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Anwälte beraten Obdachlose

Projekt Rechtsambulanz startet im nächsten Frühjahr in Mitte

  • Robert Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Losgehen soll es im kommenden Frühjahr in einer Sozialstation in Mitte. Zuerst nur mit einem Anwalt - aber immerhin. Wohnungslose und Sozialhilfeempfänger werden dort kostenlos beraten. »Rechtsambulanz« nennt Ralf Rothkegel, Richter am Bundesverwaltungsgericht und Spezialist für Sozialhilferecht, sein Projekt, das vorsieht, Anwälte in Sozialstationen zu etablieren. Kostenlose Rechtsberatung gibt es in Deutschland zwar, »aber nur punktuell«, betont der Bundesrichter. In Berlin jedoch wünscht sich Rothkegel die ambulante Rechtsberatung flächendeckend. Die dabei tätigen Juristen sollen im Sozialhilferecht bewandert sein und ihren Klienten auch bei anderen typischen Problemen helfen können. Anwälte hätten sich schon gemeldet, um das Projekt mit ins Rollen zu bringen. Rothkegel, der inzwischen in Leipzig Recht spricht, hatte in der Berliner U-Bahn die Idee zur Rechtsambulanz. Auf seiner allmorgendlichen Fahrt mit der U8 traf der Bundesrichter immer wieder auf einen alten Bettler, der um Geld bat, weil er keine Sozialhilfe beziehe. Das brachte Rothkegel ins Grübeln, und er begann zu recherchieren. Ergebnis: »Tausendfach hat man mir bestätigt, dass die Dinge im Argen liegen.« Der Bedarf für eine kostenlose Rechtsberatung sei jedenfalls da. Kostenlos können Wohnungslose und Sozialhilfeempfänger eigentlich schon jetzt eine Rechtsberatung erhalten, müssen dabei aber einen Hürdenlauf absolvieren, den viele meiden. Zuerst muss ein Anwaltsbesuch beantragt und die Bedürftigkeit nachgewiesen werden, dann gibt es einen Berechtigungsschein in Höhe von ca. 20 bis 25 Euro, mit dem man dann nach einem Anwalt suchen kann. Wie viele Juristen aber lassen sich auf Rechtsberatung zu diesem Honorar ein? Ein Mandant darf zwar nicht wegen Mittellosigkeit abgelehnt werden. Doch die Gebühren, die der Anwalt in solchen Fällen verlangen darf, sind so niedrig - zwischen 20 und 60 Euro - und die Streitwerte in der Regel so gering, dass dies ein reines Zuschussgeschäft ist. Der unliebsame Kunde wird dann gerne abgeschoben. Auch deshalb haben nur wenige Anwälte umfassende Erfahrungen mit dem Sozialrecht, das an der Universität nur Wahlfach ist. Als großes Problem betrachtet Rothkegel auch die Informationsdefizite bei Betroffenen und Profis. Die Hilfesuchenden wüssten oft nicht von ihrem Anspruch auf staatliche Hilfe und haben keine Ahnung, an welches Amt sie sich wenden müssen. Die Beratung der Sozialämter hilft dabei nicht unbedingt weiter. »Sozialhilfeverwaltung ist Massenverwaltung«, formuliert Rothkegel vorsichtig. Dabei komme es zu Überforderungen auf beiden Seiten. Sozialamtsbedienstete können sich oft dem Einzelfall nicht ausreichend widmen, und die Klientel ist problematisch - manche kommen alkoholisiert und sind gewaltbereit. »Die Gefahr der Abstumpfung ist da groß.« Die Anwälte, die künftig fünf Tage in der Woche für Sozialhilfeempfänger und Wohnungslose ansprechbar sein sollen - so sieht es das Projekt vor -, hätten mehr eine Aufklärungs- als die übliche Rechtsvertretungs-Funktion, so Rothkegel. »Was ist überhaupt machbar, das müssen die Anwälte klären.« Auch Rainer Krebs vom Diakonischen Werk Berlin sieht dies so. Zwei Aufgaben haben die Anwälte: Hilfesuchende mit komplizierten Fragen nach Unterhaltspflicht oder Eingliederungshilfen zu beraten und den Sozialarbeitern mehr Rechtskompetenz zu vermitteln. »Sozialarbeiter dürfen zwar Rechtsberatungen machen, aber nur in Sozialhilfeangelegenheiten. Die Besorgung von Rechtsgeschäften ist ihnen verboten.« In der Realität aber helfen sie oft auch beim Formulieren von Anträgen. Um so wichtiger sei es, Wissenslücken zu schließen. Eine Hürde, die das Projekt überwinden muss, ist die Anwaltskammer, die eine Genehmigung erteilen muss; denn eigentlich dürfen Anwälte nur in Kanzleien beraten. Wenn die Genehmigung bis zum Frühjahr kommt, so Krebs, dann starte man das Projekt gleich mit einem Anwalt, wenn nicht, dann zuerst mit einem Jurastudenten, der sein Studium fast beendet hat. »Erst einmal ist das Ganze natürlich nur ein Versuchsballon, um zu sehen, wie die Beratung angenommen wird.« Gestartet wird der Versuch in der Beratung und Lebenshilfe e.V. in Mitte. Und die Projekt-Finanzierung? »Viel Geld haben wir nicht zur Verfügung«, sagen Krebs und Rothkegel. Eine Mischung aus Ehrenamt und einer geringen Finanzierung durch die Diakonie, darauf werde es erst einmal hinauslaufen. Spender werden deshalb dringend gesucht.
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