Der stille Schreiadler

Landtagsabgeordnete schauten Dresens neuen Film über Herrn Wichmann aus der dritten Reihe

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Da steht er aber immer noch, der weltberühmte Niemand. Man würde ihn nach einer persönlichen Begegnung umgehend vergessen. Aber die Kunst eines begnadeten Regisseurs hat ihn unsterblich gemacht. Jetzt gibt es einen zweiten Teil der Wichmann-Saga. »Herr Wichmann aus der dritten Reihe« läuft dieser Tage in den Kinos an. Gemeinsam mit dem Landtagsabgeordneten Henryk Wichmann (CDU) schauten Abgeordnete aller Fraktionen am Donnerstagabend im Babelsberger Kino »Thalia« das neuste Werk des Filmemachers Andreas Dresen an.

In den vergangenen zehn Jahren hat der Jungpolitiker dazugelernt. Das zeigt der Streifen. Weil ein anderer CDU-Politiker das Europaparlament vorzog, wurde für Henryk Wichmann im Potsdamer Landtag ein Platz frei. Dort darf er als »Nachrücker« seit ein paar Jahren »Hört, hört« rufen, über die angebliche Hirnlosigkeit der rot-roten Regierung den Kopf schütteln und alles besser wissen. Die Grundmuster der Verhaltensweisen eines Politikers hat er sich inzwischen antrainiert. Er ist nicht mehr der gescheiterte Bundestagskandidat von der traurigen Gestalt, das Häufchen Unglück im kalten Wind der uckermärkischen Wirklichkeit aus dem ersten Film »Herr Wichmann von der CDU«. Nun wirkt es nicht mehr ohne weiteres ulkig, wenn er eine Rede aus dem Stegreif hält.

Aber ab und an ist Wichmann nicht nur ratlos, er zeigt es auch noch. Immer begegnet es ihm, dieses Fremdeln zwischen Bürger und Politiker. Wichmann ist erwachsener geworden, aber den Momenten der Sprachlosigkeit entgeht er nicht, jenen Momenten, die von der Kamera so quälend-genießerisch eingefangen sind. Vorlaut ist Wichmann nicht. Wenn er nichts zu sagen hat, dann kann er nicht reden. Andere Politiker könnten das.

Dem sicheren Auge Dresens entgeht das Wesentliche niemals, und die Beiläufigkeit, mit der er es erzählt, überzeugt auch in diesem Dokumentarfilm. Was rutscht dem Herrn Wichmann nicht alles heraus, wenn er mit Omas auf dem Sofa sitzt. Dass ihm nach allen Abzügen und Beiträgen von seinem 4500 Euro im Monat kaum mehr als einem Hartz-IV-Empfänger bleibe. »Beamte haben das Doppelte.«

Der Schreiadler zieht sich als Metapher durch den Film. Wichmann versteht er sich als natürlicher Feind eines übersteigerten Naturschutzes, der den Menschen in der Uckermark die Luft zum Leben, die Gelegenheiten zum Geld Verdienen nehmen will. Er duckt sich nicht weg, wenn Lobbyisten aufeinanderprallen und sich in ihrer Einseitigkeit nichts schenken, wenn ihm wüste Stammtischparolen um die Ohren fliegen. Da steht dann tapfer der kleine Herr Wichmann und »moderiert«.

Wie aber reagierte die CDU-Landtagsfraktion auf die Tatsache, dass Hinterbänkler Wichmann ein Star ist? Die zwei Hunde der Abgeordneten Barbara Richstein laufen im Film durchs Bild. Die Vierbeiner mit in den Kinosaal zu bringen, ließ sie sich nicht verbieten. Sie führt die Tiere ja auch in den Landtag, obwohl Hunde dort eigentlich nicht erlaubt sind. Die Kollegen schwanken zwischen Neid auf die exzellente Gratiswerbung für Wichmann und der Erleichterung, nicht so nackt vor dem Publikum stehen zu müssen wie er.

Nachdem die Lichter wieder angingen, sagte Dresen, er habe in den anderthalb Jahren Drehzeit Respekt vor der Arbeit der Politiker gewonnen. Diese Arbeit sei ihm »wahnsinnig anstrengend« erschienen.

Frappierend für den Betrachter ist, wie wenig Wichmann tatsächlich erreicht. Ein Gefühl von Vergeblichkeit allen Tuns beschleicht den Zuschauer, obwohl Wichmann seine Rolle als Kümmerer zweifellos ernst nimmt. Ja, nach Rücksprache mit dem Ministerpräsidenten konnte ein Stück Radweg vollendet werden, das vorher mit dem Verweis auf die Störung des Schreiadlers von Behörden verboten wurde. Am Rande des Kinoabends wurde bekannt, dass weniger der Adlerhorst der Hinderungsgrund für den Radweg war als das Anwesen eines Umweltschützers, der sich durch Radler belästigt fühlte. So viel Wirklichkeit passt dann aber nicht mal in einen Film von Dresen.

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