Der »Oderkahn« schlingert

Streit um Altberliner Kneipe in Prenzlauer Berg

Immer mehr Altberliner Kneipen verschwinden aus dem Straßenbild. Jetzt hat die Schließungswelle ein Lokal erfasst, das für viele Alteingesessene ein letzter Zufluchtsort im schick sanierten Kiez um die Oderberger Straße ist: Die kleine Gaststätte »Zum Oderkahn«, seit 1921 in der Hand der Familie Lange, soll Ende des Jahres zumachen. Im Mai erhielt Wirtin Monika Lange per Post überraschend die Kündigung. Absender des Schreibens ist Fawad Ghouzi, der gegenüber ein indisches Restaurant betreibt. Der Gastronom hatte das Haus im Oktober 2001 zusammen mit drei anderen Käufern von den Alteigentümern, einer westdeutschen Familie, erworben. Sieben Monate später sprach er die Kündigung zum Jahresende 2002 aus; zu früh, wie der Anwalt von Monika Lange meint, da Ghouzi erst seit Juni im Grundbuch steht. Ein Formfehler, der den Oderkahn möglicherweise ein weiteres Jahr über Wasser hält - wenn das Landgericht die eingereichte Klage positiv bescheidet. »In einem Jahr kann viel passieren«, hofft die Wirtin, die Unterschriftenlisten ausgelegt und Politiker eingeschaltet hat. Beim Denkmalamt hat sie geschichtliche Unterlagen eingereicht, um die Kneipe als Kulturstätte anerkennen zu lassen. Schließlich beherbergt das Haus seit seiner Fertigstellung 1880 im Erdgeschoss eine Gaststätte, zu Ostzeiten konnte man hier illustre Gäste wie die Puhdys, Stefan Heym oder Freya Klier treffen. Im Kiez herrscht Entrüstung - zum Teil leider aus den falschen Gründen. Viele Alteingesessene stören sich besonders daran, dass ein »Ausländer« ihre Stammkneipe dichtmachen will. Dabei lebt Fawad Ghouzi seit über 20 Jahren in Berlin und hat längst die deutsche Staatsangehörigkeit. »Oderkahn«-Gäste hätten ihn als »Kanaken« beschimpft, den »man nach Hause schicken« solle, erzählt er. Von Herrn Lange fühlt er sich schikaniert, seit er vor vier Jahren gegenüber sein Restaurant »Naan« eröffnete. Erst habe es Ärger wegen der Bauarbeiten gegeben, dann sei dreimal pro Woche das Gesundheitsamt wegen anonymer Anrufe gekommen. Als Ursache sieht der aus Afghanistan stammende Gastronom Fremdenfeindlichkeit: »Herrn Lange stört meine Hautfarbe.« Deshalb habe er den Ende des Jahres auslaufenden Vertrag nicht verlängert und will lieber an einen Gemüsehändler oder einen anderen Gastronomen vermieten. Erst recht, seit die Öffentlichkeit mobilisiert wurde. »Nur wenn Herr Lange die Unwahrheiten, die er über mich verbreitet hat, zurücknimmt, überlege ich mir das Ganze noch mal«, so Ghouzi. Die Fronten haben sich verhärtet. Einerseits wird an Fawad Ghouzi nun alles festgemacht, was die Anwohner seit langem stört - die Sanierungswelle, die Vertreibung Altberliner Lokale durch Schickimicki-Bars und teure Cafés, die stete Veränderung des Viertels - Dinge, für die der Mitbesitzer eines einzelnen Hauses nun wirklich nichts kann. Andererseits ist der »Oderkahn« für viele ein zweites Wohnzimmer. Nachmittags trinken die Rentner hier ihr Wernesgrüner, mittwochs kommen die Frauen vom Kegelclub, donnerstags die Handballer. Für Monika Lange ist das Lokal ihr Zuhause. Seit 35 Jahren steht sie hinter der Theke, wie ihre Großmutter und ihr Vater vor ihr. Später sollte der Sohn, ein gelernter Fleischer, den Betrieb übernehmen. Bei einer Schließung blieben ihr und ihrem Mann nur der Gang zum Sozialamt, fürchtet sie. Darüber hinaus wäre eine güt...

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