Schwerter, Tiere - wo bin ich?

»documenta« II

  • Jenny Becker
  • Lesedauer: 2 Min.

Die documenta 13 in Kassel geht am Sonntag zu Ende. Inmitten der drängelnden Besuchermassen gab es einen wundersamen Ort, ganz in der Nähe des Ausstellungstrubels, zugleich tausend Jahre entfernt. Er offenbarte ein Kunstwerk, das aus der Zeit hebt und dann geerdet in diese entlässt. »For a thousand years« - für tausend Jahre - lautet der Titel der Hörinstallation von Janet Cardiff und George Bures Miller.

Man musste keinen Eintritt bezahlen, um sie zu besuchen. Mitten in der grünen Karlsaue gelegen, dem 125 Hektar großen Park, der am Friedrichsplatz beginnt und rund 30 documenta-Werke unter freiem Himmel beherbergt, für viele frei zugänglich.

Die Installation von Cardiff und Miller (im Park mit der Nummer 37 beziffert) war ein besonderes Erlebnis - man nahm sie geradezu körperlich wahr und durchlebte ein Auf und Ab der Gefühle. Keine Konzeptkunst, die mühselig erschlossen werden muss. Zwischen den Bäumen drangen beunruhigende Geräusche hervor. Artilleriefeuer und Schreie, eine Explosion. In dem friedlichen Grün war nichts zu erkennen, doch unwillkürlich hatte man den Impuls, hinter dem nächsten Baum Schutz zu suchen. Wen die Neugier hineinzog, der gelangte auf eine Lichtung. Die Besucher standen versammelt wie eine andächtige Gemeinde, manche saßen auf Baumstümpfen unter dem kathedralengleichen Blätterdach. Drumherum ein Spektakel aus 30 versteckten Lautsprechern.

Der Wald veränderte sich mit jeder Szene, trug die Zuhörer durch die Zeiten und Stimmungen. Auf unbeschwertes Lachen folgte das Brausen eines aufkommenden Sturms, der sich in den Kronen verfängt und das Holz zum Ächzen bringt. Dann Stille. Hufgetrappel und das klirrende Metall eines Schwertkampfes - der Wald im Mittelalter. Irgendwann brüllte ein Tier, das Ungetüm eilte schnaufend durch das Unterholz auf die Zuhörer zu. Wer sich mit geschlossen Augen der Hörreise hingegeben hatte, schielte sicherheitshalber in die echte Welt, sich der Realität vergewissernd.

Am Ende der 28-minütigen Odyssee hob ein Choral an, der alle in einem heiligen Moment vereinte und die aufgewühlten Gefühle besänftigte. Gelungene Kunst, die noch lange nachklingt.

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