sich darin als einer der Ersten filmisch mit der kühl durchorganisierten deutschen Vernichtungsmaschinerie des Holocaust auseinander. Als Komponisten engagierte er Hanns Eisler, verpflichtete sich jedoch ansonsten zu größtmöglicher Nüchternheit. Archivbilder des Horrors alternieren mit zeitgenössischen Aufnahmen von Auschwitz und Majdanek, der Kommentar ist distanziert. Ärger mit der französischen Zensur bekam Resnais, weil im Film die Verwicklung von Vichy-Beamten in die Deportationen von Juden angedeutet wird.

Bis 1968 engagiert sich Resnais politisch, privat tritt er als Kritiker des Algerienkriegs auf. Seinem Stil und der Beschäftigung mit Zeit und Erinnerung blieb er indes treu. In dem Polit-Thriller »Der Krieg ist vorbei« (1966) über den spanischen Kommunisten Diego (Yves Montand), der von Frankreich aus gegen das Franco-Regime kämpft, bebildern Flash-Forwards Ängste des Helden. Der Off-Kommentar in der »du«-Form verhehlt seine literarische Herkunft nicht - Drehbuchautor war der spanische Exil-Schriftsteller Jorge Semprún.

Im weiteren Verlauf seiner Karriere wird Resnais sich mit viel (Experimentier-)Freude anderen Genres und Ideen öffnen. So filmt er mit »Je t’aime, je t’aime« einen sanften Science-Fiction-Film über Trance und Zeittunnel. »Mein Onkel aus Amerika« (1980, mit Gérard Depardieu) setzt sich spielerisch mit den Thesen des Verhaltensforschers Henri Laborit auseinander.

In dem Hybridfilm »Das Leben ist ein Roman« (1983) verschwimmen drei Erzählebenen in einem Märchenschloss. Es wird philosophiert und gesungen, der Ton ist beschwingt bis albern. Erstmalig engagiert Resnais hier ein Ensemble von vier Stamm-Schauspielern: Sabine Azéma (seine spätere Ehefrau), Pierre Arditi, André Dussolier und Fanny Ardant. In den 1990er Jahren verschreibt er sich vollständig dem Anti-Realismus: Theater und Kino verschmelzen. So lässt er in »Smoking/Non-Smoking« (1993) nach Alan Ayckbourn sämtliche Rollen von Azéma und Arditi spielen, unter anderem den versoffenen Schuldirektor, den dreisten Gärtner (er), die frustrierte Gattin oder forsche Haushälterin (sie).

Pure Lebens- und Kinofreude offenbart außerdem Resnais’ Meisterwerk »Das Leben ist ein Chanson« (1997). Hier brechen die Figuren unvermittelt in Gesang aus. Kummer und Glück verkünden bekannte französische Chansons von Aznavour bis Gainsbourg, zu denen die Helden im Playback mimen. Das Ensemble läuft zu Höchstform auf.

Seine Liebe zu seinen Schauspielern demonstriert Resnais aber auch in seinem letzten Film »Vous n’avez encore rien vu« (Deutschlandpremiere 1.9. im Arsenal). Berühmte französische Mimen spielen dort als sie selbst den Euridyke-Mythos nach - das Prinzip der Doppelung und Wiederholung treibt Resnais hier gekonnt auf die Spitze.

1.9. - 30.9. im Arsenal am Potsdamer Platz, Tel: (030) 26 95 51 00, www.arsenal-berlin.de

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